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Drohender Erdgas-Engpass durch Ukraine-Krieg: Wann werden Privathaushalte vom Netz genommen?

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Von: Volker Nies

Rhön-Energie-Chefs Martin Heun und Arnt Meyer sprechen im Interview über die Folgen für Haushalte und Unternehmen, wenn das russische Erdgas wegbleibt.
Rhön-Energie-Chefs Martin Heun und Arnt Meyer sprechen im Interview über die Folgen für Haushalte und Unternehmen, wenn das russische Erdgas wegbleibt. © Photocreo Bednarek/stock.adobe.com; Volker Nies

Der Ukraine-Krieg rüttelt die Energie-Märkte kräftig durch. Wie die RhönEnergie-Geschäftsführer Martin Heun (58) und Dr. Arnt Meyer (50) die Situation für osthessische Kunden bewerten, lesen Sie im Interview.

Fulda - Die RhönEnergie in Fulda bereitet sich mit ihrer Mitarbeitern auf den Fall der Fälle vor – den Fall, dass Putin den Gashahn zudreht. Vor allem für Firmenkunden könnte das gravierende Folgen haben. Im Folgenden berichten die beiden Geschäftsführer, wie sie im Worst-Case reagieren.

Seit Freitagnachmittag will Putin angeblich nur noch Rubel für Erdgas akzeptieren, er öffnet aber eine Hintertür für Euro und Dollar. Was er genau will, ist unklar. Wie gehen Sie als regionaler Gasversorger damit um?

Heun: Wir haben keine Anhaltspunkte, dass jetzt eine Gasverknappung ansteht. Das sehen auch die Märkte so. Das heißt für uns, dass wir weiter alles tun, um die Versorgung unserer Kunden mit Gas und Strom sicherzustellen. (Lesen Sie auch: Aufruf zum Handeln - Experten fordern Importstopp von Öl und Gas aus Russland)

Aber Sie sind vorsichtiger geworden.

Heun: Natürlich. In der RhönEnergie-Gruppe sind wir doppelt herausgefordert: Auf der Netzseite müssen wir die Versorgungssicherheit herstellen, in der Beschaffung sind wir mit steigenden Preisen konfrontiert.

Meyer: Wir sind sehr wachsam. Seit Mittwoch gilt bundesweit die Frühwarnstufe des Notfallplans für die Gasversorgung. Wir beobachten aber schon länger intensiv den Markt, die Situation unserer Lieferanten, die Füllstände der Speicher und die ankommenden Gasmengen.

Gas-Knappheit durch Ukraine-Krieg - Werden Endverbraucher abgeschaltet?

Was bedeutet die von Wirtschaftsminister Habeck ausgerufene Frühwarnstufe für die RhönEnergie?

Heun: Das bedeutet, dass wir uns die Situation aus Sicht der Gasnetze genau ansehen. Aber damit haben wir schon begonnen, bevor Berlin die Frühwarnstufe ausrief.

Wann haben Sie damit begonnen?

Heun: Als in der Ukraine die ersten Schüsse fielen, haben wir uns gefragt: Was bedeutet eine Extremsituation für die Region? Ganz fremd ist das Szenario für uns nicht: 2006 hatte die Ukraine eine Gasleitung aus Russland blockiert. Aber das war nur wenige Tage.

Sie wissen jetzt nicht, wie lange die Lage ohne Versorgungsengpässe anhält. Das sorgt ihre Kunden.

Heun: Wir haben Industriekunden, die Gas für ihre Produktion einsetzen, wir haben Industriekunden mit hohem Heizbedarf. Wir sprechen mit jedem einzelnen Großkunden – über seinen Verbrauch, über mögliche Alternativen, über zeitliche Vorläufe, die er benötigt, und andere Themen. Wir sammeln diese Informationen für den Fall, dass die dritte Stufe des Notfallplans durch die Bundesregierung ausgerufen wird, um handlungsfähig zu sein.

Meyer: In der Frühwarnstufe wird im Bundeswirtschaftsministerium ein Krisenstab gebildet. Dem gehören unter anderem die Bundesnetzagentur, Betreiber von Gasspeichern und die Betreiber der Fernleitungen an. Die Verteilnetzbetreiber wie unser Haus sitzen nicht mit am Tisch, wir sind aber aufgefordert, Informationen über die Struktur und den Verbrauch unserer Verbraucher zu geben: Also etwa: Welcher Verbrauch wäre steuerbar? Wie viel verbrauchen Haushaltskunden? Was geht in die Industrie? Wir müssen noch keine konkreten Handlungen ausführen.

Gasknappheit durch Ukraine-Krieg - Werden Privatkunden abgeschaltet?

Privatkunden sprechen Sie nicht an?

Meyer: Nein. Der Staat hat festgelegt, dass private Haushalte zuletzt abgeschaltet werden würden. Mit den größeren Kunden besprechen wir unter anderem: Welcher Verbrauch ließe sich ersetzen? Mit diesen Gesprächen haben wir schon begonnen.

Wie viele Unternehmens- und wie viele Privatkunden haben Sie?

