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Corona: Drosten macht „Kontakt-Tagebuch“-Vorschlag für den Winter und kassiert Spott - selbst von der „heute show“

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Von: Florian Naumann, Patrick Huljina

Virologe Christian Drosten meldet sich mit Einschätzungen zu einer zweiten Welle zurück - und erklärt, wie seiner Meinung nach ein zweiter Lockdown vermieden werden kann.

Update vom 9. August 2020: Mit klaren Einschätzungen zum neuartigen Coronavirus hat sich Virologe Christian Drosten seit Ankunft der Pandemie in Deutschland schnell einen Namen gemacht - doch seine nüchtern formulierten Vorschläge zum Umgang mit der Virusgefahr bringen dem Experten nicht nur Zustimmung ein. Erst vor wenigen Tagen hat Drosten mit einem Zeit-Gastbeitrag stark polarisiert. Im Fokus stehen dabei vor allem zwei umstrittene Punkte: Die Idee, auf die Nachverfolgung von „Quell-Clustern“ zu setzen, statt auf die von Infektionsketten. Und der Gedanke, die Menschen in Deutschland ein freiwilliges „Kontakt-Tagebuch" führen zu lassen.

Gerade das „Kontakt-Tagebuch“ führt in den sozialen Netzwerken zu heftigen Debatten. Zu lesen ist auf Twitter unter anderem die Warnung vor einem Ende der Privatsphäre - auch, aber nicht nur von Corona-Leugnern. Kritik kommt aber auch von berufenerer Stelle - so kritisiert der Medizin-Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, Werner Bartens, der sonst mit „Logik“ und einem „Talent zur Aufklärung“ gesegnete Drosten habe sich hier „vergaloppiert".

„Bei aller teutonischen Innerlichkeit wird dies vielen Menschen fremd bleiben. Zudem wird sofort die Angst vor Privatschnüffelei und mangelndem Datenschutz aufkommen“, schreibt Bartens mit Blick auf das angedachte „Tagebuch" in einem aktuellen Beitrag (Artikel hinter Bezahlschranke). Zugleich sei offen, wer die Daten überhaupt auswerten könne -  „schon jetzt ist fraglich, wer die Listen mit krakeligen Adressangaben durchsieht, die in Restaurants oder Sportstätten ausliegen.“

Kritik und Spott gibt es zugleich aus verschiedensten Lagern. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Renner schrieb angesichts des Vorschlags in den sozialen Medien von einer „absoluten Überwachung“. Die ZDF-Satire-Sendung „heute show“ nahm die praktischen Aspekte ins Visier: „Hey, I just met you. And this is crazy, aber ich bräuchte bitte deine Adresse und den vollen Namen“, skizzierte die Redaktion ein skurriles Folgeszenario.

Zustimmung für Drostens Thesen gab es zuletzt allerdings auch. So sprach sich etwa der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach in einem Tweet ebenso wieder Virologe für die Identifizierung von Superspreadern und Infektionsclustern aus. Dafür müsse man die Einzelfallverfolgung aufgeben, konstatierte er: "Beides gleichzeitig geht wegen Kapazität nicht".

Zweite Corona-Welle: Virologe Drosten gibt umstrittene Empfehlung - „Kontakt-Tagebuch" gegen Corona?

Erstmeldung vom 5. August 2020: München/Berlin - Christian Drosten, Virologe der Berliner Charité, äußert sich in seinem Podcast im NDR regelmäßig zu Themen der Coronavirus-Pandemie. Aktuell ist die viel beachtete Reihe in der Sommerpause. Doch in einem Gastbeitrag für die „Zeit“ meldete sich der Virologe nun wieder zu Wort - und sprach unter anderem über die befürchtete „zweite Welle“. Drosten erklärte zudem, wie seiner Meinung nach ein zweiter Lockdown vermieden werden kann.

„Als die Covid-19-Epidemie Deutschland erreichte, hat das Land schnell und gut reagiert. In kaum einer anderen großen Industrienation sind so wenige Menschen an der Krankheit gestorben“, schrieb Drosten, der mit einem Sonderpreis für herausragende Corona-Kommunikation ausgezeichnet wurde, gleich zu Beginn seines am Mittwoch veröffentlichten Gastbeitrags in der „Zeit“. Die erste Welle habe man besser als viele andere kontrollieren können. Das liege daran, dass man früh getestet habe und zwischen Gesellschaft, Politik und den Infektionswissenschaften ein größeres Vertrauen geherrscht habe als anderenorts. Reiserückkehrer schleppen zahlreiche Neuinfektionen mit dem Coronavirus auch nach Bayern und vor allem in den Landkreis Ebersberg ein. Die meisten Neuinfektionen mit dem Coronavirus kommen aus Kroatien. Noch gilt keine Reise-Warnung für den Balkan-Staat. Jetzt droht im Landkreis Ebersberg eine zweite Welle des Coronavirus. Der Pandemiebeauftragte des Klinikums Freising macht sich große Sorgen über einen zweiten Lockdown.

„Unser früher und kurzer Lockdown hat der Wirtschaft viel Schaden erspart“, meint der Virologe. Um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen hatte jüngst auch Justizministerin Christine Lambrecht einen Vorschlag eingebracht.

