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Nach fast 35 Jahren bleibt die Frage: Hat Monika Weimar ihre Töchter ermordet?

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Von: Daniela Petersen

Monika Weimar, geborene Böttcher, saß 15 Jahre in Haft. Bis heute bestreitet sie die Tat.
Monika Weimar, geborene Böttcher, saß 15 Jahre in Haft. Bis heute bestreitet sie die Tat. © Volker Feuerstein

Fast 35 Jahre ist der Mord an Melanie (7) und Karola (12) her. Ihre Mutter Monika Weimar, geborene Böttcher, saß deswegen 15 Jahre in Haft. Bis heute bestreitet sie die Tat.

Philippsthal - Der Fall Weimar ist ein Justizdrama, ein Ringen um die Wahrheit, ein Hype, der die Menschen in zwei Lager spaltet und an dessen Ende eine Frage steht: War er es oder sie? Es ist einer der spektakulärsten Mordfälle der Nachkriegsgeschichte. Allem voran ist es eine Familientragödie, die am 4. August 1986 beginnt.

Für Melanie soll in wenigen Tagen ein neuer Lebensabschnitt losgehen: Das Mädchen mit den roten Haaren und dem schüchternen Lächeln ist sieben, und ihre Einschulung steht kurz bevor. Es sind die letzten Tage der Sommerferien, Anfang August 1986. Doch den ersten Schultag wird das Kind nicht erleben. Melanie und ihre fünf Jahre alte Schwester Karola werden ermordet – von der eigenen Mutter.

Spektakulärer Mordfall: Hat Monika Weimar ihre Töchter getötet?

So jedenfalls sieht es das Gericht am Ende einer Reihe von Prozessen. Dreimal wird verhandelt: in Fulda, Gießen und Frankfurt. Die Prozesse enden mit einem Schuldspruch, einem Freispruch und einem erneuten Schuldspruch. Insgesamt wird das Justizdrama bis Ende 1999 dauern. Es sind Indizienprozesse, die sich mit Zeugenaussagen, Gutachten und einer Motivsuche beschäftigen; Prozesse, in denen durch diesen nüchternen Blick aufs Detail die beiden Opfer Melanie und Karola in den Hintergrund rücken. Vielmehr geht es dabei um sie – Monika Weimar, die Beschuldigte, die für diese Tat eine lebenslange Haftstrafe bekommt und 15 Jahre im Gefängnis sein wird.

Gabriele Kühlewind ist 1986 Ermittlerin im Kommissariat für Gewaltdelikte bei der Kripo Bad Hersfeld, 27 Jahre alt, die einzige Frau in der Abteilung. Schon früh wird sie in den Fall Soko Weimar“ eingebunden, verteilt Flugblätter, als die Kinder noch als vermisst gelten, vernimmt die Eltern Monika und Reinhard Weimar. „Sie war ein eher ruhigerer Typ, wirkte distanziert, aber nicht unsympathisch“, erinnert sich die heute 61-Jährige.

Fall „Soko Weimar“: Ermittlerin Gabriele Kühlewind erinnert sich zurück

Kühlewind ist vor Ort, nachdem die Kinder tot aufgefunden werden. Es ist der 7. August 1986, der Tag, an dem Melanie eingeschult werden sollte. „Zuerst fand man das ältere Mädchen bei einem Parkplatz zwischen Herfagrund und Wölfershausen. Ein Busfahrer, der etwas erhöht saß, entdeckte das Kind“, sagt Kühlewind. Eineinhalb Stunden später wird auch Karola gefunden, ebenfalls in der Nähe eines Parkplatzes, etwa drei Kilometer entfernt. Melanie wurde erstickt, Karola erwürgt. Das wird die Obduktion später ergeben.

Gabriele Kühlewind war als Kriminalbeamtin in Bad Hersfeld an den Ermittlungen beteiligt.
Gabriele Kühlewind war als Kriminalbeamtin in Bad Hersfeld an den Ermittlungen beteiligt. © Daniela Petersen

Als Gabriele Kühlewind bei Familie Weimar ist, um die Nachricht vom Tod der Kinder zu überbringen, gibt es viele Tränen. „Es war dramatisch. Bei allen“, sagt sie. Die Familie lebt zu der Zeit im Ortsteil Röhrigshof bei Philippsthal, mehrere Generationen unter einem Dach. „Es waren ganz normale Verhältnisse, in denen Melanie und Karola aufwuchsen. Die Wohnung, das war alles ordentlich.“ Fotos zeigen das: Die Räume wirken aufgeräumt. Die Wand ist mit einer Blümchentapete tapeziert – typisch 80er Jahre. Zwei Betten stehen im Raum, daneben zwei Schatullen auf dem Nachtkästchen. Vermutlich ist es das Kinderzimmer. Hier haben Melanie und Karola geschlafen, gespielt, auch mal gestritten. Ob die beiden hier zu Tode kamen? Das ist fraglich.

