Der Gedanke, dass ihre Töchter ohne sie aufwachsen müssen und sich irgendwann nicht mehr an sie erinnern könnten, war für Corinne Kasan nach der Diagnose das Schlimmste. Schon jetzt erkennen die Zwillinge ihre Mutter nicht mehr auf den Fotos, die vor der Krankheit entstanden sind.
Um zu verhindern, dass die Töchter ihre Stimme vergessen, fing Corinne Kasan kurz nach der Diagnose an, Kassetten zu besprechen. „Ich bin total unstrukturiert vorgegangen, und bin dabei vom Hundertsten ins Tausendste gekommen.“ Eine Freundin wurde auf das Projekt „Familienhörbuch“ aufmerksam. Corinne Kasan nahm Kontakt auf und erhielt Unterstützung von Profis.
Die gemeinnützige Initiative „Familienhörbuch“ unterstützt todkranke Eltern minderjähriger Kinder beim Erstellen einer Audiobiografie – und das komplett kostenlos. Die Kölner Radiojournalistin Judith Grümmer hat das Projekt ins Leben gerufen. 2017 wurden dank der Förderung der Rhein-Energie-Stiftung die ersten 25 Hörbücher produziert. Nach dem Tod des Vaters oder der Mutter helfen diese den Hinterbliebenen vor allem den Kindern beim Trauern.
Doch auch für die Erkrankten selbst sei die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit eine wichtige Erfahrung, betont Kasan. Auch wenn die Krankheit die vergangenen Monate dominiert hat: „Es gibt so viele schöne Momente, die ich mit meinem Mann und meinen Kindern erlebt habe und für die ich zutiefst dankbar bin.“
Gemeinsam mit einer ausgebildeten Biografin überlegte sich Corinne Kasan eine Reihe von Themen. Darunter die Idee, auf Fragen zu antworten, die ihre Töchter später womöglich stellen. „Wer waren meine Eltern? Wie waren meine Kinder als Babys? Habe ich Mathe in der Schule genauso wenig gemocht wie sie?“ Nur eins der Kapitel beschäftigt sich mit der Krankheit, denn diese „war nicht das, was mich ausgemacht hat“.
Die langen Interviews mit der Biografin haben ihr geholfen, ihre Gedanken zu sortieren, sagt die Sombornerin. „Das geht einfach nicht allein.“ Dennoch war sie in allen Entscheidungen frei. Nachdem das Skript stand, schickte die Initiative ihr ein Aufnahme-Set nach Hause. Ein Tontechniker half bei Mikrofon und Rekorder. Als sie ihren Text aufgesprochen hatte, schickte sie das Paket zurück nach Köln.
Knapp zwei Monate später liegt das fertig geschnittene Hörbuch vor. Es sind fünf Stunden geworden. „Ich hätte sicherlich noch zehn weitere Stunden erzählen können, aber es soll nicht anstrengend sein.“ Und es soll laut sein, zumindest am Ende. Mit Musik am Schluss. „Sonst merkt ja keiner, dass man dagewesen ist“, sagt Kasan.
Sie ist einerseits erleichtert und glücklich, denn „es war wie eine Therapie, über mein Leben zu sprechen“. Andererseits ist es schmerzhaft, die Aufnahme zu hören: „Es klingt so, als wäre mein Leben vorbei. Aber das ist es ja noch nicht.“
Im Nachwort sagt sie ihren Familienangehörigen: „Es ist mir wichtig, dass ihr euch sicher seid, dass ich euch von ganzem Herzen liebe. Dass ich glücklich bin, dass ich alles hatte, was ich mir gewünscht habe. Ich liebe euch, macht’s gut.“ Das Hörbuch soll ihre Familie ein Leben lang begleiten. „So kann auch ich sie in gewisser Weise begleiten. Diesen Gedanken finde ich wunderschön.“ (von Matthias Abel)