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Ukraine-Krieg: Fast 3000 Geflüchtete im Kreis Fulda registriert - Helferin spricht über ihre Arbeit

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Von: Alina Komorek

Daria und Alexander wohnen seit März in Eichenzell. Sie sind mit einem Hilfskonvoi nach Fulda gekommen, den Mariia Köstler begleitet hat.
Daria und Alexander wohnen seit März in Eichenzell. Sie sind mit einem Hilfskonvoi nach Fulda gekommen, den Mariia Köstler begleitet hat. © Alina Komorek

Fünf Monate ist es nun her, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Inzwischen wurden 2943 Menschen, die geflüchtet sind, im Kreis Fulda registriert. Mariia Köstler kommt selbst aus der Ukraine und unterstützt ukrainische Familien hier in Fulda. 

Fulda - Immer, wenn Mariia Köstler zu einem Termin kommt, der mit dem Krieg in der Ukraine zu tun hat, flattert etwas Blau-Gelbes an ihrer Kleidung herum. Und jedes Mal wird es etwas mehr.

Seit dem 24. Februar, als Russland den Überfall auf die Ukraine begann, hat sie blau-gelbe Bänder um die Türgriffe ihres Autos gebunden. Diesmal trägt sie ein Perlenarmband in den Farben der ukrainischen Flagge, außerdem hat sie in ihrer Tasche OP-Masken mit den Nationalfarben und trägt ein T-Shirt, auf dem die ukrainischen Worte stehen: „Guten Abend, wir kommen aus der Ukraine.“

Mariia Köstler im Gespräch über ihre Heimat und die Menschen aus der Ukraine.
Mariia Köstler im Gespräch über ihre Heimat und die Menschen aus der Ukraine. © Jacqueline Kleinhans

Diesen Satz, das erzählt die 42-Jährige, hat Vitaliy Kim geprägt, Gouverneur der Oblast Mykolajiw, der seit Beginn des Krieges die Öffentlichkeit sucht. Ein banaler Satz, der als Signal wirkt: Mittlerweile handelt es sich um ein geflügeltes Wort für Ukrainerinnen und Ukrainer, es ist ein Satz, der Kraft spendet. (Lesen Sie auch: „Ich musste die Kinder da rausholen“ - Ukrainische Mutter kommt mit Hilfskonvoi nach Fulda)

Ukraine-Krieg: 3000 Geflüchtete im Kreis Fulda - „Kinder wollen zurück“

„Das T-Shirt habe ich von einer Familie bekommen, der ich geholfen habe“, erzählt Köstler. Sie wohnt seit etwa vier Jahren in Fulda - der Liebe wegen hat sie die Ukraine verlassen. Sie kennt sich aus mit der Organisation, der Bürokratie, den Abläufen in Deutschland. Eine genaue Zahl, wie vielen Menschen, die nach ihrer Flucht im Landkreis angekommen sind, sie schon geholfen hat, kann sie nicht nennen. Aber es gibt eine Telegram-Gruppe, in der 600 Leute sind.

Wenn jemand aus der Ukraine Hilfe braucht – meist für Übersetzungen bei Behördengängen, Arztterminen oder Anmeldungen – kümmert sie sich darum. In Notfällen ist Köstler immer erreichbar. „Das ist die Absprache: Wenn ein Anruf kommt, weiß ich, dass es sich um einen Notfall handelt.“

Immer, wenn neue Familien, meist Frauen mit ihren Kindern, in Fulda ankommen, hilft Köstler ihnen bei den ersten Schritten. Doch auch Deutsche, das betont sie, würden immer wieder viel helfen können. Köstlers Vorteil sei eben die Sprache. Als sie vor einigen Jahren nach Deutschland kam, sei alles Bürokratische im Zusammenhang mit dem Aufenthaltstitel, also eine Arbeitsgenehmigung für die Erwachsenen oder eine Schulanmeldung für die Kinder, wesentlich komplizierter gewesen.

Es habe sich außerdem ein Schneeball-System entwickelt: Diejenigen Familien, denen Köstler geholfen hat, helfen wiederum denjenigen, die nach ihnen ankommen. „Viele möchten etwas tun, sie wollen helfen“, erklärt die 42-Jährige.

Video: Ukrainisches Kinderheim in Deutschland eröffnet

Weil sie fast jeden Tag Menschen trifft, die vor und während der Flucht schreckliche Dinge erlebt haben, die geliebte Menschen zurücklassen mussten oder gar verloren haben, kann sie die emotionale Lage der Menschen einschätzen: „Es gibt viel professionelle psychologische Hilfe von Menschen, die aus der Ukraine kommen und deshalb die Sprache sprechen.“ Aber häufig würde Hilfe abgelehnt, weil viele - vor allem Männer, darunter Soldaten - nicht als schwach oder psychisch krank gelten wollten. (Lesen Sie auch: Reha-Klinik Wüsthofen behandelt drei Ukraine-Kriegsopfer)

Kinder wiederum reagierten erstaunlich gefestigt auf die Situation: „Kinder wollen zurück, ihnen fehlt die Ukraine – obwohl sie sich hier wohlfühlen.“ Aber die ukrainische Heimat sei eben das Zuhause. Gleichzeitig lernten die Kinder wahnsinnig schnell die neue Sprache – „und unterhalten sich sonst eben mit Händen und Füßen“, sagt Köstler und lacht.

Schwierig sei die Situation aufgrund der Schulpflicht in Deutschland: Die Kinder nehmen oft sowohl am deutschen als auch am ukrainischen Unterricht teil. Denn der Unterricht wird von der Ukraine aus über das Internet übertragen, und gleichzeitig seien die ukrainischen Kinder verpflichtet, eine deutsche Schule zu besuchen. Dadurch lernten sie zwar schnell Deutsch, aber lebten weiterhin in zwei Welten. Das hält den Wunsch, wieder in den verlorenen Alltag zurückzukehren, ständig präsent.

In der Ukraine haben die Kinder drei Monate Ferien, in denen sie an Seen fahren, die Großeltern besuchen, im Meer schwimmen.

Mariia Köstler, Ukrainerin, lebt seit vier Jahren in Fulda

Ein weiterer Nachteil: In der Ukraine haben die Kinder den ganzen Sommer über Ferien. „Drei Monate“, sagt Köstler und denkt dabei an ihre Kindheit zurück. „Drei Monate, in denen wir an Seen fahren, die Großeltern besuchen, im Meer schwimmen.“ Dagegen fühlten sich die sechs Wochen Sommerferien, die nach dem letzten Schultag am Freitag anstehen, ziemlich kurz an, findet Köstler.

Sie selbst ist in Gedanken von Fulda aus fortwährend bei ihren Eltern und allen, die in der Ukraine sind. Wenn es nicht für die Liebe gewesen wäre, das betont sie, hätte sie ihre Heimat nie verlassen. Sie versteht, dass die meisten, die aus der Ukraine geflüchtet sind, hoffen, bald wieder zurückkehren zu können. Als sie nach dem Gespräch zum Auto geht, flattert aus ihrer Handtasche an ihrem Schlüsselbund ein blau-gelber Anhänger.

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