Die 31-Jährige war schon unzählige Male inmitten von Bullenhaien. 2016 hat sie damit angefangen. Seit 2019 arbeitet sie für Dive Mike in Playa del Carmen. Die Tauchschule hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Population der Bullenhaie vor der Küste zu katalogisieren. „Jedes Jahr in den Wintermonaten kommen einige trächtige Weibchen hierher. Sie bleiben ein paar Wochen, dann ziehen sie weiter in Richtung Norden und bekommen im Januar ihre Jungen“, erklärt Cecilia.
Der Tauchschule geht es um den Schutz der Haie, darum, dass sie nicht als Feinde wahrgenommen werden, sondern als wichtiger Bestandteil für das Ökosystem. Die Raubfische stehen an der Spitze der Nahrungskette im Meer. Ohne Haie würde das System kollabieren.
Für ihre Arbeit hat Dive Mike während der Corona-Pandemie Unterstützung über ein Hilfsprogramm erhalten, welches die Tui Care Foundation in Zusammenarbeit mit der Berliner NGO enpact e.V. entwickelt hat. Bei diesem Covid-19-Relief-Programm wurden Unternehmen aus Schwellen- und Entwicklungsländer finanziell und mit Know-How unterstützt, um die Krise zu bewältigen. Eine Voraussetzung: Die Unternehmen mussten im weitesten Sinn im Tourismussektor tätig sein.
Die Tauchschule bietet Touristen die Möglichkeit, die Haie aus nächster Nähe zu beobachten und bei der Kartierung mitzuhelfen. Damit die Tiere auch nah genug heranschwimmen, werden sie mit Futter angelockt. Kritik deswegen hat Cecilia schon häufiger gehört. „Aber nur so können wir erkennen, welche Merkmale die einzelnen Fische haben. Und es ist auch nicht so, dass die Haie, wenn sie regelmäßig gefüttert werden, Taucher mit Futter assoziieren. Sie spüren sehr genau, ob wir Futter dabei haben oder nicht.“ Cecilia ist eine von nur wenigen Frauen, die Haie füttern. Noch nie sei es zu einer brenzlichen Situation gekommen.
Menschen stünden nicht auf der Speisekarte der Tiere. Trotzdem ist Vorsicht geboten. Bullenhaie, die bis zu drei Meter lang werden, können, ähnlich wie der Weiße Hai, gefährlich sein. Deshalb trägt die 31-Jährige bei dem Tauchgang Kettenhemd und gibt uns Tauchschülern genaue Instruktionen. „Macht keine hektischen Bewegungen. Wenn der Hai zu nah kommt, sucht Augenkontakt und atmet Luftblasen aus. Je ruhiger ihr seid, desto besser.“
Ruhig bleiben, das ist gut. Mein Herz pocht wie wild, doch auch Christiane beruhigt mich: „Ich helfe dir beim Abtauchen. Das klappt schon.“ Dann geht es los. Mit dem Boot sind wir rund zwei Kilometer aufs Meer rausgefahren. Der Strand ist noch zu sehen. Rückwärts lasse ich mich vom Boot ins Wasser fallen, schwimme Christiane hinterher. An einem Tau gleiten wir langsam hinab. Dort unten schwimmt schon der erste Hai. Christiane schaut mich an, erkundigt sich: „Ok?“ „Ok“, antworte ich. Und es ist wirklich so. Seitdem ich hier im Wasser bin, ist die Angst verflogen. Ich höre meinen gleichmäßigen Atem, sehe, wie die Luftbläschen rhythmisch nach oben tanzen.
Die Futterstelle liegt in 24 Metern Tiefe. Am Meeresboden ist ein weiteres Tau befestigt: unser Beobachtungsposten. Langsam tauchen wir dorthin, legen uns auf den Bauch, und schon geht das Schauspiel los. Kaum hat Cecilia den Futterbehälter geöffnet, kommen die Tiere von allen Seiten. Sie schnappen sich den Fisch. Gleiten imposant über uns. Sie wirken nah. Sehr nah. Unter Wasser sieht alles um ein Drittel größer und um ein Viertel näher aus. Ein Rochen schwimmt vorbei. Mir fällt ein, dass Cecilia uns ja die Aufgabe gestellt hat, die Haie zu zählen und uns besondere Merkmale einzuprägen. 47 verschiedene Tiere hat die Tauchschule in ihrem Buch vermerkt. Ich fange an zu zählen. Neun, vielleicht sind es zehn? Das Gewimmel ist unübersichtlich. Cecilia wird später sagen, dass es elf Haie waren.
Inzwischen ist die Futterbox leer. Das Spektakel neigt sich nach 25 Minuten dem Ende zu. Langsam tauchen wir nach oben. In sechs Metern Tiefe legen wir einen Decostopp ein, um dem Körper nach dem hohen Druck in der Tiefe Zeit zu geben, den Stickstoff abzugeben. Dann sind wir wieder an der Oberfläche. Glücklich, aber geschafft. So viel Adrenalin. Und wie bei den Fahrgeschäften am Schützenfest keimt auch hier der Wunsch auf: Ich will nochmal!