Drei Wochen später: Die Kinder wurden auf dem Friedhof in Röhrigshof beigesetzt. Pfarrer Jochen Weinrich beschrieb in der Predigt die Angst und das „lähmende Entsetzen“, das sich nach dem Verbrechen über den Ort gelegt habe. Die Öffentlichkeit ging bis dahin von einem unbekannten Täter aus. Ende August kommt es zu einer unerwarteten Wendung: Monika Weimar wird als Verdächtige vernommen. Im Oktober muss sie in Untersuchungshaft. In Handschellen wird sie aus der Wohnung geführt. „Am Anfang habe ich es nicht geglaubt. Eine Mutter, die ihre Kinder tötet, das war völlig unvorstellbar. Doch dann kam die Beweislage“, sagt Kühlewind.

Weimar hat sich mit anonymen Briefen, die sie selbst verfasste und in denen andere beschuldigt werden, die Kinder getötet zu haben sowie widersprüchlichen Aussagen verdächtig gemacht. Erst erklärt sie, dass sie am Tattag zum Einkaufen fuhr und die Kinder am Spielplatz waren, als sie das Haus verließ. Einige Wochen später – sie ist bereits selbst ins Fadenkreuz der Ermittler geraten – behauptet sie, dass es Ehemann Reinhard war, der die Kinder bereits nachts in der Wohnung ermordet habe. Als sie gegen 3 Uhr nach Hause kam, hätten Melanie und Karola schon tot im Bett gelegen. Diese Aussage wird als sogenannte Nachtversion beschrieben. (Lesen Sie hier: Landgericht Fulda verurteilt 28-Jährigen nach Tötung seiner Ehefrau zu lebenslanger Haft)

Landgericht Fulda verurteilt Weimar zu lebenslanger Haft

Das Landgericht Fulda, das im Januar 1988 sein Urteil fällt, glaubt jedoch an die „Tagversion“ und geht davon aus, dass die Kinder am Morgen des 4. August noch am Leben waren. „Wir hatten etwa 50 Indizien, die darauf schließen ließen, dass die Kinder erst am späten Vormittag getötet wurden. Sie sind morgens noch gesehen worden, und auch der Mageninhalt ließ auf ein Frühstück schließen“, sagt Richter Peter Krisch, der als Beisitzender Richter am Prozess in Fulda beteiligt war. Das Urteil, das er mitentworfen hat, umfasst 153 Seiten.

Bis heute sei der Prozess um Monika Weimar, die wieder ihren Mädchennamen Böttcher angenommen hat, der bedeutendste in seiner Laufbahn, sagt Krisch. Der 75-Jährige war 35 Jahre im Richteramt und bis 2010 Vorsitzender Richter am Landgericht Fulda. Das Interesse der Öffentlichkeit am Fall Weimar sei enorm gewesen. „Ich erinnere mich, wie das ZDF einen 15 Meter hohen Sendemast vor dem Fuldaer Stadtschloss aufbaute. Dort fanden damals noch die Prozesse statt“, erklärt Krisch. Abends zur besten Sendezeit lief der Fall in den Nachrichten. In den vielen Beiträgen wurden sämtliche Details der bröckelnden Ehe von Monika und Reinhard der Öffentlichkeit beschrieben: dass sie eine Affäre mit einem US-Soldaten hatte und über Scheidung nachdachte und dass er ins Bordell ging.

Richter Peter Krisch ist einer der Berufsrichter, die am Landgericht Fulda Monika Böttcher 1988 verurteilten. Das Buch, das Böttcher schrieb, hat er gelesen.
Richter Peter Krisch ist einer der Berufsrichter, die am Landgericht Fulda Monika Böttcher 1988 verurteilten. Das Buch, das Böttcher schrieb, hat er gelesen. © Daniela Petersen

2012 starb Reinhard Weimar an Herzversagen. Monika Böttcher wurde 2006 aus der Haft entlassen. Sie lebt in Deutschland und „geht ihrer Arbeit nach“, wie ihr damaliger Anwalt Gerhard Strate erklärt. Mehr will er nicht verraten. Alle Anfragen von Medienschaffenden, die mit Böttcher sprechen möchten – und es sind viele im Moment – lehnt er ab. Ein Motiv konnte nie ausgemacht werden. Indizienprozesse lassen oft ein großes Fragezeichen zurück. Melanie und Karola wären jetzt 41 und 39 Jahre alt.

Dieser Beitrag ist im Zuge der Serie „Tatort Osthessen“ im Februar 2021 in der Fuldaer Zeitung veröffentlicht worden. Anwalt Gerhard Strate hat elf Jahre um die Freiheit seiner Mandantin gekämpft. In einem ausführlichen Interview, das in der Samstagausgabe vom 6. Februar 2021 erschienen ist, beschreibt er, wie er die Zeit erlebt hat.

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