Afghanistan: Kommandeur warnt deutsche Politik vor neuem Fehler - „Es sind Millionen“

Europa muss sich auf eine neue Flüchtlingswelle gefasst machen, warnt ein Kommandeur aus Afghanistan. Jetzt habe Deutschland noch die Chance, dagegen vorzugehen.
Kabul/Berlin - Die aktuelle Wendung in Afghanistan in Folge des Abzuges der US-Streitkräfte entsetzt die Weltöffentlichkeit. Die Regierungen der Nato-Bündnispartner haben offenkundig nicht mit der schnellen Rückeroberungswelle der Taliban gerechnet. Eine der Fragen, die sich Bürger in Deutschland und andernorts stellen: Inwieweit bahnen sich neue Flüchtlingsströme aus dem Land am Hindukusch den Weg ins Ausland, auf der Suche nach mehr Sicherheit und einem besseren Leben?
Afghanistan: Kommandeur warnt Deutschland vor neuen Flüchtlingsströmen
Ahmad Massoud, Kommandeur der Anti-Taliban-Koalition „Nationale Widerstandsfront von Afghanistan“, nimmt in der ARD insbesondere Länder wie Deutschland in die Verantwortung. Sie sollen mit den an die Macht gekommenen Islamisten eine Lösung ausarbeiten, die ein friedliches Leben in Afghanistan ermöglichen. Andernfalls drohten ähnliche Entwicklungen wie vor einigen Jahren, als viele Menschen das Land verließen und große Zahlen Geflüchteter* Europa erreichten.
„Es sind Millionen, die aus Afghanistan über die Landesgrenzen nach Iran, Pakistan und in andere Gebiete fliehen werden. Und sie sind auf dem Weg in den Westen und nach Europa“, erklärte Massoud. Seiner Ansicht nach wäre es für Länder wie Deutschland klüger, Geld in diplomatische Bemühungen mit den Taliban* zu investieren, andernfalls werde die Rechnung am Ende wesentlich teurer ausfallen.
„Mit einem Bruchteil der Mittel, die sie für die Flüchtlinge in ihrem Land ausgeben, mit etwas politischem Druck und mit der Unterstützung des Widerstands können sie tatsächlich einen dauerhaften Frieden erreichen“, appellierte Massoud im TV-Magazin „Kontraste“. Ein Landsmann legte in der Heimat eine steile politische Karriere* hin - und arbeitet heute als Fahrradkurier in Leipzig.
Taliban: Diplomatische Bemühungen der Bundesregierung als Lösung für Afghanistan?
Massouds Meinung nach müsste der Westen Druck auf die Taliban ausüben, damit sie die Gewalt beenden und eine breit angelegte, inklusive Regierung akzeptieren. Dass dieses Unterfangen jedoch nicht einfach ist, liegt auch am Machtstreben verschiedener Gruppierungen in dem 38-Millionen-Einwohner-Land*.
Es gibt zwar Hinweise, dass die Taliban den Weg von einer radikal-islamistischen Vereinigung hin zur gemäßigteren, moderaten Gruppierung vollzogen haben. Auf WhatsApp richteten die Kämpfer beispielsweise eine Beschwerde-Hotline für Kabul* ein. Massouds Aussagen zeugen jedoch von Sorge. Für ihn ist klar, dass die Taliban auch heute noch ihren traditionellen Wurzeln folgen. Er forderte: „Sie können keine fanatische, extremistische Ideologie etablieren. Sie müssen akzeptieren, dass es viele Veränderungen gegeben hat und dass sie Frauenrechte, Menschenrechte respektieren müssen.“
Ein Experte nahm kürzlich in einem Interview* Stellung zu den Taliban-Versprechen der Islamisten und erklärte ihre Strukturen.
Afghanistan-Krise: Debatten über Flüchtlingsverteilung wird neu befeuert
In Afghanistan gibt es verschiedene Stämme und ethnische Gruppierungen, die um Einfluss kämpfen und teils miteinander verfeindet sind. Massouds Tadschiken haben sich zur „Nationalen Widerstandsfront“ zusammengeschlossen, während die Mehrheit der Taliban angeblich den Paschtunen angehörig ist. Massoud ist der Sohn eines als Kriegshelden verehrten tadschikischen Kämpfers, der 2001 von der Al-Kaida getötet wurde. Die Heimat der Tadschiken ist das Pandschir-Tal, an dessen geplanter Vereinnahmung sich die Taliban offenbar bis zum heutigen Tage die Zähne ausbissen*:
Längst sind in der deutschen Politik hitzige Debatten* über die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afghanistan entbrannt. In der grün-schwarzen Koalition Baden-Württembergs gibt es Streit über ein geplantes Landesprogramm. Es geht um eine Forderung von Grünen-Landeschef Oliver Hildebrand, der deutlich mehr Menschen aus Afghanistan in das Bundesland holen möchte, als ursprünglich vorgesehen. (PF) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.