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Mit Blut an den Händen ins Taxi: Ermittler zeigen Überwachungsvideos im Prozess um getötete Kinder

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Auf den ersten Blick ist an dem Mann, den eine Videokamera am Hanauer Marktplatz eingefangen hat, nichts Auffälliges erkennbar. Mit schnellen Schritten hastet er die Römerstraße entlang in Richtung Marktplatz, steigt dort in ein Taxi. Erst wenn die Kamera ihn ein Stückchen näher heranholt, ist die tiefrote Farbe von Blut an seinen Hände erkennbar.

Hanau - Wenige Augenblicke zuvor soll Raj S. (alle Namen geändert) seiner siebenjährigen Tochter die Kehle durchgeschnitten haben, während sein elfjähriger Sohn aus purer Angst vom Balkon der Wohnung im neunten Stock in den Tod sprang. Im Schwurgerichtsprozess gegen den wegen Mordes an seinen beiden Kindern angeklagten Mann sind am jüngsten Prozesstag zahlreiche Zeugen vernommen worden.

Hanau: Ermittler zeigen im Prozess Überwachungsvideos zum Vater der Kinder

Vor allem die Ausführungen des leitenden Ermittlungsbeamten ermöglichten nun eine konkrete Vorstellung davon, was sich am Morgen des 11. Mai 2022 abgespielt haben könnte. In Bezug auf das unmittelbare Geschehen am Tatort, jener Wohnung in der Hanauer Römerstraße, in der die beiden Kinder nach der Trennung der Eltern mit ihrer Mutter lebten, sind die Darstellungen bislang hypothetisch, was die Zeit direkt vor und nach der Tat anbelangt. Allerdings bleibt kaum Interpretationsspielraum.

Das liegt vor allem an der akribischen Auswertung unzähliger Aufzeichnungen von Überwachungskameras, aus denen die Beamten der Ermittlungsgruppe ein insgesamt 21 Minuten langes Video zusammengeschnitten haben, das Raj S. am Tattag wie ein Schatten begleitet. Seine Reise, das belegen entsprechende Funkzellen-Auswertungen, beginnt in Kelsterbach, wo er damals wohnte.

Am Frankfurter Hauptbahnhof wird er erstmals sichtbar: auf der Überwachungskamera einer S-Bahn, in die er um 4.36 Uhr steigt. Sein Ziel ist der Hanauer Hauptbahnhof, von dort nimmt er um 5.06 Uhr den Bus in Richtung Marktplatz. Um 5.20 Uhr erfasst ihn eine auf die Straße gerichtete Kamera aus dem Innern eines Cafés. Dann verschwindet er kurz an dem Haus in der Römerstraße und taucht wieder auf, als seine Ex-Frau Narami M. ihre Wohnung verlässt.

Mordprozess gegen 47-jährigen Mann in Hanau
Ein 47-jähriger Angeklagter wird zum Prozessauftakt in den Gerichtssaal des Landgerichts geführt. © Arne Dedert/dpa

Unterschiedliche Kameras zeichnen auf, wie er ihr in einigem Abstand folgt, während sie zur Bushaltestelle läuft, um zur Arbeit zu fahren. Mehrmals vergewissert er sich, dass sie eingestiegen ist, bevor er – mit einer Verwandten in Indien telefonierend – zurück zu dem Haus läuft, in dem seine Kinder nun allein und schutzlos sind.

Als ihn um 7.23 Uhr die Kamera in dem Café erneut erfasst, ist eine deutliche Veränderung in seinem Habitus erkennbar. Er bewegt sich zügig, wirkt gehetzt, vergräbt seine Hände größtenteils tief in den Taschen seiner Jacke. Mit dem Taxi fährt er nach Frankfurt.

Der später ermittelte Fahrer erinnert sich, wie nervös er war und dass er mitten auf einer Bundesstraße aussteigen wollte, als ein Stau den Verkehr kurzzeitig lahmlegte. Am Frankfurter Hauptbahnhof steigt er in den ICE nach Aachen. Dort verliert sich um 10.30 Uhr zunächst seine visuelle und digitale Spur. Wenige Tage später aber kann er in Frankreichs Hauptstadt festgenommen werden.

Unter Berücksichtigung der Aussagen mehrerer Zeugen zum unmittelbaren Tatzeitpunkt kristallisierte sich nach Überzeugung des Beamten ein Zeitfenster von nur wenigen Minuten für die Bluttat heraus. Dass dabei ein Streit zwischen Vater und Kindern eskalierte oder der Angeklagte zunächst ihre Entführung geplant haben könnte, hält der Ermittler für sehr unwahrscheinlich. Die Zeit für die erste Hypothese sei viel zu kurz, für die zweite gebe es keinerlei Anhaltspunkte.

Solche sieht der Beamte jedoch sehr wohl für die Annahme, dass Raj S. die Tat geplant und mit einer festen Tötungsabsicht in die Wohnung gefahren ist. So hat er unmittelbar vor der Tat sein Konto leergeräumt und sich bei seinem Sohn in einem Telefonat erkundigt, wann seine Ex-Frau und wann die Kinder morgens das Haus verlassen. Der Prozess am Landgericht geht am 17. März weiter. (nic)

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