Update vom 15. Juli, 16.03 Uhr: Vier Wochen nach dem akuten Coronavirus-Ausbruch in Deutschlands größtem Fleischbetrieb Tönnies in Rheda-Wiedenbrück darf das Unternehmen jetzt an seinem Hauptstandort wieder schlachten. Die Stadtverwaltung hat den angeordneten Produktionsstopp für die Schlachtung am Mittwoch mit sofortiger Wirkung aufgehoben. Damit kann das Unternehmen in Rheda-Wiederbrück wieder Tiere von Landwirten annehmen und die Produktion schrittweise hochfahren.
Update vom 15. Juli, 15.54 Uhr: Der Fleischfabrikant Tönnies beantragt nach dem folgenschweren Corona-Ausbruch bei rund 1400 Beschäftigten, den Schlachtbetrieb am Hauptsitz im Kreis Gütersloh wieder aufnehmen zu dürfen. Eine Sprecherin der Stadt Rheda-Wiedenbrück teilte am Mittwoch mit, dass eine kurzfristige Entscheidung denkbar sei. Tönnies habe beantragt, die Arbeiten in den Bereichen Schlachtung, Zerlegung und Blutverarbeitung wieder aufnehmen zu dürfen. Dies werde nun von den Behörden geprüft.
Derzeit gilt die seit Mitte Juni gültige Schließungsverfügung durch die Stadt noch bis zum 17. Juli. Teilbereiche wie zum Beispiel eine Lebensmittelproduktion, Technik und Verwaltung sind nach Zustimmung der Behörden bereits wieder hochgefahren worden.
Der Corona-Fleischskandal bei Tönnies hat gezeigt: Die Produktion von Billigfleisch schadet Mensch und Tier. Einem Münchner Metzger platzte nun bei einer Preis-Beschwerde der Kragen.
Update vom 11. Juli, 11.55 Uhr: Nachdem der Schlachtkonzern Tönnies und weitere Subunternehmer Anträge auf Erstattung von Lohnkosten durch das Land Nordrhein-Westfalen gestellt hatten, hagelte es Kritik (siehe unten). In der Bild äußerte sich Tönnies-Sprecher André Vielstädte nun zu den Anträgen. „Ja, es ist richtig, dass für die Lohnfortzahlung im Quarantänefall die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen zuständig ist. Zudem haben wir unseren Mitarbeitern und auch allen Mitarbeitern bei Dienstleistern zugesichert, im Fall von Kurzarbeit die Entlohnung auf 100 Prozent aufzustocken. Hier haben wir aber noch keine Anträge gestellt“, erklärte der Sprecher.
Wie die Bild weiter berichtet, kündigte der Betrieb außerdem die Abschaffung von umstrittenen Werkverträgen an. In einer Mitteilung heißt es: „Wie Ende Juni in der Geschäftsführung beschlossen, schafft das Unternehmen bis Ende des Jahres alle Werkverträge in den Bereichen Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung ab. Das Unternehmen setzt sich damit an die Spitze der Branche, um auch zukünftig die neue Gesetzgebung vollumfänglich einzuhalten.“
Erneute Hygiene-Tests sollen am kommenden Montag (13. Juli) stattfinden. Laut dem Blatt überprüfen Hygiene-Experten der Uni Bonn dann unter anderem die neue Filtertechnik, die noch an diesem Wochenende in Lüftungsanlagen eingebaut werden soll.
Update vom 10. Juli: Der Schlachtbetrieb Tönnies und weitere Subunternehmer haben beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) Anträge auf Erstattung von Lohnkosten durch das Land Nordrhein-Westfalen gestellt. Hintergrund sind Quarantäne-Maßnahmen nach dem massenhaften Fund von positiven Corona-Infektionen bei Tönnies-Arbeitern am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück.
Nach Angaben eines Sprechers des LWL werden die Anträge jetzt nach Eingang abgearbeitet. Um welche Summen es sich handelt und wann die Anträge bearbeitet werden, sei völlig offen, sagte Sprecher Markus Fischer der Deutschen Presse-Agentur. Das Infektionsschutzgesetz sehe die Erstattung vor, wenn Gesundheitsämter einen Betrieb schließen und Quarantäne anordnen.
Die Löhne müssen vorerst von den Unternehmen bezahlt werden und können mit bis zu einem Jahr rückwirkend erstattet werden. „Für uns ist nur schwer zu sagen, wie viele Tönnies-Beschäftigte betroffen sind. Bei uns gehen auch Anträge von Subunternehmen mit Sitz in ganz anderen Kreisen ein. Wir sehen dann nur, dass die Fleischindustrie betroffen ist, aber nicht auch ein konkreter Betrieb“, sagte Fischer.
Kritik an den Anträgen kam aus der Politik. „Lohnkostenerstattung vom Land zu fordern ist ein Unding. Da reibt man sich die Augen, das versteht doch kein Mensch. Infektionsgeschehen und Geschäftsmodell hängen zusammen. Tönnies hat Gütersloh den Lockdown gebracht und jetzt soll die Allgemeinheit bezahlen?“, sagte Katja Mast, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion am Freitag der dpa. Es könne nicht sein, dass diejenigen, die das Geld damit verdient haben, jetzt andere dafür zahlen lassen wollten. „So sieht es jetzt aber aus, wenn Lohnkosten erstattet werden sollen. Moralische und gesellschaftliche Verantwortung sieht anders aus“, sagte Mast.
