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Eine der letzten Anlagen Deutschlands: In Jossa ist der Dorffunk noch immer in Betrieb

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Von: Marah Naumann

Unscheinbares Gerät, große Wirkung: In einer Ecke des Treppenhauses im Feuerwehrhaus Jossa steht die Dorffunkanlage, um die sich hauptsächlich der ehemalige Ortsvorsteher Günter Walther kümmert.
Unscheinbares Gerät, große Wirkung: In einer Ecke des Treppenhauses im Feuerwehrhaus Jossa steht die Dorffunkanlage, um die sich hauptsächlich der ehemalige Ortsvorsteher Günter Walther kümmert. © Marah Naumann

„Achtung, ich bitte um Aufmerksamkeit für diese Durchsage“ – wenn dieser Satz durch Jossas Straßen schallt, ist das nichts Ungewöhnliches. Denn dort ist eine der letzten Ortsfunkanlagen Deutschlands in Betrieb. Und deren Nutzung ist gefragter denn je.

Sinntal - Vor dem Zeitalter des Internets war die Dorffunkanlage vielerorts eines der wichtigsten Mittel zur Verbreitung von Informationen. Nach und nach wurden diese durch Radio und Fernsehen abgelöst. In dem Sinntaler Ortsteil Jossa (Main-Kinzig-Kreis) hingegen blieb die Anlage bis heute erhalten.

Die Jossaer Ortsrufanlage wurde Anfang der 1960er Jahre errichtet und ersetzte die bis dato analoge Form der Nachrichtenverbreitung. „Der Ausscheller konnte nicht mehr“, berichtet Günter Walther, der für die Anlage zuständig ist. Der Name dieser Ortsdiener rührte daher, dass sie meist mit einer Glocke durch die Straßen zogen und Mitteilungen ausriefen.

„Die Ortsväter berieten damals über eine Alternative und so kamen sie auf die Ortsfunkanlage. Das Geld dafür war da, wegen der Gewerbesteuer der Firma Patzer“, weiß der ehemalige Ortsvorsteher von der Bedeutung der Ortsansässigkeit eines Produktionsorts der Erde-Werke. (Lesen Sie auch: Brieftaubenzucht ist Kulturerbe: Ex-Lehrer aus Flieden hält seltenes Hobby hoch)

Main-Kinzig-Kreis: Hier gibt es noch Dorffunk - eine der letzten Anlagen

Die Anlage wird komplett vom Feuerwehrhaus im Dorf mit Strom versorgt. Deshalb hängen bis heute dicke schwarze Kabel quer über die Straßen von Jossa. „Die Kabel gehen teilweise quer durch Dachböden von Wohnhäusern durch. Dafür mussten auch mal Löcher in die Hauswand gebohrt werden“, berichtet Günter Walther.

Seitdem ist die Ortsfunkanlage durchgängig in Betrieb. Der Verstärker wurde vor zehn Jahren durch ein neueres Modell ersetzt, weil für das alte Gerät keine Ersatzröhren mehr zu beschaffen waren. Früher war die Anlage in der alten Schule untergebracht, heute steht sie im Gerätehaus – in einer unscheinbaren Ecke des Treppenhauses.

Die Dorffunkanlage deckt mit ihren 32 Lautsprechern mit teils unterschiedlichem Erscheinungsbild jede Straße in Jossa ab.
Die Dorffunkanlage deckt mit ihren 32 Lautsprechern mit teils unterschiedlichem Erscheinungsbild jede Straße in Jossa ab. © Marah Naumann

Für die Durchsagen waren stets die jeweiligen Ortsvorsteher oder – vor der Gebietsreform – die Bürgermeister zuständig. So ging die Aufgabe des Dorffunk-Sprechers in den 1990er Jahren an Günter Walther über. 2016 gab er das Amt an Sohn Stefan weiter. „Er meinte aber, dass ich die Anlage weiter betreiben darf“, freut sich der 75-Jährige, der auch eine eigene Internetseite über Jossa sowie einen Youtube-Kanal betreibt. „Wenn ich keine Zeit habe, muss er das aber ab und zu übernehmen.“

32 Lautsprecher in Jossa - „Jede Straße ist erschlossen“

Vor Corona gab es pro Jahr rund 80 Durchsagen, die Anzahl ist wegen des Veranstaltungsmangels aber stark gesunken. „Die Vereine haben mittlerweile eigene Webseiten und hängen Plakate auf, um für ihre Veranstaltungen zu werben. Aber trotzdem kommen immer wieder Durchsagen an“, weiß Walther, der die Texte per E-Mail oder telefonisch erhält.