Heun: Wir haben deutlich unter 500 Firmenkunden, davon 250 Großkunden. Zudem versorgen wir 32.000 Haushaltskunden. (Lesen Sie hier: Experte erklärt - So können Sie Energie sparen)

Wie verteilt sich der mengenmäßige Verbrauch auf Unternehmen und Haushalte?

Heun: Die Privatkunden in unserem Gasnetz verbrauchen im Jahr rund eine Milliarde Kilowattstunden, die Gewerbekunden 2,3 Milliarden Kilowattstunden. Entscheidend ist, welche Verbraucher in unserem Versorgungsgebiet Gas abnehmen. Für Großkunden außerhalb unseres Versorgungsgebiets sind wir in diesem Fall, also aus Netzsicht, nicht verantwortlich. Wenn es etwa um einen unserer Kunden in Nordrhein-Westfalen geht, ist es der dortige Netzbetreiber, der den Kunden im Fall der Fälle auf Anweisung der Bundesnetzagentur aus dem Netz nehmen muss. 

Wie hoch ist der Anteil russischen Erdgases in Ihrem Netz?

Meyer: Das wissen wir nicht. Wir beziehen ja nicht direkt aus Russland, sondern von knapp 70 Handelspartnern. Wo diese es kaufen, entzieht sich unserer Kenntnis. Bundesweit liegt der Anteil russischer Lieferungen derzeit bei knapp 40 Prozent. Das dürfte bei uns ähnlich sein.

Wer wird vom Netz genommen? Liste bestimmt Reihenfolge

Wenn Sie auf Anweisung der Bundesnetzagentur Kunden abschalten müssen, dann sind Unternehmen ganz oben auf der Liste. Haben sich einige Chefs bereits besorgt bei Ihnen gemeldet?

Heun: Ja, natürlich. Aber wir wären in diesem Fall nicht Herr des Verfahrens. Wenn ein Unternehmen überzeugt ist, dass seine Produktion besonderen Schutz genießen soll, dann muss es die Bundesnetzagentur davon überzeugen. Wir als Netzbetreiber müssen uns an die Regeln halten, die die Bundesnetzagentur und die einschlägigen Branchenregeln vorgeben.

Besonderen Schutz nach dem Gesetz genießen private Haushalte, Fernwärme-Kunden, bei denen ein Brennstoff-Wechsel nicht möglich ist, sowie kritische Einrichtungen wie Krankenhäuser und staatliche Verwaltungen. Diese Kunden sind insofern geschützt, als zunächst alle anderen Verbraucher abgeschaltet werden müssen.

Es wird also eine Liste geben, auf der festgelegt ist, welche Unternehmen zunächst vom Gas genommen werden. Wer legt die Reihenfolge fest? Die Bundesnetzagentur?

Meyer: Das hängt von der konkreten Versorgungssituation ab. Es kann sein, dass die Netzagentur unternehmensscharf festlegt, wer abgeschaltet wird. Es kann aber auch sein, dass sie regionalen Netzbetreibern sagt, welchen Prozentsatz sie einsparen müssen und nach welchen Kriterien sie dann selbst entscheiden sollen. Wir bereiten uns bestmöglich auf unterschiedliche Szenarien vor.

Heun: Es ist ja nicht so, dass im Fall eines russischen Lieferstopps gar nichts mehr kommt. Die anderen Lieferanten liefern weiter. Allerdings werden dann auch die Preise enorm steigen.

Ihr Unternehmen hat seit den 1960er Jahren enge Beziehungen zu Gaskunden aufgebaut. Jetzt müssen Sie vielleicht Unternehmen abschalten – Unternehmen, für die es nach dem Abschalten um die Existenz geht. 

Heun: Die Aussicht auf die Möglichkeit, abgeschaltet zu werden, ist für jedes Unternehmen alarmierend. Aber den Unternehmen ist klar, dass wir ja weiter gern liefern würden, wenn wir weiter Gas bekommen. Am Ende des Tages sind wir hier nur Erfüllungsgehilfe des Staats. 

Meyer: Diese Situation wühlt uns natürlich auf. Aber Teil unserer Aufgabe war immer auch, uns auf mögliche Engpässe vorzubereiten. Für diese Lage gab und gibt es immer Notfallpläne. Aber dass eine längerfristige Unterversorgung droht, das haben wir alle noch nicht erlebt. Wir hoffen alle, dass es nicht zu Stufe 3 des bundesweiten Notfallplans mit Zwangsabschaltungen kommt. Aber wir sind darauf vorbereitet, wenn es so weit kommt.

Vorbereitungen auf den Fall der Fälle

Wie sind Sie vorbereitet, außer indem Sie prüfen, wen Sie abschalten könnten?

Meyer: Es ist ein wesentlicher Teil der Vorbereitung zu wissen, wo und wann wir eingreifen könnten. Aber nochmal: Wir wissen nicht, wie die Situation dann konkret wäre und welche Vorgaben die Netzagentur uns machen würde. Den einen Plan, der in allen Fällen greifen würde, den gibt es nicht.

