Bestatter aus Nordhessen fährt Tote mit dem Lastenrad

Mit dem Lastenrad kann man fast alles transportieren - auch Tote. Der Kasseler Bestatter Jürgen Dahlfeld überführt Tote mit seinem Transportrad. Ihm geht es nicht nur um Nachhaltigkeit.
Kassel – Selbst an den steilen Bergen Kassels braucht Bestatter Jürgen Dahlfeld seinen Volvo nicht mehr. Der 61-Jährige hat sich ein Transportrad des Kasseler Start-ups Veload zugelegt. Vier Bestattungen hat Dahlfeld zuletzt damit vorgenommen. Selbst der lange Anstieg von seinem Standort am Heilhaus in Rothenditmold zum Augustinum am Habichtswald war mit dem Gefährt dank Hilfsmotor kein Problem, berichtet hna.de.
Hessen: Kasseler Bestatter fährt Tote mit dem Lastenrad
Die Angehörigen hat er jeweils vorher gefragt, ob das okay sei. Niemand hatte etwas dagegen. Im Gegenteil. Ein Enkel einer Verstorbenen, der Nachhaltigkeit studiert, war so begeistert, dass er ein Foto von Dahlfelds ungewöhnlichem Rad wollte.
In der Fahrrad-Hauptstadt Kopenhagen machte ein Bestatter mit Lastenrad schon vor einem Jahrzehnt Schlagzeilen. Und ein Rad mit Sarg des Oldenburger Künstlers Michael Olsen war voriges Jahr im Kasseler Sepulkralmuseum ausgestellt. Trotzdem fragen sich viele: Ist das angebracht? Und ist das erlaubt?
Ja, ist es. Bereits vor acht Jahren hatte Dahlfeld an seinem Stand beim Umweltfest Tag der Erde eine Broschüre ausgelegt, die aufklärte, dass lediglich Kraftfahrzeuge für die Überführung von Toten beim Tüv gesondert zugelassen werden müssen. Für Kutschen und Lastenräder gilt so etwas nicht. Dahlfeld sagt: „Man hat halt bestimmte Vorstellungen vom Beruf des Bestatters.“ Er selbst steht nicht im schwarzen Anzug in der Tür, wenn er sich mit Angehörigen trifft. Und bei kurzen Überführungswegen verzichtet er nun auf das Auto.
Dem Vater dreier Kinder geht es auch bei seinem Bestattungsunternehmen „Das Zeitliche segnen“ um Nachhaltigkeit. Insgesamt 15 000 Euro hat er sich das Veload-Gefährt kosten lassen, das auch einen großen Kasten der Rothenditmolder Firma TrackCase hat, in dem der Sarg sicher transportiert wird. „Ich wollte ein Start-up mitanschieben, da muss sich das Ganze nicht eins zu eins rechnen“, sagt Dahlfeld.
Dirk Pörschmann findet die Idee super. Der Direktor des Sepulkralmuseums wundert sich über kritische Reaktionen: „Mittlerweile müsste auch der Letzte erkennen, dass wir in einer Welt leben, die auch wegen unserer Passion für motorisierte Fahrzeuge auf den Abgrund zurast.“ Fragt man ihn, ob man einen Bestatter mit Lastenrad pietätlos finden kann, ist er erst recht erstaunt. Pietätlos sei das gar nicht: „Pietätlos ist es, wenn ein Dutzend Särge in Lkws zu weit entfernten Krematorien gefahren werden, weil die günstiger arbeiten.“
Dahlfeld hat sein privates Auto schon vor acht Jahren abgeschafft. „Seitdem bewältigen wir unseren Alltag problemlos ohne Auto“, sagt der gelernte Schreiner, der auch Särge für Kinder anfertigt und Trauerfeiern gestaltet. Zweimal im Monat nutzt die Familie ein Carsharing-Angebot.
Auch herkömmliche Lastenräder sind immer noch ein Nischenprodukt, aber Radhändler Phil Neddermann verkauft vereinzelt auch Gefährte an Handwerker. Buchhändler Lothar Röse von der Hofbuchhandlung Vietor fährt per Lastenrad Literatur aus.
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Ein Veload-Transportrad ist das SUV unter den Lastenrädern. Innerhalb eines Jahres hat das Start-up zehn Räder verkauft – etwa an den Bioladen Schmackes. Auch eine Osnabrücker Familie mit einem Kind im Rollstuhl nutzt ein Veload-Rad als Autoersatz. In diesem Jahr will die Sieben-Mann-Firma mit Sitz im Science Park der Uni die Produktion auf zwei Räder im Monat hochfahren.
Gründer Fabian Berger weiß jedoch, dass der Markt schwierig ist. 14 000 Euro für ein Veload sind nicht gerade billig. Dahlfeld hat eine staatliche Förderung von 2500 Euro in Anspruch genommen. Für ihn ist das Rad auch eine Entschleunigung: „Man fährt mit dem Rad bewusster als mit dem Auto.“
Museumsleiter Pörschmann wünscht sich, dass Dahlfelds Rad die Sichtbarkeit des Todes erhöht. „Unsere Dienstleistungsgesellschaft tut alles, die Sterbenden, die Leichen und den Tod aus unserem Sichtfeld zu verbannen“, sagt er. Bislang sieht man an Dahlfelds Rad nicht, dass er Bestatter ist. „Es geht ja darum, wer gestorben ist und nicht, wer der Bestatter ist“, sagt er. Demnächst will er aber seinen Firmennamen anbringen. (Matthias Lohr)