1. Fuldaer Zeitung
  2. Fulda

Doch kein Totschlag? Sachverständige entlasten Angeklagten im Raserprozess

Erstellt:

Von: Marcus Lotz

Der Angeklagte bestreitet, den Tod der 71-Jährigen billigend in Kauf genommen zu haben.
Der Angeklagte bestreitet, den Tod der 71-Jährigen billigend in Kauf genommen zu haben, wie es ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft. © Marcus Lotz

Auf der Flucht vor der Polizei erfasste ein mittlerweile 22-Jähriger im August in Fulda eine Frau mit seinem BMW. Die 71-Jährige starb, die Staatsanwaltschaft wirft ihm daher Totschlag vor. Doch die Aussagen mehrerer Sachverständiger nähren daran nun Zweifel.

Fulda - Mehrmals soll der Angeklagte die Frau im Gallasiniring in Fulda zwischen seinem Fahrzeug und einer Mauer eingequetscht haben, indem er immer wieder Gas gab – laut Staatsanwaltschaft, um nach der ersten Kollision sein Auto wieder frei zu bekommen. Ihm droht daher eine Verurteilung wegen Totschlags. Ein Kfz-Sachverständiger rekonstruierte am Dienstag den Unfallhergang.

Fulda: Sachverständige entlasten Angeklagten im Raserprozess

Laut Aussage des Gutachters rammte der Angeklagte auf seiner Flucht zunächst einen Bordstein, wodurch der linke Vorderreifen platzte. Die 90-Grad-Kurve von der Straße Am Jagdstein in den Gallasiniring nahm der BMW daraufhin mit rund 33 Stundenkilometern – so schnell, dass das Fahrzeug fast aus der Kurve flog. Im Gallasiniring geriet das Auto dann auf den rechten Bürgersteig, wo die 71-Jährige mit ihrem Rollator unterwegs war.

„Er fuhr ihr mit etwa 28 Stundenkilometern von hinten in die Kniekehlen und hob sie auf die Motorhaube“, beschrieb der Sachverständige und betonte: „Die Version des Angeklagten, wonach die Frau dabei war, die Fahrbahn zu queren, er sie also seitlich erwischte, ist ausgeschlossen.“

Der Experte erläuterte, dass die Frau nach dem Zusammenstoß über die Motorhaube rechts vom Auto rutschte – und damit aus dem Blickfeld des Angeklagten. „Er konnte sie nicht sehen“, stellte der Sachverständige fest. Das ist deshalb wichtig, weil der Angeklagte danach laut Gutachten mindestens ein Mal aufs Gas getreten und das Opfer dabei „teilweise überrollt“ hatte. Der Rechtsmedizinerin zufolge, die am Dienstag ihr Gutachten vorstellte, könnte dieses Überrollen ursächlich für die letztlich tödliche Kopfverletzung gewesen sein.

Für die Erklärung der Staatsanwaltschaft, dass die Frau zwischen BMW und Mauer eingeklemmt worden sei, gebe es hingegen keine Spuren an der Mauer. Plausibel erscheine viel eher, dass die Frau zwischen Auto und Mauer lag. Das stimmt mit der Aussage der Rechtsmedizinerin überein: Wäre die 71-Jährige tatsächlich zwischen BMW und Mauer eingequetscht worden, hätten laut der Medizinerin schwerere Verletzungen die Folge sein müssen. Der KfZ-Sachverständigte erklärte schließlich: „Dass die Frau an die Mauer gedrückt oder gequetscht wurde, kann ich ausschließen.“

Psychiatrischer Gutachter analysiert Persönlichkeit des Angeklagten

Der Persönlichkeit des Angeklagten widmete sich daraufhin der psychiatrische Gutachter. Er zeichnete das Bild eines jungen Mannes mit „Intelligenz im niedrigen Bereich“, der zwar nicht an einer psychischen Störung leide, der dafür aber eine hohe Risikobereitschaft, Selbstüberschätzung, geringes Verantwortungsbewusstsein und ein „archaisches Verständnis von Männlichkeit“ an den Tag lege. „Das sind trotz seines Alters eigentlich eher typisch jugendliche Einstellungen.“ Er attestierte dem 22-Jährigen, es mit der Wahrheit nicht immer so genau zu nehmen: „Er neigt dazu, Dinge, die dem Bild widersprechen, das er gerne von sich vermitteln würde, zu verschweigen.“

Auch der Cannabis-Konsum des Angeklagten war zwar Thema, der Experte sah jedoch keine Hinweise darauf, dass die Tat „in einem Rauschzustand“ begangen wurde. Die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt.

Auch interessant