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Wolf in Schlüchtern und Bad Orb fotografiert - Weidetierhalter sind in Sorge

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Von: Lena Eberhardt, Tim Bachmann

Ein Wolf ist in Schlüchtern und in Bad Orb fotografiert worden. Ob es sich um das Tier handelt, dass im Februar fünf Schafe in Elm gerissen hat, ist derzeit noch unklar. Weidetierhalter sind in Sorge.

Main-Kinzig-Kreis - Vor wenigen Wochen hat ein Wolf in Schlüchtern fünf Schafe gerissen. Vier der Tiere wurden in einem Radius von 100 Metern um den „Tatort“ gefunden, vom fünften Schaf fehlt bis heute jede Spur.

Kinzigtal: Wolf in Schlüchtern und Bad Orb nachgewiesen

Nun hat das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) Fotonachweise veröffentlicht, die einen Wolf in Schlüchtern (Kinzigtal) und in Bad Orb (Main-Kinzig-Kreis) zeigen.

Der Fotonachweis in Schlüchtern wurde am 12. März erbracht. Hier fotografierte eine Privatperson das Tier auf einem Acker. In Bad Orb lief der Wolf einer Wildkamera vor die Linse. Ob es sich hierbei um einen Wolf oder zwei Individuen handelt, kann derzeit noch nicht bestätigt werden. Ebenfalls ist unklar, ob der Wolf, der in Schlüchtern fotografiert wurde, auch das Tier ist, welches die Schafe gerissen hat. „An Hand von Fotos ist es nur in Ausnahmefällen möglich Wölfe zu identifizieren. Das ist der Fall, wenn z.B. ein körperliches Handicap vorliegt“, berichtet das Landesamt auf Anfrage unserer Zeitung.

Der Wolf in Schlüchtern wurde auf einem Acker fotografiert.
Der Wolf in Schlüchtern wurde auf einem Acker fotografiert. © Markus Schöppner

Ob der Wolf in Schlüchtern sesshaft wird, ist derzeit noch offen. „Ein Wolf gilt gemäß bundesweiter Monitoringstandards als sesshaft, wenn dasselbe Individuum mittels genetischer Nachweise über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten in einem Gebiet nachgewiesen wurde“, ergänzt das HLNUG. Erst wenn das Tier territorial geworden ist, wird in einem Gebiet aktives Fotofallen-Monitoring betrieben, so das Landesamt.

Neue Verdachtsfälle

Neben den beiden Fotonachweisen stehen zwei weitere Verdachtsfälle im Vogelsbergkreis aus. In Freiensteinau wurde am 23. März ein Rinderkalb gerissen.

In Alsfeld wurden unterdessen vier Schafte tot und ein verletztes Schaf aufgefunden. Ob hier ebenfalls ein Wolf verantwortlich ist, steht noch nicht fest.

Laut HLNUG sind die genetischen Analysen für die beiden Fälle aus Freiensteinau und Alsfeld noch nicht abgeschlossen.

Derzeit liegen keine weiteren Verdachtsfälle im Main-Kinzig-Kreis vor.

Die Weidetierhalter in der Region sind indes in Sorge. „Wenn der Wolf nicht bejagt wird, dann verliert er irgendwann seine Angst vorm Menschen“, meint Schäfermeister Wilfried Lenz aus Elm. Lenz hat mit insgesamt 600 Tieren die größte Schäferei im Main-Kinzig-Kreis. Und ein Großteil seiner Tiere steht auf den Weiden in Elm und Schlüchtern. Einige auch das ganze Jahr über. „Ich mache mir natürlich Gedanken“, sagt der Schäfermeister über die Rückkehr des Wolfes in die Region. So fahre er jeden Morgen zu seinen Schafen, um nach dem Rechten zu sehen, ebenso abends. „Und nachts mache ich mir Sorgen, dass etwas passiert sein könnte.“

Dabei treibt den Schäfer nicht um, dass Meister Isegrimm mal ein, zwei oder auch drei Schäfchen reißen könnte. „Die Frage ist vielmehr, was machen die anderen Tiere? Was ist, wenn sie ausbrechen und auf die Straße rennen? Oder auf die Schienen?“ Um seine Tiere und seinen Betrieb zu schützen, hat sich Lenz einen zweiten Herdenschutzhund zugelegt. In der Hoffnung auf Nachwuchs, damit alsbald mehrere Hunde seine Herde schützen können.

