„Lebensläufe: Thomas Kretschmann“ - Die Vergangenheit wirkt nach
Leistungssportler, Flüchtling, Leinwand-Star: Der MDR zeigt ein einfühlsames Porträt des deutschen Hollywood-Schauspielers Thomas Kretschmann.
An Namen großer Stars hätte es keinen Mangel gehabt. Der deutsche Schauspieler Thomas Kretschmann stand mit Angelina Jolie, Robert Downey Jr., Tom Cruise, Woody Harrelson vor der Kamera. Für Regisseure wie Jean-Marc Vallée, Patrice Chéreau, Peter Jackson, Bryan Singer, Lee Tamahori, Roman Polanski. In dem sensiblen dreißigminütigen Filmporträt aus der MDR-Reihe „Lebensläufe“ fällt nur der Name des letzteren. Denn bis zur Mitwirkung in Polanskis „Der Pianist“ habe er sich immer ein wenig wie „ein Hochstapler“ gefühlt, weil er die Schauspielschule nicht abgeschlossen hat, sagt Kretschmann. „Ich habe mich immer gewundert, warum ich damit durchkomme.“ Erst das Vertrauen Polanskis, dass er die Rolle des Nazi-Offiziers und Menschenretters Wilm Hosenfeld meistern werde, beendeten seine Selbstzweifel.
Geprägt von der Jugend in der DDR
Die Filmautorin Caterina Woj widersteht der Versuchung, mit großen Namen aufzutrumpfen und Kretschmanns Karriere von den Anfängen am Berliner Schillertheater, in deutschen TV-Produktionen wie „Derrick“ und „Der Alte“ und ersten Leinwandrollen bis hin zu internationalen Kinogroßproduktionen Station für Station abzuhaken. Vielmehr lässt sich Woj von dem leiten, was Kretschmann biografisch geprägt hat. Am deutlichsten sicherlich die Jugend in der DDR als Sohn einer Schuldirektorin mit SED-Parteibuch und die erfolgreiche Karriere als Leistungsschwimmer, die mit Druck, Doping und indirekten Mobbing-Erfahrungen verbunden war. In dieser Zeit habe er beschlossen, so Kretschmann nachdenklich, niemals Opfer sein zu wollen. Die Konsequenz: die Flucht, auch so ein Erlebnis, das ihn augenscheinlich bis heute nicht verlassen hat. Nachdem er 2018 in Michael Herbigs „Ballon“ einen Oberstleutnant der Staatssicherheit verkörperte, wurde die Sichtung des fertiggestellten Films zur psychischen Belastungsprobe.
Kretschmann vermisst Berlin
Kretschmann sitzt in Kalifornien hoch über dem Ufer des Pazifiks, wenn er vom Sprint durch den Todesstreifen erzählt. Kein Kitsch, kein hohles Happyend. Denn sein Leben ist zerrissen. In Los Angeles vermisst er Berlin, in Berlin denkt er an Los Angeles. Seine erwachsene Tochter Stella Kretschmann, die ihn nach Deutschland begleitet, registriert die Wesensunterschiede, spricht von einem „L.-A.-Thomas“ und einem „Berlin-Thomas“. In Berlin wirke er gelöster. Glücklicher?
Ein erstaunlich facettenreiches, tiefgründiges Porträt
Auch der scharfe Drill der DDR-Schwimmtrainer konnte Kretschmann die Liebe zum Wasser nicht austreiben. Noch immer schwimmt und taucht er gerne, schätzt es, sich unter Wasser, wohin ihn die Kamera begleitet, völlig von der Welt abkoppeln zu können. Das Wasser ist auch Thema von Kretschmanns neuer Leidenschaft, der Fotografie. Der Film zeigt ihn bei den Vorbereitungen zu seiner ersten Ausstellung im Rahmen der Berlin Photoweek 2019.
Angesichts der knappen Sendezeit von dreißig Minuten gelang der Autorin ein erstaunlich facettenreiches, tiefgründiges Porträt des deutschen Schauspielers mit Weltkarriere. Kameramann Moritz Marz liefert dazu einfühlsam gestaltete, reizvolle Bilder, die nie aufdringlich wirken und doch mit dem jeweiligen Gemütszustand Kretschmanns korrespondieren.
Zur Sendung
„Lebensläufe: Thomas Kretschmann – Von Dessau nach Hollywood“, Donnerstag, 28.11., 23:05 Uhr, MDR