„Vorm Dom sollten alle gleich sein“: Avantasia-Frontmann Tobi Sammet über sein Fulda-Konzert

Musiker Tobias Sammet aus Fulda ist am 21. Juli 2022 mit seinem Metal-Projekt Avantasia auf dem Domplatz zu Gast. Der 44-Jährige spricht im Interview über die Rückkehr nach Monaten der Corona-Pause.
Fulda - Mit uns hat der Avantasia-Frontmann über den Auftritt, sein neues Album, Gastmusiker und natürlich die leidige Corona-Zeit gesprochen. (Lesen Sie hier: Musikfans aufgepasst: Diese Open-Air-Konzerte finden 2022 in Fulda statt)
Fulda: Avantasia-Frontmann Tobi Sammet über sein Domplatz-Konzert
Nach der Corona-Vollbremsung stehen jetzt wieder Konzerte an. Sind Sie noch vorsichtig, oder sind Sie einfach froh, dass der Laden wieder läuft?
Wir sind schon noch vorsichtig, um uns den Kram möglichst nicht einzufangen. Aber in erster Linie bin ich unendlich glücklich und dankbar, mein Leben und meinen Job wieder zurückzuhaben. Plötzlich machen einen Kleinigkeiten auf Tour demütig, ein kühles Bier im Hotel oder der Blick aus dem Flugzeug auf die spanische Küste.
Und dann kommt das erste Konzert in Spanien, da fällt der Vorhang, und dann stehen da Zehntausende und schreien begeistert. Ich hab einfach zurück geschrien. Das war ein unfassbarer Befreiungsschlag nach dem ganzen Mist in den letzten beiden Jahren. Und wir haben musikalisch alles weggeballert, was uns in die Quere kam. Ich habe selten so eine Energie gespürt.
Ende Oktober erscheint Ihr neues Avantasia-Album. Ein Song heißt „Kill The Pain Away“. Wie sehr hat Sie die Pandemie beim Schreiben beeinflusst?
Das ist schwer zu sagen, denn vieles passiert beim Komponieren natürlich unterbewusst. Musik zu machen bedeutet für mich, Dinge zu verarbeiten, die mir am Herzen liegen. Ich verpacke das in Geschichten, die einerseits ein bisschen Alltagsflucht ermöglichen, aus denen der Hörer aber vielleicht auch ein bisschen was für sich selbst und sein eigenes Leben mitnehmen kann.
Bei diesem Album konnte ich mich ab Pandemiebeginn nicht mehr von Reisen oder Begegnungen inspirieren lassen, also muss man plötzlich noch tiefer in sich selbst nach Ideen suchen. Mir half auch mein neues Studio. Das ist wie ein Tor in eine andere Welt, in der ich ganz bei mir selbst bin. Ich war ja vorher schon Einsiedler, aber die Pandemie hat mich komplett zum Einzelkämpfer gemacht. Umso erstaunlicher finde ich deswegen, wie sehr ich die Bühne genieße; ich hatte schon Angst, ich hätte da gar keinen Bock mehr drauf.
Nach dem Tod von Meat Loaf haben Sie erzählt, dass Sie gerne mit ihm zusammen gearbeitet hätten, es aber leider nie geklappt hat. Gibt es denn bei Ihrem neuen Album einen Gastmusiker, der für Sie einen ähnlichen Stellenwert hat?
Ja, auf jeden Fall. Ich meine, ich arbeite mit meinen Idolen, mit Leuten, die auf ihrem Gebiet zur absoluten Weltspitze zählen und mir trotzdem hundertprozentig vertrauen und exakt das abliefern, was ich von ihnen für meine Songs erwarte. Das ist schon verrückt. Und wir sind zu echt engen Freunden geworden. Bei allem Respekt vor Meat Loaf und seinem Einfluss auf mein Schaffen: Natürlich bedeutet mir meine Truppe, mit der ich auf der Bühne stehe, am allermeisten.
Ich bin im Moment jeden Tag dankbar, mit diesen Leuten Musik machen zu dürfen. Auf dem neuen Album ist zudem eine große Sängerin, deren Name ich noch nicht verraten will, die ich seit tausend Jahren kenne, die aber jetzt endlich ihren Weg auf eine Avantasia-Platte gefunden hat.
