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„Das Grundproblem ist Angst“ - Wildtierbiologin Marion Ebel freut sich über Wölfe in der Region

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Von: Lena Eberhardt

Wölfe in Hanau
Marion Ebel pflegt im Hanauer Wildpark unter anderem Tundrawölfe. (Archivbild) © Boris Roessler/dpa

Wer hat Angst vor dem bösen Wolf? Das muss niemand, betont die Wolfs-Expertin, Ethnologin und Verhaltensforscherin Dr. Marion Ebel. Die Wildtierbiologin spricht über aktuelle Entwicklungen zum Thema Wolf in der Region und räumt mit Vorurteilen auf.

Region - „Das Grundproblem besteht darin, dass wir Angst haben, nicht mehr Jäger, sondern Gejagter zu sein. Als hätte der Wolf nichts Besseres zu tun, als uns am Wegesrand aufzulauern und uns zu nachzustellen“, sagt Dr. Marion Ebel im Interview mit unserer Zeitung. Nachdem in Schlüchtern nachweislich mehrere Schafe von einem Wolf gerissen worden sind und zahlreiche weitere Risse und Fotonachweise bestätigt wurden, stellt sich die Frage, ob auch im Kinzigtal ein Wolf sesshaft werden könnte.

Kinzigtal: Biologin Marion Ebel spricht über den Wolf

„Mich wundert es, dass der Wolf noch nicht im Spessart heimisch geworden ist. Das ist ein großer dunkler Wald, eigentlich perfekt für den Wolf“, sagt die Wildtierbiologin und schmunzelt. Nachdem der Wolf rund 150 Jahre in Deutschland als ausgestorben galt, bestätigte das Umweltministerium Ende 2022 insgesamt 161 Rudel, 43 Paare und 21 territoriale Einzeltiere in der ganzen Bundesrepublik. Derzeit weist das Ministerium insgesamt sechs Territorien in Hessen aus, bestehend aus drei Rudeln, zwei Einzeltieren und einem unklaren Status.

„Der Wolf ist hier kein Neubürger, er kennt sich aus und nutzt die gleichen Wege wie vor 150 Jahren“, betont Ebel. Mit einer so guten Wiederansiedelung hatte die Biologin aber selbst nicht gerechnet. „Der Wolf ist zu uns gekommen, um zu bleiben. Andere Länder zeigen auch, dass es geht. Und die Fahnenstange ist hier noch nicht erreicht.“

Zur Person

Dr. Marion Ebel ist in Gelnhausen geboren. Nach ihrem Abitur am Grimmelshausen-Gymnasium hat sie in Marburg Biologie studiert und anschließend zum Thema Verhaltensforschung promoviert.

Seit 1993 arbeitet Marion Ebel im Wildpark „Alte Fasanerie“ in Hanau (Main-Kinzig-Kreis). Hier zog sie mehrere Generationen von Polarwolfwelpen auf und versucht, die Tiere den Besuchern näher zu bringen.

Auch das Kinzigtal sieht die Wolf-Expertin nicht zuletzt nach den jüngsten Sichtungen als potentiellen Lebensraum für einen Wolf. „Wir haben hier auch sehr schöne Ecken. Ein Wolf hat kein Interesse an einem dicht besiedelten Gebiet, für ihn bedeutet das nur Stress. Gleichzeitig heißt das aber nicht, dass er nur fernab der Zivilisation lebt.“

Aber natürlich bedeutet ein Wolf eine Veränderung für das heimische Ökosystem. Auch das hat Vorteile, so die Wildtierbiologin. „Für unser Ökosystem ist das großartig. Der Wolf sortiert beim Jagen anders aus und wird dafür sorgen, dass sich auch unser Wild verändert. Er hält es fit und nimmt alles mit, was zu dämlich ist aufzupassen“, findet die Biologin deutliche Worte. Gibt es eine Konkurrenz von Wolf und Jäger? „Natürlich stehen Jäger und Wölfe in Konkurrenz zu einander, aber jagen wir heute noch, um nicht zu verhungern“, fragt die Biologin.

