Misslungene Generalprobe: Eine Auftaktfolge, die besser ungesendet geblieben wäre

Die Idee überzeugt, die Ausführung lässt viele Wünsche offen: Eine Diskussionsrunde mit Kurt Krömer erörtert neuere Fernsehserien.
Schon in den 1990er Jahren hatte Lutz Hachmeister, der damalige Direktor des Adolf-Grimme-Instituts, die Idee, eine fernsehkritische TV-Sendung nach dem Vorbild des „Literarischen Quartetts“ einzurichten. Es bedurfte wohl erst der künstlich geschürten Aufregung um die Gattung der Fernsehserie, dieses Konzept Wirklichkeit werden zu lassen.
Realisiert hat es der WDR als Beitrag für den jugendorientierten ARD-Spartenkanal One. Ins vor Studiopublikum tagende Gremium berufen wurden der Komiker mit dem Künstlernamen Kurt Krömer, die Drehbuchautoren Annette Hess und Ralf Husmann und die Moderatorin Annie Hoffmann, die Produktions- und Comedyerfahrung mitbringt. Der Vorspann der Sendung persifliert den der Serie „Die Sopranos“, jener HBO-Produktion, die einem verbreiteten und wohl kaum mehr auszumerzenden Irrglauben zufolge das Zeitalter der Qualitätsserie begründet haben soll.
Kurt Krömer habe sich „die Moderationskarten geschnappt“ witzelt ein Sprecher aus dem Off, um das Publikum über die leitende Funktion des Spaßvogels zu informieren. Korrespondierend zum „Literarischen Quartett“ des ZDF wird auch in dieser Sendung jeder Diskutant eine ausgewählte Serie vorstellen. Krömer hat „Der Pass“ ausgewählt, eine bei Sky uraufgeführte deutsch-österreichische Kriminalserie, die sich vage an die dänisch-schwedische Produktion „Die Brücke – Transit in den Tod“ anlehnt, was die Gesprächsrunde aber unerwähnt lässt.
Wie ohnehin gerade Krömer sich offenbar unzureichend vorbereitet hat und vorrangig auf seine Schlagfertigkeit baut. Die lässt ihn aber ein ums andere Mal im Stich. Peinlich vor allem, dass er den Namen der Hauptdarstellerin von „Der Pass“ vergessen hat. Julia Jentsch heißt die mehrfach preisgekrönte Schauspielerin.
Annette Hess findet Julia Jentsch in der Rolle der Kommissarin Ellie Stocker schlichtweg „doof“
Schon bei dieser ersten Vorstellung scheiden sich die Geister, und so soll es ja auch sein in einer unterhaltsamen Gesprächssendung. Die streitbare Drehbuchautorin Annette Hess tut die alpine Noir-Variante als „strunzend langweilig“ ab. Sie findet Julia Jentsch in der Rolle der deutschen Kommissarin Ellie Stocker schlichtweg „doof“. Zugleich räumt sie ein, dass sie fiktionales Fernsehen mit den Augen der Fachfrau anschaut und beinahe immer Makel entdeckt, womit sie schon die eigenen Kinder vergrault hat.
Sie selbst stellt „Derek“ vor, eine Serie des britischen Allround-Talents Ricky Gervais. Da wird es nun ein wenig pikant, denn Gervais ist Miterfinder und Hauptdarsteller der Serie „The Office“, die vom anwesenden Ralf Husmann unter dem Titel „Stromberg“* adaptiert wurde. Zunächst ohne den nötigen Rechteerwerb, weshalb der deutsche Sender Pro Sieben von der britischen BBC eine entsprechende Demarche erhielt.
Anfangs hatte Husmann gegenüber der Presse noch geleugnet, „The Office“ kopiert zu haben, später wurde das Original in den Stabangaben genannt. Eine der peinlichsten Episoden der deutschen Fernsehgeschichte. Einmal spielt Annette Hess auf jenen „Rechtsstreit“ an, ohne dass dem Publikum die Hintergründe erklärt werden. Im Gegenteil: Die Redaktion stellt Ralf Husmann in einer Einblendung als „Erfinder von ‚Stromberg‘“ vor.
