„Früher war nicht alles besser“

Schüchtern - Wolfgang Bosbach ist eine echte CDU-Größe. Seit 47 Jahren ist er für seine Partei unterwegs. Doch während seines Referats am Mittwochabend in der fast vollbesetzten Stadthalle spielte Parteipolitik eher eine untergeordnete Rolle.
Von unserem Redaktionsmitglied Tim Bachmann
„Der freundliche Empfang tut mir gut. Aus Umfragen weiß ich: Etwa 80 Prozent finden Politiker doof. 90 Prozent freuen sich, wenn sie einen sehen. Wie kommt das?“ Mit dieser Frage hatte der Referent das Publikum schon in seinen Bann gezogen. Da fiel es kaum auf, dass Bosbach, der über die „Halbzeit in Berlin – und worauf es nun in der großen Koalition ankommt“ referieren sollte, dies geflissentlich ignorierte und vielmehr zahlreiche andere Themen ansprach. Dafür nahm er sich eine gute Stunde Zeit. Eine Stunde, die wie im Nu verging, wusste er die einzelnen Themen doch gekonnt durch Anekdoten und markige Sprüche in Szene zu setzen.
So wurde er vor Kurzem von einer Frau angesprochen. „Positiv geschätzt war sie wohl Anfang 60. Sie fragte mich: ‚Sind Sie nicht der Herr Bosbach?‘ Ich: ‚Ja.‘ Sie: ‚Ich kenne Sie aus dem Fernsehen.‘ Ich: ‚Ja.‘ ‚Können wir ein Selfie machen?‘ Ich: ,Ja.‘ Sie: ‚Meine Mutter ist ein großer Fan von ihnen.‘“, das Publikum lachte herzhaft.
„Es gibt heute deutliche Verbesserungen.“
„Es gibt nicht nur den Optimisten und den Pessimisten“, sagte Bosbach. „Es gibt auch den Rheinländer. Halbvoll? Halbleer? Egal. Ich muss trinken, was im Glas drin ist“, scherzte der Bergisch Gladbacher über seine Herkunft, um dann anzufügen, dass er „halber Hesse“ ist: „Meine Eltern haben sich 1943 kennengelernt auf einer Zugfahrt zwischen Weilburg und Wetzlar. Meine Mutter war 15 Jahre, Berufschülerin und auf dem Weg zur Schule nach Wetzlar. Mein Vater war dort stationiert. Er hatte das unangenehmere Reiseziel. Er war auf dem Weg zur Ostfront.“ Und er habe ihr gesagt: „Wenn ich den Krieg überlebe und wiederkomme, dann finde ich dich. Und dann heiraten wir.“ Warum er das Private erzählte, erklärte er wie folgt: „Sie wissen nicht, wie viele Nostalgiker immer noch sagen: ‚Früher war alles besser.‘“ Bosbach widerlegte dies mit einer weiteren Anekdote: „Meine Großeltern sind damals nicht zur Hochzeit meiner Eltern gekommen, weil meine evangelische Mutter einen katholischen Mann geheiratet hat. Sie sind nicht zur Taufe meiner Schwester gekommen. Erst zu meiner Taufe. Damals saßen Männer und Frauen getrennt voneinander in der Kirche. Früher war nicht alles besser. Es gibt heute deutliche Verbesserungen.“
400 Veranstaltungen im Jahr
Inzwischen ist der ehemalige Bundespolitiker, der vor nunmehr zwei Jahren aus dem Bundestag ausgeschieden ist, auf 400 Veranstaltungen im Jahr unterwegs. „Früher hat meine Frau geklagt, ich sei nie da. Heute klagt sie, ich sei immer weg.“
Ein Entertainer
Zur „großen Politik“ gab er den Zuhörern mit: „Wählen Sie nie einen Politiker, der nicht herzhaft lachen kann. Wenn der an die Macht kommt, haben Sie nichts mehr zu lachen.“ In der Politik gehe es um Vertrauen. Dann gab er Einblicke in die Bundes- und Europapolitik mit Blick auf 70 Jahre Grundgesetz und 30 Jahre Mauerfall. „Damals kam eine junge Frau aus der Sauna auf die leergefegten Straßen Ost-Berlins und fragte, was denn los sei. Ja, Angela Merkel hat den Mauerfall in der Sauna verpasst“, scherzte Bosbach, ehe er über die Entwicklung der Märkte philosophierte. Kurzweilig, eloquent – wie ein guter Entertainer.