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Vater und Sohn nach Tat schuldig gesprochen - „nicht rassistisch motiviert“ 

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Von: Tim Bachmann

Am ehemaligen Amtsgericht in Schlüchtern ist am 19. Mai 2021 ein 57-jähriger Opfer eines rassistischen Überfalls geworden.
Am ehemaligen Amtsgericht in Schlüchtern im Main-Kinzig-Kreis war es am 19. Mai 2021 zu dem Überfalls gekommen. © Alexander Gies

Der Prozess um eine vermeintlich rassistisch motivierte Tat im Main-Kinzig-Kreis endete mit Schuldsprüchen gegen zwei Männer aus Sinntal – den 44 Jahre alten Vater und seinen 21 Jahre alten Sohn.

Schlüchtern - Allerdings endete der Prozess auch mit der Feststellung von Richterin Petra Ockert: „Hier hat kein zweites Hanau stattgefunden.“ Damit bezog sich die Richterin auf eine Aussage von Anwältin Anna Larissa Faust, die das Opfer, einen 58-Jährigen, der in Pakistan geboren wurde, aber seit mehr als 30 Jahren in Deutschland lebt, als Nebenklägerin vertrat.

Der Mann wurde – wie es der jüngere Angeklagte nun einräumte – als „Neger“/„Nigger“ rassistisch beleidigt. Faust meinte, wäre ihr Mandant nicht dunkelhäutig, wäre es nicht zu dieser Tat in der Straße „Amtsberg“ in Schlüchtern (Main-Kinzig-Kreis) gekommen (lesen Sie auch hier: 57-Jähriger rassistisch beleidigt und bedroht - Opfer berichtet: „Ich hatte Todesangst“).

Main-Kinzig-Kreis: Vater und Sohn schuldig gesprochen - „nicht rassistisch motiviert“ 

Deshalb wäre die Tat auch als rassistisch motiviert einzustufen. Ebenso verwies sie auf den rassistischen Anschlag in Hanau. Doch mit der Auffassung, die Beschuldigten handelten aus rassistischen Beweggründen, stand Faust allein da. Am letzten Prozesstag wurden weitere sechs Zeugen gehört (lesen Sie auch hier: Nach rassistischem Überfall in Schlüchtern - 200 Bürger versammeln sich am Tatort).

Zuerst berichtete ein 40-jähriger Polizist von der Spurensicherung an Auto und Pullover des Opfers. Auf der Motorhaube wurde ein „Wischabdruck“ festgestellt, am Pullover, an dem der ältere Angeklagte das Opfer gepackt haben soll, wurden DNA-Spuren gesichert. Als nächster Zeuge sagte ein 50-jähriger Kriminalbeamter aus, der die Angeklagten zur Befragung nach Schlüchtern gebracht hatte.

Der 21-jährige Angeklagte (links) und sein Vater (44, rechts), hier mit ihren Anwälten Gabriele Berg-Ritter und Christian Freydank, müssen sich wegen des Vorwurfs der Beleidigung und Körperverletzung verantworten.
Der 21-jährige Angeklagte (links) und sein Vater (44, rechts), hier mit ihren Anwälten Gabriele Berg-Ritter und Christian Freydank, müssen sich wegen des Vorwurfs der Beleidigung und Körperverletzung verantworten. © Tim Bachmann

Der ältere Beschuldigte habe ihm im Gespräch außerhalb der Befragung geschildert, wie er das Opfer „gepackt und rumgedreht“ habe. Der Angeklagte soll gesagt haben: „Ich habe den Kerl am Kragen gepackt. Er hat meinen Sohn beleidigt. Das lasse ich nicht zu. Nicht von so einem“, was der Polizist natürlich vermerkte. 

Ein 22-Jähriger aus Schlüchtern wurde als dritter Zeuge aufgerufen. Er konnte von den Anfängen des Streits berichten. Ihm seien Bier trinkende Jugendliche aufgefallen. Er habe in der Pizzeria gegenüber Essen bestellt, sei dann zur Commerzbank gegangen und habe ein Wortgefecht mitbekommen.