Der Wolf in Schlüchtern wurde auf einem Acker fotografiert.
Der Wolf in Schlüchtern wurde auf einem Acker fotografiert. Ob es sich hier um das gleiche Tier handelt, das zuvor mehrere Schafe in Elm riss, ist unklar. (Archivfoto) © Markus Schöppner

Bejagt ein Wolf aktiv ein Gebiet, wird in diesem Revier das Wild scheuer und zieht weiter. Das ist zwar erstmal für den Jäger ärgerlich, aber auch der Wolf zieht dem Wild hinterher. „In vier Wochen sieht dann die Lage schon wieder ganz anders aus. Zudem sollte man sich als Jäger mal überlegen, dass man das Privileg besitzt, mit einem Wolf zusammen in einem Revier zu jagen“, so Ebel. Eine Bedrohung für Wildtierpopulationen wie Rot- und Schwarzwild stelle der Wolf nicht da. „Auf gesunde Populationen hat er keinen negativen Einfluss.“

Der Deutsche Jagdverband (DJV) sieht die Situation in deutschen Wäldern etwas differenzierter. Das DJV-Präsidium fordert die Bundesregierung auf, ein Bestandsmanagement für den Wolf inklusive Bejagung nach dem Vorbild anderer EU-Staaten wie Schweden, Finnland oder Frankreich möglich zu machen. „Größter Handlungsbedarf besteht in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen“, heißt es seitens des Verbands.

Obwohl der Wolf zur heimischen Fauna gehört, würde insbesondere in Ostdeutschland die Akzeptanz für den Wolf „dramatisch schnell“ schwinden. „Zudem sind dort Weidehaltung und Grünlandnutzung vielerorts ernsthaft in Gefahr. Für viele Naturschutzflächen wie Heide oder Magerrasen ist beispielsweise Beweidung wichtig, um Verbuschung zu verhindern“, betont der DJV.

Archivvideo: Erstmals Nachwuchs bei hessischen Wölfen

Sollte man als Spaziergänger einem Wolf begegnen, hält die Biologin das für großes Glück. „Man sollte dem Himmel danken, dass man das erleben darf. 99 Prozent der Menschen werden niemals einen wilden Wolf zu Gesicht bekommen.“ In der Regel vermeiden Wölfe den Kontakt zu Menschen. Vereinzelt kann es vorkommen, dass ein junger unerfahrener Wolf neugierig ist und sich blicken lässt. „Sollten Sie von einem Wolf beobachtet werden, beobachten Sie einfach zurück“, rät die Expertin. „Falls der Wolf sich nicht von alleine trollt, dann groß machen und laut werden, aber nicht aus lauter Panik davon rennen.“ Zudem betont die Wildtierbiologin, dass es wichtig ist, den Wolf nicht zu füttern oder ihn in die Enge zu treiben.

Die Biologin plädiert für eine friedliche Koexistenz mit den Wölfen. Dafür müsste sich jedoch die Einstellung der Menschen ändern, meint die Expertin. „Der Wolf macht das Leben nicht einfacher, nicht grausam, aber fremd. Er bleibt nicht da, wo er blieben soll. Er holt sich den Lebensraum, den er braucht. Ich will mit meiner Arbeit im Tierpark zeigen, dass Wölfe keine Bestien sind und es keinen Grund gibt, sinnlos Angst zu haben.“

Besondere Unterstützung sollten aber Schäfer bekommen. Marion Ebel fordert, dass nicht nur Zäune, sondern auch Herdenschutzhunde den Landwirten zur Verfügung gestellt werden. „Wenn wir den Wolf hier wirklich haben wollen, müssen Schäfer Zuschüsse erhalten. Ein Wolf kann natürlich für eine Schafherde gefährlich werden, wenn man ihm die Beute schutzlos auf einem Tablett serviert“, so Ebel.

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