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47-Jähriger wegen Missbrauchs vor Gericht - 13-jähriges Opfer wollte kleinen Bruder schützen

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Justitia
Weil er einen 13-Jährigen sexuell missbraucht haben soll, steht ein 47-Jähriger aus Gründau vor Gericht. (Symbolbild) © Arne Dedert/dpa

Ein 47-jähriger Mann aus Gründau (Main-Kinzig-Kreis) steht wegen sexuellen Missbrauchs vor dem Landgericht Hanau. Das 13-Jährige Opfer schildert, was ihm über Monate hinweg angetan wurde.

Gründau/Hanau - „Ich war sehr erleichtert, als ich erfahren habe, dass die Kriminalpolizei zu ihm gekommen ist. Ich hoffe, dass ich nichts mehr von ihm hören oder sehen muss“, sagt der heute 13-Jährige im Vernehmungsvideo der Polizei, das bei der Verhandlung im Landgericht Hanau (Main-Kinzig-Kreis) gezeigt wird.

Sachlich und deutlich schildert er, was ihm ein 47-Jähriger aus Gründau über Monate hinweg angetan hat. Immer wieder forderte der Mann das Kind über Whatsapp auf, sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen und ihm Bilder und ein Video davon zu schicken. Einmal fotografierte er den damals Zehnjährigen selbst in seinem Keller. Als „Gegenleistung“ gab es einen Tablet-PC, Geld und Süßigkeiten.

Main-Kinzig-Kreis: Mann (47) wegen Missbrauchs vor Gericht

Über die Anklage selbst – die Staatsanwaltschaft listet insgesamt 22 Fälle in den Jahren 2019 und 2020 auf – gibt es wenig Zweifel, der Angeklagte gibt die Taten zu. Damit bleibt dem Opfer eine Aussage vor Gericht erspart; stattdessen wird das Vernehmungsvideo der Polizei abgespielt. (Lesen Sie hier: 32-Jähriger belästigt Reinigungskraft - Angeklagter leugnet Tat)

Darin schildert der Junge, wie er den 47-Jährigen kennengelernt hat. Der Kontakt kam offenbar über seinen jüngeren Bruder zustande, der, wie auch das Opfer selbst, gerne an den Bach ging, um dort zu spielen und Krebse zu fangen. Dort sprach der 47-Jährige die Kinder auf ihre Beute an und postete diese in den sozialen Netzwerken. Auf Facebook hatte er eine Seite für Naturaufnahmen.

Mit dieser Seite redete er sich auch heraus, als er einmal vom Vater des Opfers auf die Geschenke angesprochen wurde. Neben einem Tablet, das der Angeklagte dem Kind zum Geburtstag schenkte, gab er ihm oft Süßigkeiten. „Ich habe ihm gesagt, dass ich das nicht so toll finde und bei so etwas gerne gefragt werden möchte“, sagt der Vater im Zeugenstand.

Main-Kinzig-Kreis: 13-jähriges Opfer: „Ich bin immer weiter reingeraten“

Auch den Whatsapp-Verlauf habe er in unregelmäßigen Abständen gelesen, erzählt der Vater. „Da standen manchmal Sätze, vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen.“ Sein Sohn habe ihm erklärt, den 47-Jährigen im Bus getroffen zu haben, die Sätze würden sich auf eine Unterhaltung beziehen, die sie im Chat fortsetzten. Bilder bekam der Vater nicht zu Gesicht. „Die habe ich für mich gelöscht“, erklärt der Junge im Video, aber in der Bildergalerie aufgehoben, „weil ich weiß, dass man Beweise braucht“.

Warum hat sich der Junge auf den Kontakt eingelassen? Warum hat er seinen Eltern nichts gesagt? Warum ist er zum Haus des Angeklagten gegangen? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. „Ich bin immer weiter reingeraten“, sagt der 13-Jährige. Er wisse, „dass ich sehr viel falsch gemacht habe“. Ein Satz, bei dem die Vernehmungsbeamtin einschreitet: „Er ist der Erwachsene, du bist das Kind. Er hat dich ausgenutzt, er hat etwas falsch gemacht.“

Ganz wichtig war dem Opfer, seinen jüngeren Bruder zu schützen, mit dem der 47-Jährige zuvor Kontakt hatte. Diesen befragte die Polizei ebenfalls: Der Angeklagte habe dem jüngeren Kind einmal einen P*rnofilm geschickt, schildert der Polizist vor Gericht. „Er hat gesagt, dass er es eklig fand.“ Danach habe das Kind den Kontakt zu dem Mann auf das Allernötigste beschränkt.

