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„Auszeit“ wurde zur Passion: Margot Dernesch erzählt seit 25 Jahren Märchen

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Main-Kinzig-Kreis: Märchenerzählerin Margot Dernesch feiert Bühnenjubiläum im Theatrium
Margot Dernesch kann auf 25 Jahre als Märchenerzählerin zurückblicken. © Koni Merz

„Geh’ und mach’ dich auf den Weg, das Leben zu meistern!“ So machen Märchen Mut zum Leben. Margot Dernesch (66) machte sich auf ihren ganz persönlichen Weg als Märchenerzählerin. Am 22. Oktober feiert die Steinauerin ihr Bühnenjubiläum mit einem märchenhaften Abend im Theatrium.

Steinau an der Straße - Eigentlich hatte die vierfache Mutter bei einem Märchenerzählerseminar lediglich nach einer Auszeit vom Familienalltag gesucht. Als das Seminar bei Gertrud Hempel, der Gründerin der Volkserzähler-Stiftung, im evangelischen Gemeindehaus Schlüchtern mit einem öffentlichen Erzählabend endete, erhielt sie gleich drei Anfragen. So begann ihre „Märchen-Karriere“, quasi als Selbstläufer.

Main-Kinzig-Kreis: Margot Dernesch feiert Bühnenjubiläum im Theatrium

Seither erzählt sie privat Märchen – etwa an einem Adventssonntag bei einer Familie mit einigen Kindern. Mit den Märchenabenden im Museum Brüder Grimm-Haus trat sie in die Öffentlichkeit. Im Jahr 2000 erschien das Erzählerlexikon von Kathrin Pöge-Alder mit Märchenerzählern aus dem deutsch-sprachigen Raum. Da war Dernesch bereits dabei. Heute erlebt das Märchenerzählen eine neue Blüte. Es gibt regelrechte Ausbildungswege für diese Kunst. Margot Dernesch besuchte mehr als 30 Seminare bei der Europäischen Märchengesellschaft, nahm an Aus- und Fortbildungsveranstaltungen teil. Wenn sie die Kosten dafür zusammenrechnet, kommt ein Gesamtbetrag von mehr als 15.000 Euro zusammen, berichtet Dernesch. Inzwischen hat sie bereits selbst Seminare gehalten, etwa in der Ausbildung von Naturparkführern im hessischen Spessart.

Bevor ein Märchen fesselnd erzählt werden kann, muss der Text bearbeitet werden. Es gilt, die Struktur des Märchens und dessen „roten Faden“ zu erkennen. Wichtig sind Geradlinigkeit in der Darstellung und eine deutliche Zeichnung der Charaktere. Die Bilderwelt des Märchens wird in einer Sprache erzählt, die beim Zuhörer innere Bilder hervorruft. Auf diese Weise hat Dernesch inzwischen 400 Märchen zum Erzählen bearbeitet. (Lesen Sie auch: Von Autoscooter bis Mundart: 733. Katharinenmarkt lockte zahlreiche Besucher in die Grimmstadt)

Eine innere Empathie zur jeweiligen Geschichte, ein ausgefeilter Spannungsbogen und ein Erzählrhythmus sind Voraussetzung. Eine entsprechende Atemtechnik und Stimmtraining werden mit Gestik, Mimik und der Körperhaltung insgesamt unterstützt. Auch die nonverbale Kommunikation will geübt sein.

Hinzu kommt das „Bühnenbild“. Nachdem Margot Dernesch einmal Märchen in einem Raum erzählen sollte, dessen Wände mit Dartscheiben ausgestattet waren, habe sie neben Requisiten wie etwa den passenden Steiff-Tieren immer auch Tücher im Gepäck, die sie im Raum drapieren kann. „Ich liebe es, wenn ich die Menschen im Publikum noch sehen kann“, gesteht sie. Im Scheinwerferlicht ins schwarze Dunkel zu erzählen erfordere eine enorme innere Kraft. Habe sie aber die Chance zu nonverbaler Kommunikation, so könne sie in der Erzählung auf Mimik und Ausdruck der Zuhörer Bezug nehmen. Als sie etwa auf dem Kaliberg bei Neuhof unter freiem Himmel erzählte, änderte sie spontan das vorbereitete Programm, weil unerwartet viele Kinder gekommen waren.

Märchenerzählerin Margot Dernesch tritt am 22. Oktober in Steinau auf

Oftmals erzählt sie zu einem bestimmten Thema, und bei Gelegenheit bietet sie sogar Spontantheater als Möglichkeit des Umgangs mit einem Märchen an. „Ich finde es wunderschön, dass die Brüder Grimm hier zuhause waren“, so Dernesch. Auf dem Schoß ihrer Großmutter habe sie bereits den Grimm’schen Märchen gelauscht. Der Titel „Kinder- und Hausmärchen“ missfällt ihr allerdings, suggeriere er doch, Märchen seien nur etwas für Kinder. Sie sieht in ihnen ein Angebot, beim Erzählen Nähe, Geborgenheit, Zeit und persönliche Ansprache zu vermitteln. Als sehr schön habe sie es empfunden, dass der Main-Kinzig-Kreis während der Corona-Pandemie eine Online-Märchenzeit organisiert habe.

Heute ist Margot Dernesch 66 Jahre alt. Sie war in Steinau fünf Jahre lang als Stadträtin sowie als Stadtverordnete und SPD-Fraktionschefin kommunalpolitisch tätig. Außerdem ist sie Stadtführerin. Schon bald nachdem sie ihre Ausbildung an der Fachschule für Sozialpädagogik am Frankfurter Diakonissenhaus im Internat abgeschlossen hatte, übernahm sie die Leitung eines Kindergartens. Nach einem Kurzstudium arbeitete sie 19 Jahre lang an einer Förderschule in Schlüchtern.

Nicht selten seien die eigenen Kinder „Versuchsobjekte“ gewesen. Dann lagen sie in ihren Betten, und Margot Dernesch stand vor ihnen und erzählte. Einmal lachten ihre Kinder herzhaft: „Du schaukelst hin und her wie eine Schiffschaukel“, stellten sie fest. Um die nötige Ruhe zu finden und das Erzählen zu erlernen, habe sie sowohl unter der Dusche als auch am Bergweiher in der Natur mit dem Wasser und den Fröschen allein Märchen erzählt. Und heute sind selbst vollbesetzte Hallen kein Problem mehr für die Märchenerzählerin. (Von Barbara Kruse)

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