Was passiert mit Menschen, die einsam sterben?
Schlüchtern - Frau Köster ist im Schlüchterner Ordnungsamt zuständig für die Bestattung von Toten ohne Angehörige oder wenn die Verwandten diese nicht beisetzen wollen. In ihrem Büro stehen zwei abgewetzte Taschen. „Das ist oft alles, was von Menschen bleibt“, meint die Sachbearbeiterin. Ein Schlafanzug, Hygieneartikel, ein Gebiss – und die Akte.
Immer wieder spricht sie von der Einsamkeit der Menschen, mit denen sie erst nach deren Tod zu tun hat. Das Thema bewegt sie sehr: „Viele Menschen sterben so isoliert und alleine, wie sie gelebt haben.“ Als eine alte Dame beim Einkaufen starb und Frau Köster sich um die Bestattung kümmerte, klagte eine ältere Frau aus der Nachbarwohnung der Verstorbenen. „Oh je, so werde ich wohl auch mal enden.“ „Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist“, meint Frau Köster, „aber sie hat wohl nichts an ihrem Leben geändert. Dabei gibt es doch genug Möglichkeiten, auch im Alter nicht so allein zu sein.“
Doch der einsame Tod trifft nicht nur alte Menschen, sondern auch jüngere mit Drogen- und Alkoholproblemen oder psychischen Krankheiten. Die meisten der einsam Sterbenden hinterlassen keine Unterlagen oder Wünsche für den Fall ihres Todes (etwa eine Notfallmappe). Seit 1992 hat sich die Sachbearbeiterin um 33 Todesfälle gekümmert, anfangs waren es Verstorbene ohne Angehörige. Doch in letzter Zeit sind es oft Tote, die noch Verwandte haben: Die neunzigjährige Schwester eines Toten, die ihren Bruder 50 lang nicht mehr gesehen hat. Oder die Tochter einer verstorbenen schweren Alkoholikerin. Mit vier Jahren kam sie ins Heim und hatte – „nach einer schrecklichen Nacht mit tödlichem Ausgang“ – niemals mehr Kontakt zur Mutter.
Große Konflikte in Familie
„In manchen Familien sind die Konflikte so stark gewesen, dass auch mal gesagt wird: ‚Geben Sie ihn dem Winterdienst’ oder ‚Werfen Sie ihn auf den Kompost.’ Doch solche Tragödien dürfen die Arbeit nicht beeinflussen“, findet Frau Köster. Gesetzlich ist geregelt, dass Verwandte, auch wenn sie das Erbe ausschlagen oder keinen Kontakt mit den Toten hatten, für die Bestattungskosten aufkommen müssen. Aufgrund der Bestimmungen tritt die Stadt Schlüchtern ein, regelt die Bestattung und anderes Notwendiges, wenn hier der „Sterbeort“ war. Die Kosten treibt das Amt ein, falls der Nachlass sie nicht deckt, was meistens der Fall ist. Doch bei den beiden geschilderten Fällen gab es eine Härtefallregelung.
Sterben die alleinstehenden Menschen im Heim oder Krankenhaus, so müssen diese Institutionen für die Bestattung aufkommen. Gelegentlich ruft ein Hospital oder Bestatter beim Amt an und fragt: „Ich hab’ hier ’ne Tote, ich weiß nicht, wohin damit ...“ Die Sachbearbeiterin muss dann den Nachlass sichten und Verwandte suchen. Da Angehörige meist erst nach einiger Zeit gefunden werden, beauftragt sie einen Bestatter für ein schlichtes, kostengünstiges Urnenbegräbnis. Eine Erdbestattung gibt es nur, wenn bekannt ist, dass der Verstorbene zu Lebzeiten eine Einäscherung aus religiösen oder anderen Gründen abgelehnt hat.
Pfarrer begleitet Verstorbene ohne Angehörige
Pfarrer Joachim Truss ist Vorsitzender des Schlüchterner Friedhofsausschusses, einem Gremium aus Politikern und Kirchenvertretern. In dieser Funktion, aber auch aus christlicher Überzeugung begleitet er Verstorbene ohne Angehörige. „Am Anfang standen die Urnen einfach so herum“, erinnert er sich, „dann haben wir uns überlegt, man kann doch die sterblichen Überreste nicht einfach verscharren.“ Seitdem begleiten der Geistliche, ein Friedhofsarbeiter und oft der Bestatter die Beisetzung, meist auf dem anonymen Grabfeld in Schlüchtern.
Der Pfarrer spricht dann ein Gebet und sagt einige Sätze über den Verstorbenen. „Egal, ob das ein dreißigjähriger Alkoholiker oder ein einsamer Alter war“, meint Truss, „er ist ein unverwechselbarer Mensch gewesen, den wir würdig unter die Erde bringen wollen.“