Unsere Hunde springen aus dem Stand schon höher.

Alexandra Fehl über den Wolf-Schutzzaun

Freilich bedeute dies für ihn einen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand. „Wenn nur ein einzelner Wolf kommen sollte, mache ich mir keine Sorgen.“ Aber was ist, wenn ein Rudel kommt?, fragt sich der Schäfermeister. Er selbst hat von bekannten Schäfern aus Ostdeutschland gehört, dass dort schon Wölfe sogar Herdenschutzhunde totgebissen hätten. Dennoch sieht er in den Hunden „die einzige Chance, dass der Kelch an mir vorübergeht“.

Im Winter im Stall und den ganzen Sommer über auf der Weide hält Familie Fehl aus Hohenzell ihre 200 Merinolandschafe. Allerdings wollen sie (noch) keine Herdenschutzhunde halten, sondern haben ihre Hütehunde – wie jeder Schäfer. Zusätzlich setzen sie auf die vom Land bezuschussten Wolf-Schutzzäune, die 1,05 Meter hoch sind, sowie ein stärkeres Weidezaungerät. „Allerdings lacht da der Wolf. Unsere Hunde springen aus dem Stand schon höher. Und die haben keinen Hunger“, sagt Alexandra Fehl. Dass sie auf die Zäune setzen, hat vielmehr versicherungstechnische Gründe. Ans Aufgeben wird im Hause Fehl aber auch durch die Rückkehr des Wolfes nicht gedacht. „Nein. Das steht nicht zur Debatte.“

Als „Katastrophe“ bezeichnet Dieter Euler vom Hofgut Lindenhof bei Hohenzell die Tatsache, dass der Wolf wieder da ist. Euler selbst hält insgesamt 130 Rinder, die auf Wiesen zwischen Steinau und Schlüchtern grasen. Euler ist sich sicher, dass Wolf-Schutzzäune nichts bringen. Folglich befürchtet er, dass einige Weidetierhalter über kurz oder lang ihren Betrieb aufgeben werden. Und zwar nicht nur Schafhalter und Nebenerwerbslandwirte. „Das tut sich doch kein normaler Mensch lange an, mit der Angst, es könnte etwas passiert sein, nachts im Bett zu liegen“, meint Euler.

Weitere Wolf-Sichtung im Bergwinkel: Weidetierhalter sind in Sorge

Und in Folge dessen erwartet der Landwirt große Veränderungen in der Region: „Wenn wir jetzt nicht reagieren, dann werden wir in etwa 20 Jahren unsere Landschaft nicht mehr wiedererkennen.“ Das begründet er damit, dass vor allem ökologisch sehr viel an der Weidetierhaltung hänge.

Euler bezieht sich auf den Biologen Dr. Herbert Nickel, der in seinen Forschungen zur Zikaden-Verbreitung und -Population das einhergehende Verschwinden der Weidetiere in traditioneller und extensiver Haltung als starke Beeinträchtigung für Flora und Fauna bezeichnet. Nickel sagt, dass auf gut geführten extensiven Weiden plötzlich wieder Tier- und Pflanzenarten auftauchen, die jahrzehntelang verschollen waren.

„Gucken Sie mal, wie lange es dauert, bis auf einem Kuhfladen Insekten sitzen. Es sind Sekunden“, sagt Euler dazu. Nickel rechnet vor, dass ein einziges Rind pro Jahr rund zehn Tonnen Dung produziert, worin sich wieder 100 Kilogramm Insekten bilden können. Futter für zum Beispiel Vögel – laut Nickel bis zu „50 Kilogramm Wirbeltierbiomasse“. Euler ist sich deshalb sicher: Geben die Weidetierhalter auf, wird die Natur leiden.

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