Fall Birgit Rösing: Polizei geht von einem Kapitalverbrechen aus

Mülheim/Sinntal - Im Fall der vermissten Birgit Rösing (58) – nach der mit einer Hundertschaft im Sinntal gesucht wurde – wird ein Verbrechen immer wahrscheinlicher. Die Tochter hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Von Stefan Kober (WAZ) und Tim Bachmann
„Liebe Mama, wenn du das liest, dann komme bitte schnell zu uns zurück, wir vermissen dich unheimlich und denken jede Sekunde an dich“, schreibt die junge Frau auf ihrem Facebook-Profil. Den Suchaufruf teilten mehr als 10.000 Nutzer. Doch Birgit Rösing ist bis heute verschwunden. Längst liegt der Fall bei der Polizei beim KK 11. Dem Kommissariat, in dem auch Tötungsdelikte untersucht werden. „Der Fall beschäftigt uns besonders intensiv“, sagt dessen Leiter Bodo Buschhausen. „Es ist wahrscheinlich, dass Rösing Opfer eines Kapitalverbrechens geworden ist.“
Die Mülheimerin ist zuletzt am Mittwoch, 26. September, gegen 22 Uhr von ihrem Mann und ihrem Sohn im gemeinsamen Haus gesehen worden. Schnell werden die Ermittler stutzig, dass die damals 58-Jährige aus freien Stücken verschwunden sein könnte. Es gab keinen Abschiedsbrief, es gab keine suizidalen Absichten. „Komplett ausgeschlossen“, sagt die Polizei. Sie galt als zuverlässig und fürsorglich, hatte eine enge Bindung zu ihren vier Kindern. „Sie war das emotionale Zentrum der Familie“, sagt der leitende Staatsanwalt Martin Mende.
Rösing lässt alles Persönliche zurück: Bankkarte, Ausweis, Handy, Bargeld, Auto. „Wo soll jemand hin, der nichts dabei hat, und warum? Es gibt keinen Grund für das Verschwinden“, sagt Kommissionsleiter Stephan Merscheim.
Am 1. Oktober gehen die Ermittler an die Öffentlichkeit. Dann setzt die Polizei die Suche fort – bis in unsere Region. Am 9. Oktober schlagen sogenannte Mantrailer-Hunde am Haus an. Sie führen die Beamten zur nahen A 3 und von dort in Richtung Süden. Bis kurz vor Frankfurt. Immer wieder wird die Autobahn in kurzen Abschnitten gesperrt, damit die Hunde erneut die Fährte aufnehmen können. Zwei Tiere witterten dabei unabhängig voneinander, um die Spurenlage zuverlässiger machen zu können, erklärt Kommissionsleiter Merscheim. Schließlich geht es in ein riesiges Waldgebiet in der Rhön, nahe Breunings. Tagelang folgen die Ermittler den Spuren.
„Die Route hat uns elektrisiert“, sagt Staatsanwalt Mende. Denn in einem Pachtgebiet in der Rhön ist ein Teil der Familie regelmäßig jagen gegangen. Die Vermisste soll allerdings nicht dazu gehört haben. Mehr als 100 Polizeischüler suchten das Gebiet oberflächlich ab. Zwei Tage lang. Ohne Erfolg. Fünf Leichenspürhunde kamen zum Einsatz. Sie schlugen nicht an.
Zwei Aspekte stellen die Polizei noch vor Rätsel: Knapp drei Stunden, nachdem Rösing letztmals gesehen worden ist, will der Sohn nicht näher definierbare „Geräusche“ im und vor dem Haus gehört haben, die die Polizei bislang nicht hat zuordnen können. Rösing arbeitete seit dem Auszug der drei jüngsten Kinder bis zu ihrem Verschwinden nebenbei in einer Wohneinrichtung für Demenzkranke. Eine Beschäftigung, die sie sehr geliebt haben soll. Dort meldete sie sich aber am Tag ihres Verschwindens für den Folgetag ab, weil sie am Donnerstag um 14.30 Uhr einen „Termin“ hätte haben sollen. Wo, mit wem und warum, haben die Ermittler bis heute nicht klären können. „Das ist ein Mosaikstein, der uns fehlt“, sagt Staatsanwalt Mende.