Heun: Zur Vorbereitung gehören auch ganz praktische Fragen: Wenn an einer Gasleitung ein Unternehmen und viele Haushaltskunden hängen, dann darf das Abschalten der Firma nicht dazu führen, dass die Haushalte kein Gas bekommen. Wir kennen die neuralgischen Punkte unserer Netze, aber noch einmal genauer draufschauen, das schadet nicht.

Sie sagen, Sie bereiten sich auf den Fall X vor. Wären Sie gewappnet, wenn Putin schon morgen den Gashahn wirklich zudreht?

Meyer: Wenn Putin den Gashahn morgen zudrehen würde, dann hinge schon viel davon ab, wie morgen das Wetter ist. Ist es kalt, dann wird eher mehr Gas gebraucht. Dann ist die Frage, wie lange die bundesweiten Puffer halten. Das Gasnetz ist ein Puffer, auch die Speicher puffern. Wir werden also nach aktuellem Stand nicht von einem auf den anderen Tag Kundenmaßnahmen ergreifen. Die Speicher sind zu 26 Prozent gefüllt – so hoch wie zum gleichen Zeitraum 2021. 

Bleiben wir in unserem Szenario: Putin schaltet morgen ab. Wie schnell müssten Sie reagieren? 

Meyer: Erst einmal müsste das Wirtschaftsministerium handeln. Es müsste im Notfallplan Stufe 2, also die Alarmstufe, und vielleicht sogar Stufe 3, die Notfallstufe, ausrufen. Erst in der dritten Stufe würde die Bundesnetzagentur Anweisungen geben. Wie schnell sie das macht, wird derzeit sicher in den Krisenstäben in Berlin besprochen. 

Lieferstopp: So wäre die RhönEnergie betroffen

Sie tragen nicht nur Verantwortung für die Region, sondern auch für Ihr eigenes Unternehmen. Was bedeutet die Unsicherheit für die RhönEnergie?

Heun: Die Mitarbeiter sind besorgt. Selbst die erfahrenen Beschäftigten, die seit 40 Jahren dabei sind, haben so etwas noch nicht erlebt. Die Energiebeschaffung wird seit jeher durch ein Risikokomitee flankiert, das die Markt- und Preisentwicklung beobachtet. Wir blicken auf die Liquidität, die erforderlich ist, um die Lieferanten für die Mengen an Strom und Gas zu bezahlen. Im Umgang mit den Marktrisiken haben wir Erfahrung. Der Markt ist schon eine ganze Weile aus den Fugen. Aber jeder hofft, dass es nicht zum Lieferstopp kommt, denn die Folgen für die Region wären dramatisch. 

Wie würde ein russischer Lieferstopp die RhönEnergie selbst treffen?

Meyer: Es ist ja nicht so, dass wir dann gar kein Gas mehr transportieren und an unsere Kunden liefern würden. Es wird Gas aus anderen Quellen geben. Im Vergleich zu anderen Versorgern sind wir wirtschaftlich gut aufgestellt. Wir haben eine sehr stabile Liquidität und haben uns in den vergangenen Jahren deutlich entschuldet. 

Das hohe Preisniveau und die hohe Volatilität der Preise belasten das Unternehmen aber?

Heun: Ja. Wenn Sie für eine Kilowattstunde auf dem Beschaffungsmarkt im Vergleich zu vor zwei Jahren heute das Dreifache zahlen müssen, dann müssen Sie mehr Geld drehen. Das belastet die Liquidität und erhöht das Risiko enorm, das wir beim Ausfall von Marktpartnern für die Wiederbeschaffung von Mengen haben. Die Ausschläge sind gewaltig.

Video: Gas-Chef: Diese Optionen hat Deutschland jetzt

Ein bisschen Gas produziert die RhönEnergie selbst – Biogas in der Biothan-Anlage. Welche Mengen produzieren Sie da?

Heun: Das ist leider nicht viel. Das macht zwei Prozent unseres Gesamtabsatzes bei den Haushaltskunden aus. Damit können wir niemanden retten. Aber es wäre schön, wenn die Bundesregierung die Krise zum Anlass nähme, die Gaserzeugung aus Abfällen zu fördern. Unsere Anlage ist mit 0,0 Euro gefördert worden. Und nur wenige Biogas-Anlagen produzieren überhaupt Gas, das sich ins Erdgasnetz einspeisen lässt. 

Wünschen Sie, dass die Kernkraftwerke länger laufen?

Heun: Ich kann nicht beurteilen, ob das technisch ginge. In Europa sind wir aber in der Lage, den Strombedarf auch ohne die deutschen Kernkraftwerke zu decken. 

Sollten Kohlekraftwerke länger laufen?

Heun: Wir werden Kohlekraftwerke vermutlich länger sehen, als es noch vor wenigen Monaten in mancher Regierungserklärung den Anschein hatte. Es hat jeder verstanden, dass Versorgungssicherheit und nationale Autarkie einen gewissen Wert haben. Das Abschalten der Kohlekraftwerke dürfte sich nach hinten ziehen.

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