P*rnos bekam auch das Opfer auf sein Handy. Dies fiel auch dem Vater auf. Der Junge sah sich auch weitere Inhalte auf den Seiten an, die dem Vater im Browserverlauf auffielen. Die Eltern unternahmen den Versuch, die Inhalte zu sperren, kamen aber technisch nicht weiter.

Verhandlung im Main-Kinzig-Kreis: Opfer wollte kleinen Bruder schützen

Allerdings fielen ihnen Veränderungen an ihrem Kind auf: Bettnässen, schlechte Noten, Aggressivität gegen den Bruder: „Ich habe das auf den Beginn der Pubertät geschoben“, meint der Vater. „Ich habe mir nichts dabei gedacht.“ Deshalb musste er sich „erst einmal setzen“, erinnert sich der Polizeibeamte, als er ihm ein Foto zeigte und der Sohn sagte, dass er darauf zu sehen sei.

An das Bild war die Polizei auf einem anderen Weg gekommen: Auf der Wache habe sich ein Zeuge gemeldet, dem über Whatsapp ein kinderp*rnografisches Bild geschickt worden war. Vor Gericht wurde der Chat-Verlauf gezeigt: Auf einem Bild ist ein Junge zu sehen, voll bekleidet, in dem die Nachbarin des Zeugen einen weiteren Jungen aus Gründau erkannt hat.

Auch ihn habe man befragt, fügt der Polizist hinzu. Dieser habe aber gesagt, dass er dem Angeklagten nie Bilder geschickt habe. Seine Mutter brachte die Ermittler dann auf die richtige Spur: Ihres Wissens nach gebe es noch einen anderen Jungen, der vom Alter her in Frage komme. Sie nannte der Polizei den Namen des Opfers. Über die Handynummer machten die Beamten den Gründauer ausfindig.

Zweimal wurde die Wohnung des Mannes durchsucht. „Sie war, milde ausgedrückt, in einem besonders unordentlichen Zustand“, sagt der Polizist. Gemeint ist: Überall stapelt sich der Unrat. (Lesen Sie auch: Herzlose Videos in Altenheim aufgenommen - Junge Pflegerinnen machen sich über hilflose Patienten lustig)

Angeklagter aus Main-Kinzig-Kreis hatte „koordiniertes, zielstrebiges Vorgehen“

Bei den Durchsuchungen habe sich der Angeklagte gefasst, aber nicht kooperativ verhalten, schildert der Beamte, Passwörter wollte er auch nicht herausrücken. Diesen Eindruck macht er auch vor Gericht: An genaue Zeitabläufe und Daten kann oder will er sich nicht erinnern, etwa an den Zeitpunkt seines Alkoholentzugs. Danach habe er sich ein Jahr unter Kontrolle gehabt, bis er wieder mit dem Trinken angefangen habe.

„Mindestens eine Flasche Wein, bis hin zu einer Flasche Schnaps“, habe er nach der Arbeit getrunken. Diese sei auch der Grund für seinen Konsum gewesen: Dort sei er auf einen „Psychopaten“ getroffen. „P*dophile Neigungen seit der Jugend, Depressionen, Panikattacken, soziale Isolation“, zählt der Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie, Thomas Holzmann, auf. „Sein Leben ist sicherlich kompliziert.“

Dennoch sieht er – wie auch schon Richter Rüppel – ein koordiniertes, zielstrebiges Vorgehen als gegeben an. So musste der Angeklagte aus dem Main-Kinzig-Kreis das Vertrauen der Kinder gewinnen, an die Handynummer kommen, Geschenke machen. „Das klingt nicht nach intoxiniert, nicht danach, als ob Sie nicht wussten, was Sie tun“, so Rüppel. Wie Holzmann sah er keine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit. Staatsanwältin Juliane Thierbach fordert vier Jahre Haft, Verteidiger Matthias Reuter drei Jahre. (tsl)

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