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„Spaziergang“ gegen Corona-Maßnahmen - Welcher Typ Mensch geht montags auf die Straße?

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Von: Volker Nies

Die Polizei hat in Fulda einen sogenannten Montagsspaziergang gestoppt.
Was für ein Typ Mensch geht montags auf die Straße, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren? Der Verfassungsschutz liefert eine erste Einschätzung. © Fuldamedia

Die Polizei erwartet, dass es am nächsten Montag in Fulda zu weiteren „Spaziergängen“, also nicht angemeldeten Versammlungen, kommt. Dementsprechend bereitet sie sich vor.

Fulda - „Wir sammeln intensiv Informationen und bereiten uns vor, um bei Bedarf der Lage angepasste Einsatzmaßnahmen durchführen sowie auf mögliche Entwicklungen reagieren zu können“, sagt Polizeisprecher Dominik Möller. „Der Kräfteansatz orientiert an sich an den Erfahrungen zurückliegender Einsätze.“ Bereits am Neujahrstag waren Gegner der Corona-Regeln durch die Fuldaer Innenstadt gezogen. Eine Woche darauf eskalierte der Spaziergang in Fulda - es kam gar zu einem Angriff auf einen Polizisten. Die Ermittlungen zu diesem Vorfall dauern noch an.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) wird gegenüber unserer Zeitung deutlicher: „Alle Polizeibeamten werden zu erhöhter Sensibilität angehalten. Darüber hinaus wird die Polizei ihre Präsenz der Lage angepasst verstärken.“ Sollte ein „Spaziergang“ die Kriterien einer Versammlung erfüllen, so werde „die Polizei vor Ort die verfügten Auflagen, Anordnungen, Auflösungen, Ausschlüsse oder Verbote im Rahmen des rechtlich Zulässigen durchsetzen“, erklärt der Innenminister.

Fulda: Gegen die Corona-Maßnahmen - Wer geht montags auf die Straße?

Die osthessische Polizei verfolge aber weiter keinen konfrontativen, sondern einen kommunikativen Ansatz und setze auf die Einsicht und Kooperation der Bürger, versichert Sprecher Möller: „Wir weisen die Menschen in Gesprächen oder über Lautsprecherdurchsagen früh auf die Rechtslage und mögliche Auflagen hin. Sollte es jedoch nötig sein, werden Verstöße aber auch konsequent verfolgt.“

Drei Verfahren laufen

Nach der Versammlung vom vergangenen Montag laufen bei der Staatsanwaltschaft Fulda drei Ermittlungsverfahren. Das berichtet Sprecherin Dr. Christine Seban.

Das erste Verfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte richtet sich gegen einen 35-Jährigen aus Neuhof. Wegen des Pfeffersprayeinsatzes läuft ein Verfahren gegen zwei Polizeibeamte wegen möglicher gefährlicher Körperverletzung. Dabei ist die Frage, ob der Einsatz rechtmäßig war. Ein drittes Verfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz richtet noch gegen Unbekannt.

In Schweinfurt wurden einen Tag nach einem „Spaziergang“ vier Personen im beschleunigten Verfahren zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt.. „Beschleunigte Verfahren wären auch in Fulda möglich. In den hier genannten Verfahren ist dies aber nicht beabsichtigt“, sagt Seban. / vn

Doch welche Art von Mensch nimmt überhaupt an den „Spaziergängen“ teil? Für die Demonstranten in Fulda haben die Ermittler keine genauen Erkenntnisse. Aber für die Szene in Hessen hat der Verfassungsschutz Informationen gesammelt.

„Die Szene der Gegner gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist sehr verschieden ausgeprägt und weist eine äußerst heterogene Zusammensetzung auf“, erklärt der Landes-Verfassungsschutz unserer Zeitung. „Im Zusammenhang mit Veranstaltungen in Hessen konnten Impfkritiker, Anhänger von Verschwörungsideologien und Esoteriker, aber auch Extremisten – darunter gewaltorientierte Rechtsextremisten – und Angehörige der ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ festgestellt werden.“

Die Corona-Proteste hätten mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 begonnen. Mit mehreren Großveranstaltungen hätten sie einen Höhepunkt erreicht, dann seien sie im Sommer 2021 wieder abgeflaut. Mit der aktuellen Verschärfung der Pandemie und der staatlichen Maßnahmen würden Gegner wieder aktiv.

Video: Polizei stoppt Corona-„Spaziergang“ in Fulda

Die Szene der Kritiker der Corona-Maßnahmen meldeten Kundgebungen an, aber sie initiierten auch vermehrt „Spaziergänge“. „Das Landesamt für Verfassungsschutz registriert, dass in Hessen eine Vielzahl von Initiativen auftreten. Unter den Gruppierungen finden sich nicht nur Ableger der hessischen Querdenken-Bewegung, sondern auch andere Gruppierungen, die zum Teil nur regional oder kurz in Erscheinung treten.

„Wir gehen davon aus, dass die Programmatik der Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen für gewaltorientierte Akteure anschlussfähig ist. Wir sehen die Gefahr, dass die Agitation gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung und insbesondere die Verbreitung von Verschwörungserzählungen als Radikalisierungsbeschleuniger wirken und zum aktiven Widerstand motivieren könnte.“

Die andauernde Verbreitung von Verschwörungsideologien könne Einzelpersonen und Gruppen radikalisieren. „Verschwörungsideologien sind grundsätzlich dazu geeignet, zur Legitimation selbst von schwersten Gewaltstraftaten herangezogen zu werden“, warnt die Sicherheitsbehörde. Das Protestgeschehen werde von Extremisten als Aktionsfläche und Agitationsraum genutzt, um ihre extremistische Ideologie zu verbreiten. Das zeige sich in der Teilnahme von Rechtsextremisten sowie Angehörigen der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ an entsprechenden Veranstaltungen.

Verfassungsschutz warnt: Extremisten nutzen „Spaziergänge“ aus

Bei einer Protestveranstaltung am 4. Dezember in Frankfurt seien Mitglieder und Sympathisanten der rechtsextremistischen Partei „Der III. Weg“ aufgetreten. Der Verfassungsschutz sehe mit Sorge, dass sich die Kritiker der Corona-Maßnahmen selbst dann nicht von Rechtsextremisten abgrenzten, wenn diese offen und unter dem Label einer bekannten rechtsextremistischen Partei auftreten. Das Landesamt sehe die Gefahr, dass „Der III. Weg“ die Proteste nutze, um mit Nicht-Extremisten in Kontakt zu kommen. Auch die NPD Hessen nehme an „Spaziergängen“ teil. (Lesen Sie hier: Mit dem Corona-Ticker für Hessen bleiben Sie immer auf dem neusten Stand)

Innenminister Beuth warnt vor einer Radikalisierung von Teilen der Querdenker-, Corona-Leugner- und Impfgegner-Szene. „Ob Querdenker oder Corona-Skeptiker: Wir werden keine Einschüchterungen oder Bedrohungen von Amtsträgern oder Mitbürgern dulden, die auf die Einhaltung der Regeln achten. Wer zu Gewalt aufruft oder sie anwendet, bekommt harte Konsequenzen der Strafverfolgungsbehörden zu spüren.“

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