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Robin ist „kein Einzelfall“ - Naturschützer sprechen von zahlreichen toten Rotmilanen durch Windräder

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Von: Tim Bachmann

Ein Rotmilan dreht am Himmel bei Ulmbach seine Kreise.
Ein Rotmilan dreht am Himmel bei Ulmbach seine Kreise. Durch das Teleobjektiv entsteht der Eindruck, als wäre er in der Nähe der kilometerweit entfernten Windräder bei Fleschenbach unterwegs. Im Bergwinkel sind die Greifvögel (noch) kein seltener Anblick. © Walter Kreuzer

„Rotmilan ‚Robin‘ ist kein Einzelfall“, ist sich Thomas Mathias, Vorsitzender des NABU Steinau-Schlüchtern-Sinntal, sicher. Er weiß von weiteren Milanen, die in diesem Jahr zum Beispiel in Wallroth durch Windkraftanlagen getötet oder schwer verletzt worden sind. 

Schlüchtern/Steinau/Haunetal - „Es sind keine Windkraftgegner, wenn Menschen ihre Heimat und die Artenvielfalt von Herzen lieben und sich sorgen“, sagt Thomas Mathias. „Zum Glück gibt es Menschen, die sich Gedanken machen.“

Nachdem zwei Frauen in Elm am „Breitefeld“ einen toten Rotmilan gefunden hatten, fragte unsere Zeitung bei Biologe Dr. Karl-Heinz Schmidt, dem Leiter der Ökologischen Forschungsstation Schlüchtern im Main-Kinzig-Kreis, nach, ob er häufiger von Großvögeln hören würde, die durch Windkraftanlagen erschlagen worden seien. Schmidt verneinte und erklärte hingegen, dass die Population von Rotmilanen in unserer Region eher zunehme. Und auch, dass „Robin“ wohl eher ein Einzelfall sei.

Main-Kinzig-Kreis: Viele tote Rotmilane durch Windräder - Naturschützer warnen

Schmidt führte an, dass Anflüge an Fenster und Autos den Tieren eher zum Verhängnis würden. Was NABU-Ortsvorsitzender Mathias als Vergleich ungeeignet findet. Diese Gefahren beträfen aus seiner Sicht nämlich eher kleinere Exemplare.

„In diesem Jahr sind zwei bis vier Rotmilane im Windpark Schlüchtern bei Wallroth an den Windrädern verunglückt. Es ist also kein Einzelfall“, meint der NABU-Vertreter.

Mathias berichtet von einem Rotmilan, der im Windpark Wallroth gefunden wurde. Schwer verletzt. „Er konnte durch eine Notoperation gerettet werden“, berichtet der Naturschützer. Das Tier wurde in der Falknerei Schanze in Haunetal gepflegt, bis es wieder ausgewildert werden konnte. Falkner Michael Schanze, der auch andere Tiere aus Windparks im Bergwinkel abgeholt hatte, berichtet von „zwei Brüchen. Einmal Flügel und einmal Bein“. Das Tier wurde noch am selben Abend notoperiert.

Hohe Dunkelziffer: Naturschützer sprechen von zahlreichen toten Rotmilanen

Schanze betreibt in Haunetal seit dem Jahr 2010 eine Greifvogel-Auffangstation innerhalb seiner Falknerei. Es ist die offizielle Auffangstation der Landkreise Fulda und Bad Hersfeld-Rotenburg sowie des Schwalm-Eder-Kreises. „Weil es in der Region keine adäquate Betreuung für wildlebende Greifvögel gab“, erklärt Schanze als Grund für sein Engagement. Und auch er weiß: „Das ist definitiv kein Einzelfall.“

Er selbst hat neben dem Tier in Wallroth noch einen Rotmilan aus Steinau gepflegt. „Der hatte einen gebrochenen Ständer und einen gebrochenen Flügel“, erklärt Schanze. Auch dieses Tier sei inzwischen ausgewildert. Für ein weiteres Tier, das „zwei Windmühlen weiter im selben Windpark gefunden wurde“, kam jede Hilfe zu spät. In diesem Windpark sei er zu sechs weiteren Fundorten gerufen worden.

„Tote Tiere passen nicht in die Ökostrom-Geschichte“

In seiner Greifvogelauffangstation pflegt Schanze, der europaweit in verschiedenen Rotmilanprojekten tätig ist, viele Nestlinge und Jungvögel, verletzte und „verunfallte“ Bussarde, Falken und Eulen. Immer mit dem Ziel, sie nach der Genesung wieder auszuwildern.

