Auch jetzt seien sich die allermeisten Menschen mit russischen Wurzeln in Fulda in der Bewertung einig, dass es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriff handele. „Es gibt allerdings einige ältere Bürger, die nicht gut deutsch sprechen und die nur russisches Fernsehen und Radio konsumieren und nur russische Zeitungen lesen. Diese Bürger haben Vorstellungen vom Krieg, die wir hier nicht akzeptieren können“, sagte die Rodnik-Geschäftsführerin.
Zwischen den Kritikern des Überfalls und denen, die ihn rechtfertigen, gebe es dann schon einmal lautstarken Streit. „Handgreiflich wird das aber nicht.“
Dass die Atmosphäre zwischen Ukrainern und Russen in Fulda vielleicht doch gereizter ist, als Larissa Timpel es beschreibt, darauf deutet die Aussage eines anderen Sprechers der russisch-sprachigen Gemeinschaft in Fulda, der sich nach eigenen Angaben um Ausgleich bemüht. Am Ende eines langen Gesprächs mit der Redaktion bittet er darum, seine Aussagen nicht zu veröffentlichen. „Egal, was Sie über mich schreiben, es wird in diesen Tagen falsch verstanden werden.“
Die Atmosphäre zwischen deutschen und russischen Bürgern Fuldas scheint aber bislang nicht gestört zu sein. „Dass man Bürger mit russischen Wurzeln in Haftung nimmt für Putins Aggression, das habe ich bisher nur ganz selten gehört. Pöbeleien oder Hänseleien nach dem Motto, ‚unmöglich, was Ihr Russen da in der Ukraine macht‘, habe ich lediglich aus Schulen gehört.“
Die Rodnik-Geschäftsführerin berichtet, dass sich der Verein jetzt darum bemühe, in der Ukraine zu helfen. „Wir werden alles tun, was in unseren Möglichkeiten steht“, sagt Timpel.
Die Stadt Fulda erklärt unterdessen, sie halte an den seit mehr als drei Jahrzehnten bestehenden Kontakten nach Russland, insbesondere in die Partnerstadt Sergiew Posad, fest. „Die auf Ebene der Kommunen geknüpften Freundschaften und Kooperationen dürfen nicht verloren gehen, denn sie bilden die Basis für das Vertrauen in die internationalen Beziehungen“, sagt Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld (CDU). Schon bei der Solidaritätskundgebung für die Ukraine am Samstag in Fulda hatte sich der OB ausdrücklich zur Städtepartnerschaft mit Sergiew Posad bekannt.
Der OB ergänzt, dass die Städtepartnerschaft mit Sergiew Posad nicht so sehr von offiziellen Institutionen als vielmehr von einer Reihe von sehr engagierten Menschen in Fulda und Sergiew Posad getragen würden. „Diese privaten Kontakte und persönlichen Freundschaften verleihen der Städtepartnerschaft ein Fundament, das auch in Krisenzeiten tragen kann“, sagt der OB.
Gleichzeitig will die Stadt Fulda in der Krise helfen: „Wir rechnen hier in der Stadt Fulda mit Flüchtlingen aus der Ukraine und sind bereits dabei, Möglichkeiten der Unterkunft zu prüfen“, sagt Wingenfeld. „Wir werden uns selbstverständlich solidarisch zeigen und Menschen aufnehmen, die vor diesem durch nichts zu entschuldigenden Angriffskrieg fliehen.“
Wingenfeld sagt, er gehe davon aus, dass Bund und Land die Rahmenbedingungen für die Aufnahme von Flüchtlingen schafften. In der Frage befinde er in seiner Funktion als Präsident des Hessischen Städtetags bereits in enger Abstimmung mit Hessens Innenministerium. In den vergangenen Tagen hätten sich viele Fuldaer Bürger, Vereine und Institutionen gemeldet und ihre Bereitschaft zu tatkräftiger Hilfe und Unterstützung erklärt, berichtet der Oberbürgermeister.
„In unserer Stadt leben – als unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger - 400 Personen mit ukrainischer und 2000 Personen mit russischer Staatsbürgerschaft friedlich zusammen, noch viel mehr Menschen haben Wurzeln in einem dieser Länder. Dieses Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten auf der Basis unserer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung macht unsere Gesellschaft aus.“ Alle seien nun gefordert, für Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa und der Welt einzustehen und diese Werte gegen Aggressoren und Autokraten zu verteidigen.
Weitere Berichte von Betroffenen lesen Sie in der Printausgabe der Fuldaer Zeitung vom 2. März 2022 oder in unserem E-Paper.