"Es ist alles in Ordnung": ARD-Drama wühlte auf

München - Das TV-Drama „Es ist alles in Ordnung“ über Schein und Sein eines bürgerlichen Familienlebens hat viele ARD-Zuschauer am Mittwochabend aufgewühlt. Ein Interview mit der Regisseurin.
So eindringlich wie differenziert zeigt die 1966 geborene Regisseurin und Grimme-Preisträgerin Nicole Weegmann („Mobbing“) in „Es ist alles in Ordnung“ die Verhältnisse einer Patchwork-Familie mit einer Teenager-Tochter, die sich alleingelassen fühlt, einem brutal reagierenden Stiefvater und einer Mutter als Mittäterin. Die jagt einem Traumbild von Harmonie nach und gibt ihre Passivität erst auf, als die Situation eskaliert.
Frau Weegmann, was war der Auslöser zu diesem Film, der das Thema häusliche Gewalt so drastisch, wenn auch differenziert, auf den Punkt bringt?
Nicole Weegmann: Der Auslöser war, dass die Producerin Julia Roeskau im Prinzip inspiriert war durch den Fall Fritzl. Der Österreicher hatte ja seine eigene Tochter 24 Jahre lang gefangengehalten und missbraucht. Außerdem hat Frau Roeskau die Figur der Mittäterin interessiert - damit die Frage, wie es möglich ist, dass man solange wegschauen kann und so etwas verborgen bleiben kann innerhalb einer Familie.
Zunächst haben ja die Autoren Christina Ebelt und Ingo Haeb recherchiert und eine Textfassung geschrieben. Dann wurden Sie gebeten, am Drehbuch mitzuarbeiten. Worin lag Ihr Beitrag?
Nicole Weegmann: Wir haben noch einige Drehbuchfassungen in Zusammenarbeit erstellt. Ich hatte großes Vertrauen in die Arbeit der Autoren und alles war auch schon in der Anlage da. Für mich war es aber noch mal spannend, die Ambivalenz der Figuren hervorzuheben. Also den Täter weniger sadistisch und weniger eindeutig zu schildern. Und auch die Mutter im Prinzip nachvollziehbarer zu zeigen, die eine unglaublich unsympathische Figur für mich immer gewesen ist. Die Silke [Bodenbender] hat das dann auch ziemlich menschlich umgesetzt. Was mir sehr wichtig war, um auch für diese Figur einen Zugang zu finden. Und das Kind haben wir dann auch noch drastischer geführt in seinen rebellischen Provokationen. Im Grunde weiß man nie genau: Wo ist eigentlich richtig und falsch?
Entspricht diese Vielschichtigkeit in besonderer Weise Ihrem Menschenbild?
Nicole Weegmann: Ja, es entspricht meinem Menschenbild. Ich denke, dass man vieles nachvollziehen kann - ich kann immer sehr viel nachvollziehen, ohne es zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Das interessiert mich gerade bei so einem Stoff dann doch mehr als holzschnittartig gefertigte Figuren. Es gibt ja auch schon so viel zu dem Thema. Dabei vermag ich nicht zu sagen, ob familiäre Gewalt ein besonders aktuelles oder doch eher ein zeitloses Thema ist. Man denke etwa an Hanekes Film „Das weiße Band“ über psychische Gewalt an Kindern vor dem Ersten Weltkrieg, die mit zum Wegbereiter für den Nationalsozialismus wurde. Ich weiß auch nicht, ob die Hemmungslosigkeit heutzutage zunimmt. Das entzieht sich meiner Kenntnis. Obwohl es das ist, was man vermutet.
Haben Sie bei Ihrer beruflichen Arbeit, zu der auch die Filme „Schenk mir dein Herz“ mit Paul Kuhn und „Mobbing“ zählen, ein besonderes, übergeordnetes Anliegen?
Nicole Weegmann: Mir ist es wichtig, glaubhafte und wahrhaftige Figuren zu erzählen. Ich finde das auch wichtig bei Filmen, die das nicht unbedingt als Grundlage verlangen - also bei Genrefilmen. Ich möchte, dass man glaubt, was man da sieht. Außerdem interessieren mich eine gewisse gesellschaftliche Relevanz und politische Themen. Meine Verantwortung als Filmemacherin möchte ich dahingehend wahrnehmen, dass man möglicherweise ein Menschenbild auf sinnvolle Weise prägen hilft. Das ist auch eine Chance. Auch wenn es andere gibt, die viel Größeres leisten - etwa im sozialen Bereich -, hat man doch als Regisseur die Möglichkeit, die Menschen emotional zu erreichen. Das sollte man nicht unterschätzen. In unserem Film sind die Figuren ja so geführt, dass man bei allem Abstoßenden vielleicht auch das eine oder andere Gefühl in sich selbst wiedererkennt."
dpa