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Ukraine-Kinderstar lebt in Hilders - Kino-Film feiert am 5. Januar Premiere

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Statt Texte für Filmrollen lernt die Ukrainerin Khrystyna nun vor allem Deutsch.
Statt Texte für Filmrollen lernt die Ukrainerin Khrystyna nun vor allem Deutsch. © privat

Eiseskälte - trotzdem harrt in der Rhön im Landkreis Fulda eine Gruppe Menschen gebannt vor dem Adventsfenster in der Ortsmitte aus. Zweistimmig singen zwei Mädchen das ukrainische Lied „Schtschedryk“. Nicht die Temperaturen, ihr Gesang vermittelt ein Gänsehaut-Gefühl.

Hilders - Die Qualität des Singens kommt nicht von ungefähr: Tatsächlich handelt es sich bei der zwölfjährigen Khrystyna Uschytsktska um einen Kinderstar. Die Flucht aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine hat sie in die Rhön im Landkreis Fulda verschlagen.

In der Ukraine feierte Familie Uschytsktska Weihnachten als fröhliches Familienfest, zumal Khrystynas Mutter Anna am 25. Dezember Geburtstag hat. „Keiner hätte vor einem Jahr gedacht, dass sich unser Leben acht Wochen später so drastisch verändern, dass all unsere Pläne und Erwartungen zunichte sein würden“, sagt Anna Uschytsktska.

Fulda: Ukraine-Kinderstar lebt in Hilders - Premiere für Kino-Film am 5. Januar 

Bis dahin schien einer Schauspielkarriere ihrer Tochter nichts im Wege zu stehen. Mit vier Jahren hatte das dunkelhaarige Mädchen mit den braunen Augen kleine Rollen in Filmen und Theaterstücken übernommen. Es folgten Auftritte in mehr als 15 Filmen und Serien.

Für ihre Rolle im Kurzfilm „Geschafft“ erhielt sie ihre erste Auszeichnung. Im Januar 2022 wurden die Dreharbeiten zu der Familienserie „Baby Guard“ abgeschlossen, in der sie eine junge Spionin in „Wonder Woman“-Manier verkörpert (lesen Sie auch hier: Fuldaer Bischof fordert Solidarität mit Menschen, die in Diktaturen verfolgt werden).

Zur gleichen Zeit eroberte das Kriegsdrama „Carol of the Bells“, in dem Khrystyna ein polnisches Mädchen während des Zweiten Weltkriegs darstellt, auf internationalen Filmfestivals unter anderem in Südkorea, Kanada, Polen und Italien die Herzen der Zuschauer.

In wenigen Wochen, am 5. Januar 2023, feiert der Film in der Ukraine Premiere – in Kinos, deren Stromversorgung funktioniert. Khrystyna, Anna und deren Mutter Svitlana Bevk können nicht dabei sein. Allerdings werden die Verwandten in der Heimat, allen voran Khrystynas Vater und Großvater, versuchen, den Film anzuschauen.

Fulda: Statt Texte für Filmrollen lernt Khrystyna nun vor allem Deutsch

Svitlana Bevk ist gelernte Schauspielerin. Sie war nach ihrer Familienpause zur Intendantin des Stadttheaters Borispol „Berezil“ aufgestiegen. Zurzeit ist das Theater geschlossen. Die Ensemblemitglieder seien ebenfalls geflohen, erläutert Bevk.

Als im Frühjahr die russischen Truppen die Region um das 25 Kilometer von Borispol entfernte Kiew erreichten, brach sie sofort mit ihrem 27-jährigen Sohn auf, weil dieser als Diabetiker auf Insulin angewiesen ist und die Familie Versorgungsengpässe bei dem lebenswichtigen Medikament befürchtete.

Der Film:

Im Kinostreifen „Carol of the Bells“, der 2020 gedreht wurde, geht es um eine jüdische, eine polnische und eine ukrainische Familie, die während des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit freundschaftlich zusammenleben und die Gefahren der deutschen und später russischen Besatzung gemeinsam überstehen. Dabei dient das Volkslied „Schtschredyk“ als Leitmotiv für den Film. Auf YouTube gibt es den Film-Trailer zu sehen.

