1. Fuldaer Zeitung
  2. Kinzigtal

„Bonnie und Clyde“ auf Beutezug durch Deutschland: Betrüger-Quartett landet vor Hanauer Landgericht

Erstellt:

Gerichtssaal
Die Staatsanwaltschaft fordert für den Hauptangeklagten dreieinhalb Jahre Haft. (Symbolbild) © Swen Pförtner/dpa/Symbolbild

Strafrechtlich geht es im Prozess um ein Betrüger-Quartett aus Köln vor dem Hanauer Landgericht um eine perfide Betrugsmasche, die Einlassungen der Angeklagten offenbaren aber auch zwischenmenschliche Dramen: Ehebruch, Lügen, Drogen und das vermeintlich schnelle Geld.

Hanau - Die Staatsanwaltschaft Hanau (Main-Kinzig-Kreis) sieht zum Abschluss der Beweisaufnahme die Vorwürfe bestätigt und fordert für den Hauptangeklagten dreieinhalb Jahre Haft wegen Betrugs in besonders schwerem Fall, für die drei mitangeklagten Frauen Bewährungsstrafen zwischen acht Monaten und anderthalb Jahren wegen Beihilfe.

Hanau: „Bonnie und Clyde“ auf Beutezug - Drama vor Gericht

Der Hauptangeklagte Samir B., seine Ehefrau Hüsna sowie Aynur S. und Filiz T. (alle Namen geändert) sollen in unterschiedlicher Tatbeteiligung bei einer Betrugsmasche mit dem Modus Operandi „falsche Polizisten“ mitgewirkt haben. Dabei werden ältere, zumeist alleinstehende Menschen mittels Telefonanrufen gezielt verunsichert und so dazu gebracht, ihre EC-Karten und weitere Vermögensgegenstände vermeintlichen Polizeibeamten auszuhändigen. (Lesen Sie auch: Falsche Polizisten in Osthessen unterwegs: Trickbetrüger ergaunern vierstellige Summe)

Die Drahtzieher operieren aus dem Ausland, im vorliegenden Fall von der Türkei aus. Die Funktion des angeklagten Quartetts lag in der Abholung von Bankkarten, Bargeld oder Schmuck bei den Opfern und der Überweisung der erbeuteten Summen auf unterschiedliche Konten in Deutschland und der Türkei.

Das erste Opfer ist am 1. März 2021 eine 85-jährige Hanauerin, in ähnlicher Vorgehensweise bringen sie anschließend vier weitere betagte Damen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein um ihr Geld, ehe am 16. April 2021 in einer Kieler Postbankfiliale die Handschellen klicken. Dort hat Samir B. Geld vom Konto einer 76-Jährigen aus Rendswühren abgehoben, im Anschluss will Filiz T. gerade eine Überweisung vom Konto des Opfers tätigen. Doch dazu kommt es nicht mehr. Ohne es zu wissen, sind die beiden längst ins Visier der Polizei geraten.

Ein „Freundschaftsdienst“ sei es zunächst gewesen, sagt Samir B. vor Gericht über die Taten. Jener „Freund“ ist ein Mithäftling aus der JVA Dieburg, wo B. 2009 einsaß. Der lebt mittlerweile in der Türkei und fragt, ob er etwas für ihn abholen könne. B., zu diesem Zeitpunkt ohne Job, chronisch knapp bei Kasse und regelmäßiger Marihuana- und Kokainkonsument, sagt zu. Und spannt mangels Fahrerlaubnis und fahrbarem Untersatz seine damalige Freundin als Chauffeurin ein – Aynur S.

Trickbetrüger geben sich als Polizisten aus

Seit einem Vierteljahr zieht er mit seiner Flamme nachts durch Kölner Bars und Restaurants, während seine Frau mit Kleinkind und Babybauch in der gemeinsamen Zwei-Zimmer-Wohnung sitzt. Hüsna B. ringt im Gerichtssaal sichtlich um Fassung, als die Ex-Affäre ihres Mannes sehr detailreich schildert, wie der ihr die Trennung von seiner Frau versprochen habe, die er nicht liebe und nur auf Drängen seiner konservativen Eltern hin geheiratet habe, weil sie schwanger war.