„Meine Enkelin Laura hat mir per WhatsApp Notizen zu einem Fußballspiel geschickt, das ich ausrufen soll.“ Bevor er das Spiel am folgenden Tag bewirbt, legt er jedoch erst einmal, wie vor jeder Durchsage, eine CD ein. Seine Wahl fällt auf das Lied „Ein bisschen Frieden“ von Nicole, „passend zur aktuellen Zeit“. Anschließend kündigt er per Mikrofon das Fußballspiel an und gibt bekannt, dass es auch Gegrilltes und Getränke gibt.

Die Ansagen samt musikalischer Einleitung sind über insgesamt 32 Lautsprecher im ganzen Dorf zu hören. „Jede Straße ist erschlossen“, weiß Walther, dessen Ehefrau ihn oft begleitet und kontrolliert, ob seine Durchsagen auch draußen zu hören sind.

Dorffunkanlagen in Hessen

Welche Orte bis heute Dorffunkanlagen betreiben, ist laut Günter Walther nicht leicht herauszufinden. Eine Auflistung ist unter dem Eintrag „Ortsrufanlage“ der Internet-Enzyklopädie Wikipedia zu finden. Dort fehlt allerdings Jossa. „Ich habe aber beantragt, dass wir in die Liste aufgenommen werden“, betont Walther.

Folgende Orte in Hessen betreiben noch eine solche Anlage:

- Ober-Moos (Vogelsbergkreis)

- Leisenwald, Stadtteil von Wächtersbach (Main-Kinzig-Kreis)

- Mehrere Ortsteile der Gemeinde Dautphetal (Landkreis Marburg-Biedenkopf)

- Wehrheim-Pfaffenwiesbach (Hochtaunuskreis)

- Laisa, Stadtteil von Battenberg (Eder) (Landkreis Waldeck-Frankenberg)

- Mühltal-Waschenbach (Landkreis Darmstadt-Dieburg)

- Schönbach, Stadtteil von Herborn (Lahn-Dill-Kreis). (Quelle: Wikipedia)

Die Omnipräsenz der Anlage war vor allem während der Corona-Lockdowns ein großer Vorteil. „Da haben wir den Gottesdienst zu Weihnachten und Ostern per Dorffunk übertragen“, erinnert sich Walther. Und auch die Sperrung der Ortsdurchfahrt im vergangenen Jahr gab Walther per Ortsfunk bekannt – früher als andere Medien. „Da haben sich die Leute dann halt schon 14 Tage vorher geärgert“, so der Dorffunker augenzwinkernd.

Um den Wert der Anlage weiß auch die Gemeinde Sinntal, die für deren Instandhaltung jährlich einen bestimmten Betrag im Haushalt einstellt. „Manchmal wurden Stimmen laut, dass man die Anlage doch nicht mehr braucht“, berichtet Walther. „Die Stimmen verstummten aber, als wir wegen des Dorffunks zweimal im Radio und einmal im Fernsehen waren“, erinnert sich der ehemalige Ortsvorsteher etwa an einen Besuch des Privatsenders Sat.1 im Jahr 1997.

„Es kann schon sein, dass die Anlage irgendwann eingestellt wird“, vermutet Walther, fügt aber hinzu: „Warten wir mal ab, wie sich das hier in Jossa entwickelt. An mir soll’s nicht liegen, solange ich noch gesund bin. Und vielleicht gibt es ja dann einen Nachfolger.“

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