Domplatz-Konzerte in Fulda: Konzert von Avantasia am 21. Juli
Am 21. Juli 2022 geben Sie vorm Dom ein Heimspiel. Kürzlich ist Lothar Matthäus von Riccardo Basile durch Fulda geführt worden. Machen Sie für Ihre Musikerkollegen auch den Stadtführer?
Die kennen Fulda doch fast alle schon. Wir haben ja jetzt schon ein paar Mal hier gespielt. Ein bisschen Stadtführer ist man da immer, der eine braucht einen Friseur, der andere einen Chiropraktiker. Unsere beiden Skandinavier Jorn und Ronnie brauchen immer erstmal eine Bar.
Die Amerikaner sind jedes Mal von den Barockbauten fasziniert, zumal die hier drüben bei uns aus Stein und nicht aus Spanplatten sind (lesen Sie auch hier: 5000 Fans singen mit Sarah Connor auf dem Domplatz in Fulda - mit Fotogalerie).
Sind Sie eigentlich immer noch Bayern-Fan?
Was ist denn das für eine Frage?! Man kann die Haarfarbe ändern, den Namen oder vielleicht auch mal das Geschlecht, aber doch nicht den Herzensverein (lesen Sie auch hier: Domplatzkonzerte mit Sarah Connor, Roland Kaiser, Sido und Co - Programm, Sperrungen, Regeln).
Ist der Domplatz für Sie ein Ort, an dem Sie schon immer mal auftreten wolltest? Die Konzerte dort gibt es ja immerhin seit über 20 Jahren…
„Schon immer“ ist vielleicht übertrieben, aber als da irgendwann plötzlich Konzerte stattfanden, war das schon ein Gedanke im Hinterkopf. Ich hab vor vielen Jahren mal gehört, dass die damaligen Entscheidungsträger so böses Krach-Zeug nicht auf dem Domplatz haben wollten, was ich ziemlich befremdlich fand. Wir wollten ja nicht im Dom spielen.
Außerdem würde ich unsere Fans eigentlich als recht zivilisiert bezeichnen. Okay, ich hatte bei Edguy mal Jesus mit blutendem Ohr auf dem Cover, und die Platte hieß „Tinnitus Sanctus“, aber das war jugendlicher Übermut, ein harmloser Spaß, den manche halt nicht so wahnsinnig witzig fanden. Ich fand es im Gegenzug nicht so lustig, dass André Rieu auf dem Domplatz spielen durfte und ich nicht. Wenn vor Gott alle gleich sind, sollten ja wohl auch vorm Dom alle gleich sein.
Service
Karten für das Konzert von Avantasia am 21. Juli ab 20 Uhr auf dem Fuldaer Domplatz sind erhältlich in allen Geschäftsstellen unserer Zeitung. Sie kosten zwischen 57 Euro und 66,40 Euro.
Sie hatten gerade Konzerte in Spanien, dann in Finnland und Norwegen. Wie unterscheidet sich das Publikum?
Die Leute sind alle sehr dankbar, und genauso euphorisch wie wir. Das macht die Konzerte sehr besonders. Ich kann mich nur wiederholen, niemand scheint das gute Gefühl noch als selbstverständlich anzusehen, es herrscht große Dankbarkeit. Bei uns, aber auch bei den Fans. Und das wird in Fulda auch so sein. Macht Euch auf was gefasst, wir machen keine Gefangenen!
Welcher Song ist die Avantasia-Hymne schlechthin?
Schwer zu sagen, sie sind alle sehr verschieden. Manche würden „Lost In Space“ nennen, weil das unsere einzige Top-Ten-Single war. Ich selbst halte „The Scarecrow“ für einen Eckpfeiler, ein bisschen Lord of the Dance, ein bisschen Black Sabbath mit keltischen Elementen... Dazu kommen die schönen Erinnerungen an die gesamte Album-Produktion, als Eric Singer von Kiss bei uns trommelte und Alice Cooper dabei war.
Die Nummer ist halt das elfminütige Herzstück des Albums, mit dem Avantasia international durch die Decke ging und auch erstmals als Haupt-Act auf den großen europäischen Festivals spielte. Ab da ging es richtig los, alles lief plötzlich auf einem ganz anderen Level ab; größer als ich es mir jemals erträumt hatte. Die Nummer hat stellvertretend für das ganze Album immer einen besonderen Platz in meinem Herzen.