Ralf Husmann erzählt haarsträubenden Unfug
Diese Passage veranschaulicht die Defizite dieser ersten Ausgabe des Formats, das künftig jeweils am letzten Freitag im Monat ausgestrahlt werden soll. Verständnisfördernde Informationen bleiben aus, die Bewertungen erschöpfen sich zumeist in Geschmacksurteilen. Persönliche Auffassungen haben ihre Berechtigung, werden aber zum Manko, wenn keine Kriterien erkennbar sind und Argumente fehlen.
Einzig Annette Hess weiß ihr jeweiliges Für und Wider fachlich zu unterfüttern, gewährt auch vergleichende Einblicke in ihre eigene Autorentätigkeit. Man muss ihr nicht immer zustimmen, aber sie liefert zumindest begründete Einschätzungen. Und sie hat den Mut, den Kritikerliebling „Babylon Berlin“ zu bemängeln. Mit Recht. Die Serie wurde erkennbar von (Kino-)Regisseuren verfasst, mit starrem Blick auf die Bildwirkung, daher kurzatmig und episodisch wie moderne Leinwand-Blockbuster und voller überflüssiger, prahlerisch wirkender Ausstattungsszenen bei gleichzeitiger Vernachlässigung des epischen Atems und des inneren Gehalts.
„Seriös – das Serienquartett“, ab 27.9., 21:00 Uhr, jeweils freitags auf One und in der ARD-Mediathek.
Ralf Husmann, der der Kollegin in Sachen „Babylon Berlin“* zustimmt, gibt sich kennerisch, liegt aber mit manchen Behauptungen völlig falsch, so wenn er behauptet: „Das amerikanische Fernsehen war von Anfang an ein serielles Fernsehen.“ Das war es nicht. Das Programmschema war über ein Jahrzehnt lang anthologisch und episodisch strukturiert. Konsekutive Formate – epische Serien also – liefen anfangs am Nachmittag und wanderten erst in den 1960ern ins Abendprogramm.
Demgegenüber gab es in der BRD schon ab 1959 Fortsetzungsmehrteiler, die heute, einen angelsächsischen Begriff wörtlich übersetzend, modisch „Miniserien“ genannt werden. In dieser Hinsicht war das deutsche Fernsehen dem US-amerikanischen sogar voraus – dort wurden die Mehrteiler erst Mitte der 1970er in signifikantem Maße in den Programmen eingesetzt. Desungeachtet lässt sich Husmann sogar zu der Aussage hinreißen, in Deutschland würden erst „seit zehn Jahren“ Serien produziert. Welch ein haarsträubender Unfug.
Serien im Briefmarkenformat
Nach Maßgabe der erstaunlich substanzarmen, furchtbar ungelenk geschnittenen Auftaktfolge, die besser ungesendet geblieben wäre, bedarf das Konzept dringend der Überarbeitung. Drei der Beteiligten sind spürbar mit sich (und der Redaktion?) im Unreinen, ob sie nun mit seriösen Redebeiträgen unterhalten oder blödelnd der Comedy dienen sollen. Mit Klamauk aber ist die deutsche Fernsehnation bereits ausreichend versorgt. Eine profunde Medienkritik dagegen hat noch Platz. Bei einer sorgfältigeren Machart als hier gegeben kann das sehr wohl kurzweilig ausfallen.
Unbedingt wäre allen Beteiligten eine bessere Vorbereitung anzuraten. Mehrfach wird eingeräumt, eine Serie nur auszugsweise gesehen zu haben. Wie wohl würden Hess und Husmann eine Kritik zu einer von ihnen verantworteten Serie auffassen, wenn die ebenfalls nur auf ausschnitthafter Begutachtung basiert? Fragwürdig obendrein, dass einige der Beteiligten Serien eingestandenermaßen auf dem Tablet oder gar dem Smartphone schauen. Das ist nicht anders, als würde man Rembrandts „Nachtwache“ in Briefmarkengröße betrachten und sich anschließend eine Expertise herausnehmen wollen.
Von Harald Keller
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