Diese Folgen hat der Ukraine-Krieg für die Wirtschaft in Osthessen
Der Ukraine-Krieg trifft die Wirtschaft in einer Phase, in der diese sich noch nicht von der Corona-Pandemie erholt hat und unter Lieferengpässen ächzt. Welche Auswirkungen des Konflikts spüren Akteure in Osthessen?
Osthessen - „Es fällt schwer, über Außenwirtschaftsdaten zu schreiben, während Ukrainer für ihr Land und ihre Freiheit sterben. Aber da sich die erste Reaktion des Westens im Wesentlichen auf Proteste und Sanktionen, vor allem wirtschaftlicher Art, konzentriert, ist es sicher angebracht, sich näher mit möglichen Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft zu befassen“, erläutert Dr. Gunther Quidde, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern.
Zu den wirtschaftlichen Hintergründen sagt Quidde: „Russland hat schon seit vielen Jahren, auch in jüngster Zeit, wirtschaftliche Kontakte nach Deutschland, Hessen und immer wieder auch in den Main-Kinzig-Kreis. Besonders hoffnungsvoll gestalteten sich zuletzt auch die Kontakte in die Ukraine. Mir sind Unternehmen aus dem Main-Kinzig-Kreis bekannt, die Niederlassungen oder sogar Tochterfirmen in der Ukraine haben. Neben Maschinenbaufirmen und Elektrotechnikspezialisten arbeiten auch einige Großhändler und IT-Firmen in der Ukraine.“ (Lesen Sie auch: Fulda fordert Frieden: Mehr als 500 Menschen besuchen Mahnwache für Ukraine)
Ukraine-Krieg: Das sind die Folgen für die Wirtschaft in Osthessen
Mit Blick auf die gehandelten Waren führt Quidde aus: „Russland liefert Rohstoffe, nicht nur Öl und Gas, sondern auch Edelmetalle und Seltene Erden. Das sind fast die einzigen weltmarktfähigen Exportgüter, und sie gelangen deshalb auch zu uns. Die Handelsbilanz Hessens - für den Main-Kinzig-Kreis selbst wird das nicht ausgewiesen - berücksichtigt dabei längst nicht alles, sie bildet zum Beispiel keine Transportleistungen ab, die Unternehmen des MKK in beide Staaten vollbringen.“
Dennoch „lohnt“, so Quidde, „ein Blick auf die Zahlen“: Hessen exportierte 2021 für gut eine Milliarde Euro Waren nach Russland, das sind zwar sechs Prozent mehr als im Vorjahr, aber nur etwa 1,5 Prozent aller hessischen Exporte. „Insgesamt liefern wir weniger nach Russland als wir weltweit an Pkw und Wohnmobilen exportieren. Und Sie wissen, dass wir in Hessen nicht viele Automobilwerke und Wohnmobilhersteller haben“, sagt Quidde.
„Ein armes, aber hochgerüstetes Land überfällt ein noch ärmeres, schwachgerüstetes“
Noch schwächer ist es um die Ukraine bestellt: Hessens Exporte sind gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent auf 190 Millionen Euro gestiegen. Quidde dazu: „Das sind aber gerade mal 0,3 Prozent der hessischen Exporte - oder anders formuliert: Hessen exportiert an 41 Millionen Ukrainer weniger als an Norwegen, das 36 Millionen weniger Einwohner hat. Da Hessen, anders als oft vermutet, mehr im- als exportiert, bilden russische Rohstoffe eine nennenswerte Größe, dennoch umfasst der Import aus Russland doch nur 3,7 Prozent aller hessischen Einfuhren. Importe aus der Ukraine machten im Jahr 2021 sogar nur 0,08 Prozent des hessischen Imports aus“, führt Quidde aus.

„Anders formuliert: ein armes, aber hochgerüstetes Land überfällt ein noch ärmeres, schwachgerüstetes“ bewertet Quidde die Lage. Seine Einschätzung: „Die wirtschaftlichen Konsequenzen für den Main-Kinzig-Kreis und Hessen insgesamt sind auch bei harten Sanktionen gering. Deshalb muss die Politik vor ihrer Anwendung auch nicht zurückschrecken. Ob das allerdings der Ukraine im Kampf um ihre Unabhängigkeit noch hilft, weiß ich nicht!“
Steigende Energie- und Rohstoffpreise belasten Unternehmen in Fulda
„Im Landkreis Fulda gibt es zwar nur wenige Unternehmen, die wirtschaftliche Beziehungen zur Ukraine und nach Russland pflegen. Nach unserem Kenntnisstand handelt es sich hier um rund 50 Betriebe, von denen einige allerdings zu den größten Arbeitgebern der Region zählen“, berichtet Michael Konow, Hauptgeschäftsführer der IHK Fulda.
„Wir gehen davon aus, dass die Ukraine-Krise zu einem starken Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise mit Auswirkungen auf die gesamte regionale Wirtschaft führen könnte“, führt Konow aus. Bereits in der letzten Konjunkturumfrage der IHK Fulda im Januar 2022 sahen demnach 71 Prozent der befragten Unternehmen steigende Energie- und Rohstoffpreise als großes Risiko für die kurzfristige geschäftliche Entwicklung. (Lesen Sie auch: RhönEnergie Fulda senkt Zuschlag: Etwas bessere Tarife für die Opfer von Billiganbietern)
Kreishandwerkerschaft rechnet mit Lieferketten-Dauerproblemen
„Handwerksbetriebe brauchen, wie alle Unternehmen, verlässliche Rahmenbedingungen zum erfolgreichen Wirtschaften. Dieses stabile Umfeld ist in den letzten Monaten zunehmend verloren gegangen, und in Folge des Ukraine-Konfliktes müssen wir mit einer Verschärfung der Situation rechnen“, führt Gabriele Leipold, Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Fulda, aus.
Störungen oder gar der Abbruch von Lieferketten, Materialengpässe in Verbindung mit Preissteigerungen aber auch steigende Energiepreise waren schon zuvor ein Problem - auch durch die Corona-Pandemie. „Die Hoffnung, dass es sich hierbei nur um eine vorübergehende Entwicklung handelt, kann mit dem Kriegsgeschehenen in der Ukraine jetzt wohl endgültig begraben werden“, sagt Leipold.
RhönEnergie und JUMO bewerten Lage durch Ukraine-Krieg
„Derzeit ist die geopolitische Lage besorgniserregend und nicht vorauszusehen. Wir können derzeit die Situation nur beobachten“, erklärt die RhönEnergie Fulda-Gruppe. Die momentane Lage werde die Schwankungsbreite - die sogenannte Volatilität - der Energiemärkte weiter befördern. Der osthessische Versorger beruhigt aber seine Kunden: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir im Erdgas kein Mengenbeschaffungsproblem, unsere Versorgungssicherheit ist derzeit nicht betroffen.“
Die JUMO ist schockiert über die Entwicklung in der Ukraine. „Unsere Gedanken sind jetzt bei den Menschen vor Ort, vor allem bei den Mitarbeitern der Handelsvertretung in Kiew, mit der JUMO zusammenarbeitet“, sagt Geschäftsführer Dimitrios Charisiadis.
Die geplanten Sanktionen würden Auswirkungen auf den Umsatz mit Russland haben. „Da JUMO aber auf ein weltweites Netz aus 25 Tochtergesellschaften und mehr als 50 Niederlassungen setzen kann, werden die Folgen für den Gesamtumsatz wohl nicht dramatisch sein.“ Es sei aber noch zu früh, um über mögliche Konsequenzen - etwa im Energiesektor oder in Bezug auf Lieferketten - zu spekulieren.