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Prozess um getötete Kinder in Hanau: Fotos im Gerichtssaal nur schwer zu ertragen 

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Tod von Geschwister-Paar in Hanau
Das Hochhaus in Hanau, in dem die beiden am 11. Mai 2022 getöteten Kinder mit ihrer Mutter lebten. © Sebastian Gollnow

Im Prozess um den gewaltsamen Tod zweier Kinder in Hanau gab ein Blutspuren-Verteilungsgutachten Einblicke in den möglichen Tathergang.

Hanau - Raj S. (alle Namen geändert) ist wegen Mordes angeklagt. Am 11. Mai 2022 soll er in der Wohnung in der Hanauer Römerstraße (Main-Kinzig-Kreis), in der seine Ex-Frau seit der Trennung von ihm mit den beiden Kindern lebte, seine siebenjährige Tochter Priya mit scharfer Gewalteinwirkung am Hals getötet haben. Sein elfjähriger Sohn Vishal soll in Panik vom Balkon gesprungen sein. Der Angeklagte hat zwar vor Gericht die Verantwortung für den Tod seiner Kinder übernommen, sich aber zum konkreten Tatgeschehen bisher nicht eingelassen.

Hanau: Weiterer Prozesstag zu getöteten Kindern - erschreckende Details 

Im vorangegangenen Prozesstermin war es vor allem um den Weg des Vaters von seinem Wohnort zum Tatort gegangen, der dank der Aufnahmen einer Vielzahl von Videoüberwachungsanlagen minutiös nachvollzogen werden kann. Nun beleuchtete das von Rechtsmedizinerin Dr. Constanze Niess vorgestellte Blutspuren-Verteilungsgutachten das unmittelbare Tatgeschehen.

Im Gerichtssaal werden deshalb zahlreiche Fotos gezeigt, um einzelne Details verständlich zu machen. Die Bilder sind nur schwer zu ertragen. Sie zeigen den Ort, an dem Priya und ihr Bruder Vishal die letzten Minuten ihres kurzen Lebens verbrachten – es müssen furchtbare Minuten gewesen sein.

Davon zeugt eine große Menge Blut auf der bunten Tagesdecke, die über einem Doppelbett liegt. Hier haben die Kinder gemeinsam mit ihrer Mutter geschlafen, in der kleinen Küche nebenan hatte sie ihnen Frühstück gemacht, bevor sie das Haus verließ, um zur Arbeit zu gehen. Auf den Fotos liegen beide Schulrucksäcke vor dem Bett, einer ist schwarz, der andere blau mit einem Pferdemotiv.

Dahinter fängt das Grauen an. Über das Bett in der linken Zimmerecke bis zur unmittelbar angrenzenden Balkontür zeichnen Blutspuren mutmaßlich Priyas letzte Schritte nach. Sie führen hinaus auf den Balkon und enden dort ebenso wie Priyas Leben.

Nach Überzeugung der Rechtsmedizinerin können von dem Moment, in welchem dem Mädchen die tödlichen Verletzungen mit einem scharfen, spitzen Gegenstand beigebracht wurden, bis zu dem, in dem es das Bewusstsein verlor, allerhöchstens 20 Sekunden vergangen sein. „Sie hatte nicht mehr viel Zeit“, folgert Niess aus dem Verletzungsbild.

Archivvideo: Zwei tote Kinder in Hanau - Polizei vermutet Tötungsdelikt

Angesichts der Verteilung der Spuren auf Bett, Boden, Wänden und Balkon und ihren jeweiliger Ausprägung ist es nach dem Dafürhalten der Gutachterin wahrscheinlich, dass Priya, unmittelbar nachdem ihr die Verletzungen zugefügt worden waren, aufstand und durch die bereits geöffnete Tür nach draußen trat. Eine große Blutspur an der Innenseite der Brüstung spricht dafür, dass sie sich an diese lehnte, um nach unten zu sehen, bevor sie das Bewusstsein verlor und zusammensackte. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte ebenfalls auf dem Balkon aufhielt, liefert das Gutachten nicht.

Viel Raum nimmt an diesem Verhandlungstag auch das Kunststoffnetz ein, das am Balkon aufgespannt war, um Vögel abzuhalten. Ausführlich wird die Frage erörtert, ob und wie viel Krafteinwirkung ein solches Netz aushalten würde, bis es reißt oder wie genau die durchtrennten Fäden aussehen, wenn man sie zerreißt oder mit einem spitzen Gegenstand durchtrennt.

Fragen, die für die Kammer deshalb von besonderer Bedeutung sind, weil der elfjährige Vishal bei seinem Sprung oder Fall vom Balkon jenes Netz überwunden haben muss. Das Netz wies mehrere Löcher auf, wobei nicht genau rekonstruiert werden kann, wann und wie sie entstanden. Im Raum steht die Frage, wie es zu dem tödlichen Sturz des Jungen kam. Eine Hypothese ist, dass er über die Balkonbrüstung sprang und ihn das Netz zunächst hielt, bevor es riss. Denkbar ist aber auch, dass es vorsätzlich durchtrennt wurde. (nic)

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