Strafandrohung für Besuch in Steinau: Vor fast 400 Jahren wurde der Bergwinkel von der Pest heimgesucht

Eine Epidemie oder gar eine weltumspannende Pandemie, wie die durch das Coronavirus verursachte, prägen den Alltag der Menschen. Sie bleiben auch über viele Generationen präsent – und die Gegenmaßnahmen ähneln einander. Das zeigen Recherchen des Ulmbacher Heimatforschers Horst Kunz.
Ulmbach - Der 78 Jahre alte ehemalige Vorsitzende des Heimat- und Kulturvereins hat Vorträge über die unterschiedlichsten Aspekte der Geschichte des Dorfes gehalten. In geschichtlichen Abhandlungen wird häufig auf schwere Krankheiten eingegangen, denen in vergangenen Jahrhunderten große Teile der Bevölkerung zum Opfer fielen.
Eine Seuche, die immer wieder genannt wird, ist die Pest. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts – Europa litt unter dem Dreißigjährigen Krieg – wütete der „Schwarze Tod“ auch im Bergwinkel und Vogelsberg. „Wie viele Pesttote es in Ulmbach gegeben hat, ist nicht bekannt“, sagt Kunz. Allerdings deuten in manchen Gemarkungen Flurnamen auf die Epidemie hin: „Ich bin in Freiensteinau aufgewachsen. Dort gibt es die Pesterau. Das ist ein Sumpfgebiet, wo Pesttote verscharrt wurden.“ (Lesen Sie hier: Bürgermeister Christian Zimmermann tritt sein Amt in Steinau an)
Die Gebote, Verbote und Einschränkungen während der Corona-Pandemie „sind für viele Zeitgenossen eine schwere seelische Belastung. Viele leiden unter der Einsamkeit. Einzelhandel, Gastgewerbe und andere Unternehmen bangen um ihre Existenz“, fasst er die bekannte Situation zusammen, die seit einem Jahr die Welt beherrscht, und ergänzt: „Alles schwere Einschnitte stellen unseren gewohnten Tagesablauf auf den Kopf.“
Parallelen zur Corona-Krise: Vor fast 400 Jahren wütete die Pest im Bergwinkel
Was diese Einschätzung mit der Geschichte zu tun hat? Sehr viel. Sie erinnert Kunz an einen 23-seitigen Beitrag von Dr. Manfred Tschaikner im Mitteilungsblatt 2019 des Zentrums für Regionalgeschichte des Main-Kinzig-Kreises. Dort habe der Österreicher, der als wissenschaftlicher Archivar und Abteilungsleiter im Vorarlberger Landesarchiv in Bregenz tätig ist, über das Vogelsbergdorf geschrieben.
Bei seiner Ahnenforschung sei Tschaikner darauf gestoßen, so erzählt Horst Kunz, dass ein Vorfahr aus Ulmbach stammte. Also habe er begonnen, die Gerichtsbücher des fuldischen Amtes Ulmbach der Jahre 1593 bis 1634 durchzuarbeiten, die im Hessischen Staatsarchiv Marburg lagern.
Kunz: „Abgesehen von der Tatsache, dass für Menschen die von der Pest heimgesucht wurden, die Krankheit in den meisten Fällen tödlich verlief und man die Corona-Pandemie heute nicht mehr als Strafe Gottes ansieht, sind doch einige Parallelen erkennbar“, hat er beobachtet.
Hintergrund
Aus einer Verordnung des fuldischen Amtes Ulmbach vom Mai 1630 nach Ausbruch der Pest in dem Vogelsbergdorf: „das der getrewe gott uns allbereits mit schwehrer straff der erschröcklich – und abschewlichen bößen seuchte der pestilenz so herttiglich heimbgesucht, damit nicht zu noch höherer straffe anlass gegeben werden möchte.“
Als Beispiel führt er einen von Tschaikner in seinem Artikel zitierten Erlass des Gerichts vom Mai 1630 an (siehe „Hintergrund“). Beim Michaelisgericht 1631 sei es den Bürgern des Kirchspiels „streng verboten, sich nach Steinau und Hundsrück zu begeben, da dort wie davor schon in Ulmbach die Pest crassirt“. Außer einer Strafe von 20 Reichstalern sollten Zuwiderhandelnde, wie Kurz aus Tschaikners Text in der originalen Schreibweise zitiert, „dazu noch das gericht zu reumen verbunden sein.“ Trotz der herschenden Pest hätten sich beim letzten Markttag „in Steinau nämlich viele Nachbarn aus Ulmbach eingefunden und dero massen sich bezecht gemacht, das man genugsam davon hören können“.
Freiheitseinschränkungen und Besuchsverbote gab es schon vor fast 400 Jahren
„Freiheitseinschränkungen und Besuchsverbote gab es also auch schon vor fast 400 Jahren. Zuwiderhandlungen wurden für die damaligen Verhältnisse hart bestraft. Trotzdem wurden sie, wie man den Einträgen entnehmen kann, von einigen verantwortungslosen Zeitgenossen nicht befolgt“, analysiert der Ulmbacher Heimatforscher und nennt einen Unterschied zu heutigen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung: „Eine Maskenpflicht für die Bevölkerung gab es damals zwar noch nicht. Jedoch schützten sich die Ärzte und Heilkundigen, deren Tätigkeiten sich überwiegend auf die Ausstellung von Totenscheinen beschränkte, mit einer Maske, welche in der Nasenpartie ein schnabelartiges Gebilde hatte. Die Ärzte wurden deshalb auch Doktor Schnabel genannt.“
Nach dem Ende solcher Epidemien wurden vielerorts sogenannte „gelobte Tage“ eingeführt, an denen der überstandenen Gefahr gedacht wurde. In Ulmbach ist seit 1774 eine jährliche Bittprozession von Ulmbach nach Klesberg schriftlich nachweisbar. Noch im Mai 2019 nahm eine große Zahl Gläubiger den Fußmarsch auf sich.
Heimatforscher Horst Kunz hat eine Quelle gefunden, wonach „um Gottes Segen und gedeihliches Wetter für die Feldfrüchte und die Abwendung von Gefahren und Nöten gebetet“ werde. Und weiter: „Wahrscheinlich entstand der gelobte Tag der Ulmbacher Bevölkerung für das Überleben der Pest.“