Bereits im ersten Jahr nach dem Volierenbau wurden mehr als 30 Greifvögel aufgenommen, so Schanze, darunter Uhu, Waldkauz, Waldohreule, Schleiereule, Bussard, Sperber, Habicht und Turmfalke. „In jedwedem Windpark gibt es regelmäßig Totfunde. Die werden politisch hingenommen“, meint Schanze. Mehr noch: Es werde erschwert, darüber zu berichten, „denn tote Tiere passen nicht in die Ökostrom-Geschichte“.

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Alle exakt nachweisbaren Windrad-Schlagopfer werden zentral für ganz Deutschland in der staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt Brandenburg erfasst. Zuständig ist dort Tobias Dürr, der auf Nachfrage unserer Zeitung bestätigen kann, dass „Robin“ kein Einzelfall ist.

„Auf den ersten Blick“ fand er in seiner detaillierten Liste, in der hessenweit 68 Rotmilane, zwei Schwarzmilane, zwei Schwarzstörche, 33 Mäusebussarde, sechs Falken, fünf Kraniche und diverse kleinere erschlagene Vögel gelistet sind, zwei Funde von erschlagenen Rotmilanen aus dem Schlüchterner Land.

Der erste datiert dabei auf 2005, der zweite auf 2021 – in Wallroth. „Weitere Meldungen scheinen bei mir bisher nicht eingegangen zu sein“, berichtet er. Allerdings gehe er, wie Thomas Mathias und Michael Schanze, von einer großen Dunkelziffer aus. Denn wenn ein totes oder verletztes Tier im ländlichen Raum unweit von Windkraftanlagen liege, dauere es nicht lange, bis es von einem anderen, hungrigen Tier „entsorgt“ werde.

Stichwort

Das Vorkommen des Rotmilans beschränkt sich fast ausschließlich auf Europa. Über die Hälfte des Weltbestands brütet in Deutschland (circa 25.000 Brutpaare, Stand 2015). Daraus resultiert eine besondere Verantwortung für die Erhaltung dieses attraktiven Greifvogels. Er hat seit den 1990er Jahren bundesweit einen drastischen Bestandsrückgang erlitten.

Die strukturreiche Mittelgebirgsregion der Rhön zählt zu den Verbreitungsschwerpunkten und bietet dem rotbraunen Greifvogel mit dem tief gegabelten Schwanz noch relativ gute Lebensbedingungen. In einem vom Bund geförderten „Artenhilfsprojekt Rotmilan Rhön“ werden länderübergreifend Bestandserfassungen, Horstschutzmaßnahmen und Biotopverbesserungen vorgenommen. Am Projekt beteiligen sich sechs Landkreise sowie viele Ehrenamtliche und Behörden.

Steckbrief Rotmilan (lat: Milvus milvus)

Familie: Habichtartige (Accipitridae)

Lebensraum: Nahrungshabitate im Offenland, Brutreviere in Wäldern und Gehölzinseln, überwintert überwiegend auf der Iberischen Halbinsel

Nahrung: Kleine Säugetiere, Vögel, Insekten, Aas und Abfälle

Flügelspannweite: circa 170 Zentimeter

Gewicht: 900 bis 1200 Gramm

Körperlänge: 60 bis 73 Zentimeter

Quelle: Biosphärenreservat Rhön (biosphaerenreservat-rhoen.de)

Außerdem finden sich in der Liste nur 100 Prozent nachvollziehbar erschlagene Tiere Erwähnung. Dies erfordere eine exakte Beschreibung sowie Fotos, die mit GPS-Daten versehen sind, weiß Schanze. „In unserer Region wird nicht explizit nach erschlagenen Tieren gesucht“, sagt er wie auch andere. Das heißt, dass es sich bei allen um Zufallsfunde handele.

Die Kosten für Transport, Operation, Pflege und Auswilderung der verunglückten Tiere wird übrigens nicht von Windparkbetreibern übernommen – und auch nicht von der Unteren Naturschutzbehörde (Landkreis), weiß Thomas Mathias, der sich diesbezüglich in der Kreisstadt Gelnhausen informiert hat.

Weitere Informationen und Meldung verletzter Vögel im Internet unter der Adresse: greifvogel-hilfe.de

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