„400 bis 500 Euro, maximal einmal 800 Euro“ habe er für seine Kurierdienste erhalten, sagt Samir B., zuzüglich seiner Auslagen für Benzin, Essen, Getränke und Hotelübernachtungen, sofern diese nötig waren. Seine Freundin habe kein Geld bekommen, lediglich kleine Geschenke – mal ein Parfum, mal eine Tasche. Das bestätigt auch Aynur S., deren Darstellung ansonsten erheblich von der ihres Ex-Freundes abweicht, den sie im Gerichtssaal keines Blickes würdigt. Sie will vom kriminellen Hintergrund ihrer „Ausflüge“ nichts gewusst und sich nichts dabei gedacht haben. „Er hat gesagt, er müsse bei einem Freund etwas abholen“, sagt sie.

Samir B. schildert das anders. Sehr wohl habe sie mitbekommen, was Sache war, schließlich habe sie die ganze Zeit neben ihm gesessen, als er per Handy die Anweisungen von seinem Auftraggeber bekam, der ihn zu den jeweiligen Adressen lotste. Darüber hinaus sei das Ganze auch Gesprächsthema zwischen beiden gewesen.

Dreimal ist S. – das lässt sich durch ihr in den entsprechenden Funkzellen eingeloggtes Handy belegen – mit Samir B. unterwegs, um Bankkarten und Bares abzuholen. Als sich die beiden Mitte März 2021 endgültig trennen, findet er schnell einen „Ersatz“: Filiz T., die er vom Sehen her kennt, wird seine neue Freundin und springt auch gleich beim nächsten Auftrag als Fahrerin ein. Einmal geht das Ganze noch gut, beim zweiten Mal werden die beiden verhaftet.

Filiz T. räumt nicht nur freimütig ihren zu jener Zeit intensiven Drogenkonsum ein, sondern auch, dass sie schon geahnt habe, dass der Grund für ihre Fahrten strafrechtlich relevanter Natur sein könnte. Spätestens beim zweiten Mal habe sie es gewusst. Dafür spricht auch die aus dem Chatverlauf rekonstruierte Nachricht, die sie B. am Tag vor der letzten Tat aufs Handy schickt: „Bonnie und Clyde, undercover in Köln-Kalk.“ (Lesen Sie hier: Notorischer Betrüger muss nun in Haft - 39-Jähriger hat bereits 17 Vorstrafen)

Staatsanwaltschaft Hanau fordert dreieinhalb Jahre Haft

Hüsna B. räumt ein, im Auftrag ihres Mannes zweimal Geld in die Türkei transferiert zu haben, von dem sie wusste, dass es ihm nicht gehörte. „Er hat gesagt, ich soll es machen, und ich habe es gemacht“, sagt sie. „Ich hab‘ das nicht hinterfragt, ich hatte zu der Zeit ganz andere Probleme.“ Bis auf Aynur S. zeigen sich somit alle Angeklagten geständig, was Teil der Verständigung ist, auf die sich die Beteiligten mit Ausnahme von S. geeinigt haben.

Staatsanwältin Lisa Staab fordert für Samir B. angesichts dessen eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren wegen Betrugs im besonders schweren Fall. Für Aynur S. hält sie für Beihilfe ein Strafmaß von anderthalb Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, für angemessen, für Filiz T. zehn Monate und für Hüsna B. eine achtmonatige Bewährungsstrafe.

Seitens der Verteidiger wird ins Feld geführt, dass sich die Angeklagten über die Anforderungen der Verständigung hinaus sehr ausführlich eingelassen und nichts beschönigt hätten, ihre Rolle bei den angeführten Taten sich zudem auf reine Logistikaufgaben beschränkt habe. Entsprechend liegen die Vorstellungen des angemessenen Strafmaßes bei der Verteidigung etwas unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Die Anwältin von Aynur S. plädiert auf Freispruch. Das Urteil will die Kammer am 2. Februar verkünden. (nic)

Auch interessant