„Tag gegen Rassismus“ in der Richard-Müller-Schule: Sorge vor neuer rechter Diktatur

Fulda - Machen die Deutschen denselben Fehler wie 1933 und verhelfen Nationalsozialisten an die Macht? Die Sorge treibt am Dienstag in der Richard-Müller-Schule in Fulda zumindest DDR-Zeitzeugen Berthold Dücker um. Und Schülersprecherin Melanie Müller hat zwar noch keine Angst, aber große Bedenken wegen der Entwicklung des gesellschaftlichen Klimas.
Von Sascha-Pascal Schimmel
Die Richard-Müller-Schule hat ihren jährlichen „Tag gegen Rassismus“ veranstaltet. Motto: „Menschenrechte – und ich?!“
Schulleiterin Claudia Hümmler-Hille zitiert einen Gastbeitrag von Hajo Funk für Die Zeit. Darin beschäftigt sich der Extremismusforscher mit der Gefährlichkeit der Sprache von Björn Höcke, dem Gründer des radikalen „Flügel“ der AfD. Funk nimmt sich in dem Gastbeitrag das Höcke-Buch „Nie zweimal in denselben Fluss“ vor.
„Gesagtes ist nicht unbedingt Gemeintes“, sagt Hümmler-Hille. „Aber die Worte fallen auf fruchtbaren Boden.“ Die Schulleiterin zieht eine Verbindung zwischen der Rhetorik führender AfDler und rechtsextremer Gewalt. Als Beispiel nennt sie die Angriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund in Chemnitz im August 2018.
„Engament in Partei, nicht nur freitags demonstrieren“
Einer, der diese Verbindung auch sieht, ist Michael Brand. Er sitzt für die Fuldaer CDU im Bundestag. Es ist nicht einmal ein halbes Jahr her, als sein Freund Walter Lübcke von einem vermutlich Rechtsextremen ermordet wurde. Lübcke (CDU) war Präsident des hessischen Regierungsbezirks Kassel, zu dem Fulda gehört. Während des Höhepunkts der Flüchtlingswelle hatte er sich hinter die Politik von Kanzlerin Angela Merkel gestellt – und wurde so zu einem Feindbild der rechtsradikalen Szene.
„Mein Freund Walter Lübcke hat heimtückisch eine Kugel in den Kopf bekommen, weil er Haltung gezeigt hat“, sagt Brand. „Mir ist egal, wo Extremismus herkommt. Wir als Gesellschaft, als Demokratie müssen dagegen kämpfen.“ Er fordert die Schüler auf, nicht nur freitags zu demonstrieren, sondern sich auch in einer demokratischen Partei zu engagieren. Seine Wortwahl legt nahe, dass der Abgeordnete sowohl die AfD als auch Die Linke nicht dazu zählt. Für Brand ist klar: „Wer in Thüringen Höcke wählt, weiß, dass er Neonazis wählt.“
„Ihr habt hoffentlich alle AfD gewählt – außer dir“
Melanie Müller, Schülersprecherin an der Richard-Müller-Schule, bereitet die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas, die sie beobachtet, Sorgen. „Angst würde ich es nicht nennen – aber Bedenken“, sagt die Rhönerin. „Man spürt, dass das Klima aufgeheizter ist.“ Dabei hat sie den jüngsten Anschlag in Halle, bei dem ein Terrorist zwei Menschen getötet hat und bewaffnet in eine Synagoge eindringen wollte und das Erstarken rechter Parteien im Hinterkopf. Als die rechtsradikale Kleinstpartei „Der III. Weg“ dieses Jahr in Fulda demonstriert hat, habe sie gemerkt, wie real das Thema sei.
Rechtsradikale Auswüchse, wie sie für Teile der AfD stehen, erfährt die Schülerin in ihrem näheren Umfeld zwar nicht. Allerdings müsse sie sich immer mal Sprüche anhören. Melanies Mutter stammt aus Thailand. Die junge Frau selbst kriegt immer wieder zu hören: „Ihr seht ja alle gleich aus.“ Das halte sie für weniger schlimm. Manches gehe aber unter die Gürtellinie. „,Du hast bestimmt beide Geschlechtsteile‘ heißt es dann und wann“, sagt sie. Ein blöder Scherz, der auf Sexstorys über thailändische Ladyboys basiert. Auf einer Kirmes habe Melanie erlebt, wie jemand „ihr habt hoffentlich alle AfD gewählt – außer dir“ gesagt und dabei auf sie gezeigt habe. „Ich weiß, dass viele da einen eher rechten Humor haben“, sagt die Schülersprecherin.
„Mit aller Kraft dagegenstemmen“
Hauptredner zum Auftakt des „Tages gegen Rassismus“ ist Berthold Dücker. Er ist vor mehr als 55 Jahren aus der DDR in den Westen nach Fulda geflohen – vor der Diktatur. „Nun sind alle wieder da, von beiden Seiten“, sagt Dücker mit Blick auf das Wahlergebnis der Landtagswahl in Thüringen. Da sind Die Linke und die AfD als stärkste Parteien hervorgegangen. Zusammen kommen sie auf mehr als 50 Prozent der Zweitstimmen. „Ich schäme mich abgrundtief dafür, was am Sonntag in meinem Heimatland passiert ist.“
Allerdings reiche es nicht, sich zu schämen. „Man muss sich mit aller Kraft dagegenstemmen“, sagt Dücker. „Das Wahlergebnis zu verharmlosen, kann schlimme Folgen haben.“ Der frühere DDR-Flüchtling nimmt dabei vor allem die AfD ins Visier. Käme die an die Macht, wäre das die dritte Diktatur, die wir Deutschen uns innerhalb eines Jahrhunderts geleistet hätten. Er mahnt: „Eine geistig noch fitte, fast 100 Jahre alte Frau aus meinem Heimatort sagte mir, so habe es auch 1933, dem Jahr der Machtergreifung durch die Nazis unter Adolf Hitler, angefangen.“
Dücker sagt, dass Rassismus keine Meinung sei. „Er ist unrecht, menschenverachtend, ein Verbrechen, eine Sünde.“ Am Ende seiner Rede zieht er das Grundgesetz zu Rate. Dort steht in Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und der Thüringer ergänzt: nicht nur die des Deutschen.