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14 weitere Stolpersteine in Wüstensachsen verlegt - Nachfahrin erinnert an ihre Großmutter

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Von: Hartmut Zimmermann

In Wüstensachsen sind am Mittwoch 14 weitere Stolpersteine verlegt worden. Sie erinnern an in der Nazi-Zeit ermordete Juden.
In Wüstensachsen sind am Mittwoch 14 weitere Stolpersteine verlegt worden. Sie erinnern an in der Nazi-Zeit ermordete Juden. © Hartmut Zimmermann

Die Namen von 14 Menschen aus Wüstensachsen, die in der Nazi-Zeit verfolgt, vertrieben und ermordet wurden - lediglich weil sie Juden waren - sind seit Dienstag (4. Oktober) wieder Teil des Dorf-Alltags: Stolpersteine erinnern vor ihren einstigen Wohnstätten an sie.

Wüstensachsen - „Das Erinnern bekommt mit den Stolpersteinen eine neue Qualität: Wir stoßen dort auf sie, wo die Menschen gelebt haben - sie sind wieder mitten unter uns“, sagte Ehrenbergs Bürgermeister Peter Kirchner (parteiunabhängig) in seiner Begrüßung. Er dankte nicht nur den Aktiven des Arbeitskreises Stolpersteine, auf dessen Initiative die Verlegung zurückgeht, sondern allen Beteiligten. Besonders würdigte er, dass die Grundstückseigentümer dieser besonderen Form des Gedenkens zugestimmt hätten.

Rhön: 14 Stolpersteine in Wüstensachsen eingesetzt

Während der Bildhauer Gunter Demnig, der vor mehr als 30 Jahren die Idee der „Stolpersteine“ entwickelt hat, die kleinen Denkmale im Gehweg-Pflaster einließ, stellten Texte, Erinnerungen, Gebete und Lieder das Wirken der Bedrängten und Verfolgten in den Mittelpunkt. Ergreifend war, als die in England lebende Dana-Leigh Strauss, eine Enkelin von Hertha Strauss geborene Gold, an ihre Großmutter erinnerte.

Dana-Leigh Strauss (am Mikrofon) erinnerte mit bewegenden Worten an ihre aus Wüstensachsen stammende Großmutter Hertha. Einer der 14 neu verlegten Stolpersteine ist ihr gewidmet.
Dana-Leigh Strauss (am Mikrofon) erinnerte mit bewegenden Worten an ihre aus Wüstensachsen stammende Großmutter Hertha. Einer der 14 neu verlegten Stolpersteine ist ihr gewidmet. © Hartmut Zimmermann

Hertha Strauss war 1937 die Flucht in die USA gelungen - doch ihr gesamtes weiteres Leben sei von dieser brutalen Entwurzelung überschattet worden, berichtete die Enkelin. So kam es, dass sie nie erwähnte, dass eine Schwester, Anni Gold, von den Nazis deportiert und umgebracht worden war. Erst vor sieben Jahren erfuhr Strauss von einer Ahnenforscherin, dass sie eine Großtante gehabt hatte. Es sei wichtig, mit Herz und Verstand nachzuempfinden, was geschehen sei - um das Böse nicht zu wiederholen, betonte Dana-Leigh Strauss.

Erst kürzlich hatte Margitta Köhler-Knacker, die im Stolperstein-Arbeitskreis aktiv ist, durch eine Facebook-Suche Kontakt zu den in den USA lebenden Töchtern des aus Wüstensachsen (Landkreis Fulda) zunächst nach Palästina geflohenen Manfred Buchsbaum knüpfen können. „Wir fühlen uns durch das Verlegen des Stolpersteins geehrt“, zitierte Köhler-Knacker aus einer Mail der Frauen, während unter anderem der Stein für Manfred Buchsbaum in das Pflaster eingebettet wurde.

Verlegung Stolperstein
Linde Weiland (von links), die langjährige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Fulda, der Bildhauer Gunter Demnig und Inge Hohmann vom Wüstensachsener Stolperstein-Arbeitskreis. © Hartmut Zimmermann

Ein ganz anderer Brief prägte die Verlegung des Steins für Hugo Weinberger: Der 1885 geborene Wüstensachsener Viehhändler hatte noch kurz nach Kriegsbeginn im Herbst 1939 nach Chile fliehen können - auch weil die Familie Haas ihn auf dem „Hahnershof“ bei Elters versteckt hatte. Dabei hatte die Bauernfamilie um der Rettung Weinbergers willen auch ihr eigenes Leben in Gefahr gebracht. Sabine Schmitt, eine Enkeltochter von Peter Haas, verlas im Beisein ihres Vaters einen Dankesbrief, den Weinberger Anfang der 1950er Jahre aus Chile nach Elters geschrieben hatte. „Euer Freund Hugo Weinberger“ war er unterzeichnet.

Wüstensachsens katholischer Pfarrer Dr. Heinrich Meicher hatte zu Beginn der Aktion in deutscher Sprache das jüdische Totengebet, das Kaddisch, gesprochen. Viertklässler der Grundschule Wüstensachsen legten neben den Stolpersteinen rote Rosen nieder. Linde Weiland und Janina Heim bereicherten die Feier mit gesungenen Gebeten und jiddischen Liedern.

30 Steine

Die neu verlegten Stolpersteine erinnern an: Manfred Buchsbaum, Max Buchsbaum, Ilse Buchsbaum, Rosa Buchsbaum, Berta und Josef Brunngässer, Hedwig Schulmann, Hugo Weinberger, Johanna Gold, Sara Gold, Anni Margot Gold, Ida Gold, Theobald Gold sowie Hertha Strauss.

Derzeit sind in Wüstensachsen insgesamt 30 Stolpersteine verlegt. Sie wurden ausnahmslos durch Spenden finanziert. Eine weitere Verlegung werde erwogen, heißt es aus dem Arbeitskreis.

Mit eigenen Beiträgen waren Schülerinnen und Schüler der Mittelpunktschule Hilders beteiligt. Sie hatten Texte und Fragen formuliert, in denen sie versuchten, die Gefühle und Ängste der Menschen, die deportiert und in den Tod geschickt wurden, in Worte zu fassen. (Lesen Sie hier: „Wandel der Erinnerungskultur“: Stolpersteine für Dreiturm-Gründerfamilie Wolf)

In der Schule hatten sie zudem die Gelegenheit, im Gespräch mit dem in Bonn lebenden Michael Buchsbaum, einem Enkelsohn eines in die USA geflohenen Wüstensachsener Juden, „große“ Geschichte und Dorfgeschichte in einer besonderen Verknüpfung zu erleben. Diese regionale Verbindung eröffne den Schülerinnen und Schülern einen ganz neuen Zugang zu diesem schwierigen Kapitel deutscher Geschichte, berichten die Lehrerinnen Mareike Stieler und Catharina Brähler.

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