Dann sei er direkt zum 58-Jährigen gegangen, den er als Opfer ausgemacht habe, um zu fragen, ob dieser Hilfe benötige. „Nein, die Polizei ist verständigt“, soll das Opfer gesagt haben. Worauf der junge Mann wieder ging. Allerdings habe er mit Sicherheit keine rassistischen Beleidigungen gehört.

„Daran würde ich mich erinnern“, dann wäre er eingeschritten, meinte er vor Gericht. Die letzten drei Zeugen, ein 20-jähriger Freund und die Verlobte (20) des jüngeren Angeklagten sowie dessen Mutter (45) fielen mit „verschwommenen Erinnerungen“ auf. Dennoch hatten sie in ihren Aussagen in einigen Punkten exakt die gleiche Wortwahl und Gestik.

Am Amtsberg, unweit des ehemaligen Amtsgerichts, trafen sich 180 bis 200 Menschen zu einer Kundgebung.
Am Amtsberg, unweit des ehemaligen Amtsgerichts, trafen sich einige Zeit nach der Tat 180 bis 200 Menschen zu einer Kundgebung. © Alexander Gies/Fuldaer Zeitung

So waren sie einig, wie der jüngere Angeklagte dem Opfer signalisierte, langsam zu fahren (und zwar nicht mit dem „Mittelfinger“), dass die Verlobte „mit einem Fuß auf der Straße“ unterwegs gewesen sei, und dass sie vom Opfer im Auto im Schritttempo verfolgt worden seien. Und das Opfer soll in einer fremden Sprache „gedroht“ haben, was ihnen Angst gemacht habe. 

Ansonsten konnte sich der 20-jährige Zeuge an kaum etwas erinnern. Nicht einmal an seinen Beruf, wonach ihn die Richterin fragte. Die 45-jährige Zeugin, gegen die das Verfahren eingestellt wurde, wie Richterin Ockert berichtete, bestätigte mit ihrer Aussage die Einlassungen von ihrem Ehemann und ihrem Sohn.

Ockert verlas ein Attest mit Diagnosen wie Schädelprellung, Kehlkopf-Kontusion, HWS-Trauma. Nachgereicht wurde von der Nebenklage ein weiteres Attest einer Psychiaterin, das dem 58-Jährigen eine schwere post-traumatische Belastungsstörung sowie schwere Depressionen bescheinigt.

Laut Psychiaterin sei dies „eindeutig die Folge des Überfalls“. Ihr Patient sei so verängstigt, dass er mit dem Gedanken spiele, Schlüchtern zu verlassen. In einer ersten medizinischen Begutachtung des Opfers wurden jedoch weder Würgemale noch Hämatome oder Abschürfungen oder Rötungen gesehen.

Die Staatsanwaltschaft sah in ihrem Plädoyer von einer rassistisch motivierten Tat ab. Da das Opfer selbst mit einigen Widersprüchen aufgefallen sei, bleibe nur, den jüngeren Mann wegen Beleidigung und dessen Vater wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu belangen.

Richterin Ockert verwies auf vier Einstellungen in der Jugendakte des 20-Jährigen. Die Jugendgerichtshilfe skizzierte den Weg des jungen Mannes, der in der Schule Probleme hatte und der noch stark an sein Elternhaus gebunden sei. Den Vorschlag, ihn nach Jugendstrafrecht zu verurteilen und in zwei Modulen an seiner Sozialkompetenz zu arbeiten, unterstützten Staatsanwalt, Verteidigung und Richterin Ockert, die der Empfehlung folgte. 

Der ältere Angeklagte, der als 400-Euro-Jobber in der Firma seines Sohnes tätig ist, wurde von Ockert der Körperverletzung für schuldig gesprochen. Da er nicht vorbestraft sei, kam eine Freiheitsstrafe nicht in Betracht, erklärte die Richterin. Stattdessen muss er 70 Tagessätze á 8 Euro zahlen.

Damit blieb Ockert unter der Forderung des Staatsanwalts (90 Tagessätze á 10 Euro). Der Verteidiger des 44-Jährigen forderte Freispruch. Zusätzlich müssen die Angeklagten die Kosten des Verfahrens und der Nebenklage tragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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