Coronavirus: Zweite Welle wird laut Drosten eine ganz andere Dynamik haben

Gleichzeitig warnt Drosten allerdings: „Jetzt aber laufen wir Gefahr, unseren Erfolg zu verspielen.“ Man lerne derzeit viel Neues über das Virus, setze es aber nur zögerlich um. Der Virologe formulierte mehrere Fragen, die es zu beantworten gelte. Unter anderem fragt er: „Welche Konsequenzen ziehen wir aus der Erkenntnis, dass sich das Virus vor allem über die Luft überträgt – also nicht nur über die klassische Tröpfcheninfektion, sondern auch über Aerosole? Was bedeutet das im Herbst und Winter für öffentliche Gebäude, für Kitas und Schulen, für Ämter und Behörden, für Krankenhäuser und Pflegeheime?“

Auch Familien könnten vor einem ganz neuen Dilemma stehen, wenn die Infektionszahlen steigen. Ein zweiter Lockdown wäre für die deutsche Wirtschaft eine Katastrophe, ist sich indes Wirtschafsweisen-Chef Lars Feld sicher.

Corona: Drosten warnt vor Gefahr, den erreichten Erfolg zu verspielen - „Kontakt-Tagebuch“ als Lösung?

Die Menschen müssen sich laut Drosten darauf einstellen, dass eine zweite Welle eine ganz andere Dynamik haben wird. „Während das Virus mit der ersten Welle in die Bevölkerung eingedrungen ist, wird es sich mit der zweiten Welle aus der Bevölkerung heraus verbreiten“, erklärt der Virologe in seinem Beitrag. Dadurch könnten Infektionsketten, die in letzter Zeit gut nachvollziehbar waren, durch künftig flächendeckendere und zeitgleich auftretende Infektionen schwerer nachvollziehbar werden.

Deutschland sei einer möglichen zweiten Welle dennoch nicht schutzlos ausgeliefert. Das Ziel müsse es sein, Cluster gezielt einzudämmen. Als Vorbild nennt der Virologe Japan, das die erste Welle ohne Lockdown unter Kontrolle gebracht hatte. Drosten schlägt nun vor, dass jeder Bürger über den Winter ein Kontakt-Tagebuch führen soll.

Corona: Drosten will auf Erkennung von Quellclustern setzen

„Durch die Fokussierung auf die Infektionsquelle wird der neu diagnostizierte Patient nämlich zum Anzeiger eines unerkannten Quellclusters, das in der Zwischenzeit gewachsen ist. Die Mitglieder eines Quellclusters müssen sofort in Heimisolierung. Viele davon könnten hochinfektiös sein, ohne es zu wissen. Für Tests fehlt die Zeit“, erklärt er.

Beispiele für sogenannte Quellcluster könnten Drosten zufolge Großraumbüros, Fußballmannschaften, Volkshochschulkurse und Schulklassen sein. Besonders auf Letztere müsse man im Herbst achten: „Weil es gerade bei jüngeren Schülern nur einen kleinen Anteil symptomatischer Fälle gibt, kann jeder Fall eines symptomatischen Schülers einen Quellcluster anzeigen.“

„Alle Beteiligten müssen akzeptieren, dass man in Krisenzeiten nicht jede Infektion verhindern kann“, schrieb Drosten in seinem Beitrag. Die Amtsärzte und Gesundheitsämter hielten sich aktuell sehr genau an die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts (RKI). In schweren Zeiten müsse man jedoch den Gesundheitsämtern erlauben, über ein Restrisiko von Infektionen hinwegzusehen. „Sie müssen das wenige Personal dort einsetzen, wo es drauf ankommt: bei den Clustern", erklärt der Virologe.

Auch an diesem Wochenende wird es in Deutschland wieder Corona-Demos geben.

Corona: Pragmatischer Weg zum Stopp des Clusterwachstums laut Drosten beste Lösung

Die bestehenden Empfehlungen des RKI seien zwar präzise und richtig, die Ämter bräuchten jedoch einen zusätzlichen Krisenmodus. „Dazu gehört eine vereinfachte Überwachung der Einzelkontakte, eine Festlegung von Clustersituationen, die sofort und pauschal quarantänepflichtig sind, sowie eine kurze Cluster-Abklingzeit mit Zulassen einer Restviruslast. Hierüber muss Einigkeit herrschen“, mahnt Drosten.

Sollte es zu einer zweiten Welle kommen, hält der Virologe einen pragmatischen Weg zum Stopp des Clusterwachstums für die beste Lösung - „ohne Lockdown, dafür mit Restrisiko“. Dafür sei das Mitdenken der gesamten Bevölkerung, der Arbeitgeber und der Politik erforderlich. Drosten erklärt weiter: „Diesen Weg müssen alle verstehen und mittragen, auch durch Befolgen allgemeiner Maßnahmen wie Maskenpflicht und Beschränkung privater Feiern.“ Ein Epidemiologe ordnet den Vorschlag Drostens jetzt als „effizient, aber nicht wünschenswert“ ein.

Ärzte warnen vor möglichen Folgeschäden einer Covid-19-Erkrankung - vor allem an der Lunge. Eine Corona-Studie aus dem chinesischen Wuhan weist nun in diese Richtung. Virologen sollten nicht wie Popstars behandelt werden - das sagt ein führender CDU-Politiker. In Belgien wurde jetzt die Stadt Antwerpen zum Risikogebiet erklärt. Dort reagiert man mit einem eigenen „Corona-Dorf“. (ph) *Merkur.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Netzwerks

Im Video: Drosten für Corona-Podcast doppelt ausgezeichnet

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