Der Vater fuhr Frau und Sohn nach Deutschland, kehrte selbst aber wieder in die Heimat zurück. Er hilft dort als Freiwilliger, passt auf das Haus der Familie auf und stellt die Versorgung seiner Schwiegermutter sicher. Denn die Uroma weigerte sich standhaft zu fliehen. „Auch jetzt, wo die Lage immer schwieriger wird, beharrt sie darauf, dass es ihr gut gehe“, seufzt ihre Tochter.

Svitlanas Tochter Anna zögerte ebenfalls, mit ihren Kindern Khrystyna und dem damals dreijährigen Platon den Weg ins sichere Deutschland anzutreten, wo Mutter und Bruder in Hilders auf sie warteten. Denn sie wollte ihren Mann nicht zurücklassen. Als Bauarbeiter werde dieser in der Ukraine gebraucht, so Anna.

Anna Uschytsktska kam mit ihren Kindern ohne Gepäck in Deutschland an

Als sie jedoch von dem Massaker im etwa 30 Kilometer entfernten Butscha hörte, nutzte Anna Hals über Kopf eine Gelegenheit, mit ihren Kindern nach Berlin zu gelangen. Anna Uschytsktska hat die Kiewer Elite-Universität „Taras Shevchenko“ absolviert und bis zu Khrystynas Geburt als Fernsehjournalistin gearbeitet.

Seitdem widmet sie sich ausschließlich der musischen Förderung ihrer Kinder. Neben nachmittäglicher Musik-, Mal- und Tanzschule fand Khrystyna in Borispol nach Schulschluss außerdem Zeit, Rollen einzuüben – für Auftritte in dem Theater, das ihre Oma leitete. Schulaufgaben erledigte sie abends.

Statt Texte für Filmrollen lernt die Ukrainerin Khrystyna nun vor allem Deutsch.
Khrystyna mit ihrer Mutter Anna (rechts) und ihrer Großmutter Svitlana Bevk. © Sandra Limpert

Noch lieber als auf der Bühne stand sie vor der Kamera. Die Dreharbeiten für Filme fanden überwiegend in den dreimonatigen Sommerferien statt. „Am besten gefiel mir die Atmosphäre am Set“, erinnert sie sich. Jetzt lernt das aufgeweckte Mädchen nicht mehr Texte für Filme und Theaterstücke, sondern büffelt Deutsch in der Ulstertalschule Hilders.

Anna Uschytsktska kam mit ihren Kindern ohne Gepäck in Deutschland an, während ihre Mutter persönlich wichtige Dinge wie Fotoalben und zwei Ikonen hatte mitnehmen können. Im Fotobuch mit Erinnerungen aus Khrystynas Schulzeit von 2019 bis 2021 sieht man sie und Mitschüler in einer modern eingerichteten Schule, mit einer fröhlichen Lehrerin, die sich mit Regenschirm an der Spitze einer Schülerpolonäse präsentiert.

Auf einer anderen Buchseite werfen Jungen und Mädchen ausgelassen Herbstlaub in die Luft. Eine solche Klassengemeinschaft hat Khrystyna in Deutschland bislang nicht erfahren – und das vermisst sie. In Hilders lernen die ukrainischen Kinder an dem Mittelstufengymnasium in separaten Klassen zunächst Deutsch.

Am besten gefiel mir die Atmosphäre am Set

Khrystyna Uschytsktska

Mit einheimischen Gleichaltrigen sitzen sie nur wenige Stunden gemeinsam in der Klasse - und dies zudem ohne eigene Lehrbücher. Um den Fachunterricht muss sich Khrystyna also selbst kümmern. Nachmittags versucht sie, den Online-Unterricht ihrer Schule in Borispol nachzuholen. Außerdem erhält sie online weiterhin Gesangs-, Klavier- und Musikunterricht.

Über Youtube hat sie sich selbst das Zeichnen von Körperproportionen beigebracht, – weil dies für das Entwerfen von Kleidungsstücken nützlich sei. Auch, wenn Mutter und Großmutter in ihr eine künftige Schauspielerin sehen, gibt die Zwölfjährige auf die Frage nach ihrem Traumberuf eine ganz andere Antwort: Das vielseitig begabte Kind schwankt zwischen Modedesignerin und Sängerin.

Dass sie hervorragend singen kann, hat Khrystyna nicht nur beim lebendigen Adventskalender, sondern auch während der Jubiläumsfeier der Ulstertalschule mit einem ukrainischen Volkslied und beim Heimatfest im August mit einem Popsong unter Beweis gestellt. (Von Sandra Limpert)

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