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Prozess-Beginn ohne Hauptangeklagte: Wirtschaftsstrafkammer arbeitet umstrittene Cum-Ex-Geschäfte auf

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Von: Hanns-Georg Szczepanek

Nur kurz war der erste Verhandlungstag für Kai Schaffelhuber (rechts), einem der zwei Verteidiger von Hanno Berger. Das Verfahren gegen den Steueranwalt aus Elm wurde vom Landgericht Wiesbaden wenige Minuten nach Prozessbeginn abgetrennt. Im Hintergrund der pandemiebedingt temporär errichtete Gerichtssaal mitten im Grünen.
Nur kurz war der erste Verhandlungstag für Kai Schaffelhuber (rechts), einem der zwei Verteidiger von Hanno Berger. Das Verfahren gegen den Steueranwalt aus Elm wurde vom Landgericht Wiesbaden wenige Minuten nach Prozessbeginn abgetrennt. Im Hintergrund der pandemiebedingt temporär errichtete Gerichtssaal mitten im Grünen. © Hanns Szczepanek

Spaziergänger schieben Kinderwagen, Jogger spurten an Schrebergärten vorbei, die Frühlingssonne scheint. Bis auf den werkshallenartigen, gut gesicherten Leichtbau am Rande eines Naherholungsgebiets weist am Grundweg in Wiesbaden wenig darauf hin, dass dort am Donnerstag der Prozess um einen der größten Steuerskandale in Deutschland begonnen hat.

Wiesbaden - Geschlagene zwei Stunden dauert es, bis die Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt die Anklageschrift vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden verlesen haben, in der Dr. Kathleen Mittelsdorf den Vorsitz führt. Die verbliebenen zwei Angeklagten hören sich alle Einzelheiten die Vorwürfe mit ihren jeweils zwei Verteidigern geduldig, fast schon in stoischer Ruhe an.

Unter dem medizinischen Mund-Nasen-Schutz und hinter weiß gerahmtem Plexiglas ist nicht allzu viel von ihrem Mienenspiel zu erkennen, doch manches Augenrollen lässt darauf schließen, dass die beiden Ex-Kollegen aus der bayerischen Großbank herzlich wenig an den Vorwürfen der Staatsanwälte nachvollziehen können. (Lesen Sie hier: Prozess um Flugzeug-Unglück auf der Wasserkuppe: 58-jähriger Pilot erhält Bewährungsstrafe).

Cum-Ex-Geschäfte: Prozess-Beginn in Wiesbaden ohne Hauptangeklagte

Im Kern geht es um Geschäfte mit Leerverkäufen rund um den Dividendenstichtag von Aktien deutscher Dax-Unternehmen. Diese sogenannten Cum-Ex-Geschäfte wurden zwischen 2006 und 2008 vorgenommen. Mittel zum Zweck war offenbar eine in Eppstein ansässige Gesellschaft eines sehr vermögenden Privatinvestors. Für diese wurden Bescheinigungen über die bei Inhabergeschäften abzuführende oder einzubehaltende Kapitalertragssteuer (samt Solidaritätszuschlag) von der Depotbank besorgt, obwohl die Abgaben weder einbehalten noch abgeführt wurden. Diese Beträge seien im Zuge von Steuererklärungen der Eppsteiner Firma geltend gemacht und vom Finanzamt Wiesbaden erstattet worden, ohne jemals an den Fiskus gezahlt worden zu sein.

Im Detail

Als das Hauptverfahren im sogenannten Cum-Ex-Prozess Ende 2019 eröffnet worden ist, standen unter dem Titel „Dr. Berger u.a.“ noch sechs Angeklagte auf der Liste des Landgerichts Wiesbaden. Nach der Mitte März wegen Corona-Reisebeschränkungen abgetrennten Verfahren gegen zwei Beschuldigte aus Irland und Gibraltar, ist gestern auch das Verfahren gegen den aus Elm stammenden Dr. Hanno Berger abgetrennt worden. So stehen in dem zunächst bis Mitte Juni anberaumten Prozess nur noch zwei Mitarbeiter einer Großbank vor Gericht. Berger erschien dort trotz Ladung nicht.

Ein weiterer Hauptangeklagter wird mit internationalem Haftbefehl gesucht, hält sich aber wohl in seiner Heimat Neuseeland auf und ist dort vor einer Auslieferung sicher. Gleiches gilt auch für den seit Jahren in der Schweiz lebenden Berger, gegen den sogar zwei Haftbefehle aus Bonn und Wiesbaden vorliegen. Sein Rechtsanwalt Kai Schaffelhuber machte vor Gericht deutlich, dass Berger nicht ordnungsgemäß geladen worden sei. In dem Schreiben von Mitte Januar seien dem 70-Jährigen Zwangsmaßnahmen angedroht worden, was gegenüber dem Bürger eines anderen Staates unzulässig sei und in der Schweiz sogar als Straftat gelte. Überdies sei Berger gesundheitlich angeschlagen. Er befinde sich seit 8. März in einer Klinik.

Konkret geht es in dem Verfahren um 61 Leerverkaufsgeschäfte mit einem Gesamthandelsvolumen von rund 15,8 Milliarden Euro. Damit seien aus der Staatskasse insgesamt 113,3 Millionen Euro erschlichen worden. Der Steuerschaden ist zwar von der Rechtsnachfolgerin der Depotbank beglichen worden, vor dem Landgericht werden aber die strafrechtlichen Folgen verhandelt. Im Mai 2018 stand über dem Verfahren noch „Verdacht auf Steuerverkürzung“, inzwischen geht es um mutmaßliche Steuerhinterziehung. Für schwere Steuerhinterziehung drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Video: Cum-Ex-Skandal: Scholz weist politische Einflussnahme zurück

Der Steuerberater und Rechtsanwalt Hanno Berger wird rund um die Cum-Ex-Deals als „treibende Kraft“ beschrieben. In der Branche seien diese Geschäfte sogar als „Berger-Modell“ bekannt gewesen. Zugleich habe der gebürtige Elmer als ehemalige Führungskraft in der Steuerverwaltung einen ausgezeichneten Ruf als Garant für Seriosität genossen. Bergers Anwalt Kai Schaffelhuber unterstrich gestern, die heute beklagte Praxis der Aktiengeschäfte sei damals rechtskonform gewesen, weshalb sein Mandant als unschuldig anzusehen sei.

Die Verteidiger der beiden Ex-Banker erklärten, ihre Mandanten seien lediglich mit ausführenden Tätigkeiten betraut gewesen, nicht mit strategischen. Sie hätten keinen Anlass gehabt, an der Integrität von Berger und dessen Expertise zu zweifeln. Der Prozess wird am 8. April fortgesetzt.

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