Nach Angaben eines Tönnies-Sprechers hat der Konzern bislang keine Kurzarbeit beantragt. Sollte dieser Schritt nötig werden, würde Tönnies die Gehälter auch der Beschäftigten bei Subunternehmen auf 100 Prozent aufstocken, sagte Tönnies-Sprecher André Vielstädte.
Der Twitter-User Kaffecup hat wie schon am Donnerstag (siehe Erstmeldung) einen Tweet zu Tönnies Förderung abgesetzt. „Katastrophale Arbeitsbedingungen, Schließung wegen rund 1.400 infizierten Mitarbeitern: Tönnies will Lohnkosten erstattet bekommen. Das ist so, als würde ein verurteilter Häftling die Beute eines Bankraubs verlangen, den er nicht begehen kann, weil er gerade im Gefängnis sitzt“, schrieb er.
Rund 1.400 Arbeiter des Werks hatten sich nachweislich mit dem Virus infiziert. Vorübergehend waren deshalb zusätzliche Corona-Einschränkungen des öffentlichen Lebens für den Kreis Gütersloh und auch für den Nachbarkreis Warendorf verhängt worden. Dort wohnen ebenfalls viele Tönnies-Mitarbeiter.
Erstmeldung vom 9. Juli:
Gütersloh - Der Unternehmer Clemens Tönnies ist nach dem Corona-Skandal in seiner Fleischfabrik einer massiven Hetzjagd ausgesetzt. Auch Morddrohungen soll er erhalten haben. Am Dienstagabend (7. Juli) kam es jetzt zu einem Vorfall, der sogar einen Polizeieinsatz auslöste.
Ein Fernsehteam hat laut Kreispolizei Gütersloh einen Einsatz der Ordnungshüter am Privathaus des Unternehmers Clemens Tönnies verursacht. Wie eine Sprecherin der Polizeibehörde am Donnerstag erklärte, wird nach dem Vorfall vom Dienstagnachmittag in Rheda-Wiedenbrück wegen Hausfriedensbruchs ermittelt.
Ein Tönnies-Sprecher sagte der Deutschen Presse-Agentur, es sei zu einer „aus unserer Sicht rechtswidrigen und äußerst abstoßenden Aktion eines Fernsehteams gekommen“. Ob das Team im Auftrag eines Senders unterwegs war, blieb zunächst unklar.
Drei Personen hätten dem Gesellschafter aufgelauert und ihn laut Tönnies-Sprecher in einem Auto bis zu seinem Wohnhaus verfolgt. „Dabei drangen sie mit ihrem Fahrzeug auch auf das Privatgrundstück von Herrn Tönnies ein und blockierten teilweise seinen Wagen.“ Sie hätten dabei pausenlos gefilmt. Man habe Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Nötigung gestellt. „Wir stehen in engem Kontakt mit Polizei und Ordnungsbehörden, die aufgrund von Morddrohungen die Gefährdungsbeurteilung verschärft haben.“
Der Twitteruser Kaffeecup, der auf dem sozialen Medium knapp 30.000 Follower mit satirischen Posts unterhält, schrieb zu dem Einsatz bei Tönnies: „Hätte mich ja gefreut, wenn die vielen Jahre zuvor auch mal die illegalen Preisabsprachen und die skrupellose Ausbeutung von Mensch und Tier bei Tönnies einen Polizeieinsatz ausgelöst hätten.“
Im Zuge des massenhaften Corona-Ausbruchs unter Tönnies-Mitarbeitern war das Unternehmen wegen schlechter Arbeitsbedingungen unter Kritik geraten. Auch Armin Laschet leistete sich einen Patzer im Zuges des Skandals. Durch Clemens Tönnies Neffe Robert geriet auch Sigmar Gabriel unter Beschuss. Er war als Berater des Konzerns tätig. Ein Brief Robert Tönnies stellte Gabriels Integrität infrage.
Über eine Wiederaufnahme der Produktion am Hauptstandort des Fleischproduzenten Tönnies ist noch keine Entscheidung gefallen. Die Detmolder Regierungspräsidentin Judith Pirscher sagte nach Beratungen über ein Hygienekonzept des Fleischproduzenten, für eine Gesamtbewertung sei es noch zu früh. Wann das Werk in Rheda-Wiedenbrück im Kreis Gütersloh wieder die Produktion anlaufen lassen könne, sei noch unklar. „Wir haben alle ein großes gemeinsames Ziel: Sicherheit vor Schnelligkeit“.
Das „zweite große Ziel“ sei, das man „gemeinsam wieder ins Geschehen kommt“. In dem rund vierstündigen Arbeitstreffen sei vereinbart worden, Techniker auf das Betriebsgelände zu schicken. Sie sollten „verschiedene Maßnahmen zum vorbereitenden Infektionsschutz montieren“. Details nannte die Regierungspräsidentin zunächst nicht. An der nicht-öffentlichen Sitzung hatten auch Vertreter weiterer Behörden, Unternehmen und Hygiene-Experten teilgenommen.
Nach einem Corona-Massenausbruch war das riesige Fleischwerk in Rheda-Wiedenbrück vor drei Wochen - verfügt zunächst bis 17. Juli - geschlossen worden. Rund 1.400 Arbeiter des Werks hatten sich nachweislich mit dem Virus infiziert. Einer von ihnen packte über den Knochenjob in der Fleischfabrik aus. Vor der Schließung des Werkes wurden nach früheren Angaben täglich etwa 20.000 bis 25.000 Schweine dort geschlachtet. Nach dem Corona-Skandal kam die Frage auf, welche Fleischmarken in den Tönnieswerken produziert werden. (lb mit dpa) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks