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Explosives Thema für Grüne: Ministerin kassiert Kabinetts-Schelte - Özdemir steuert um

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Von: Florian Naumann

Umweltministerin Steffi Lemke und Agrar-Kollege Cem Özdemir bei einer Pressekonferenz im Januar.
Umweltministerin Steffi Lemke und Agrar-Kollege Cem Özdemir bei einer Pressekonferenz im Januar. © John Macdougall/dpa

Junge Aktivisten protestieren seit Wochen gegen Lebensmittelverschwendung. Mit Straßenblockaden - die Grünen scheinen plötzlich in der Klemme zu stecken. Cem Özdemir distanziert sich.

Berlin - Schon früh in der Legislatur erfahren die Grünen* die Schmerzen einer Regierungspartei: Immer wieder blockieren dieser Tage junge Klimaaktivisten Straßen und Autobahnen in Deutschland. Das Klima ist auch das große Anliegen der Partei, die Befürworter der Aktionen könnten potenzielle Wähler sein - und dennoch stehen gerade die Grünen-Minister nun vor einem Dilemma. Denn „legal“ sind die Blockaden nicht.

Am Mittwoch hatte Grünen-Umweltministerin Steffi Lemke - wie zuvor auch Parteichefin Ricarda Lang* - Verständnis geäußert. Harsche Vorwürfe der Union folgten. Sogar Kabinettskollege Marco Buschmann (FDP) richtete eine kaum verhohlene Mahnung an Lemke. Am Donnerstag äußerte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir dann Kritik an den Aktivisten. Eine erste Reaktion auf die teils hitzige Debatte? Ein kurioser Seitenaspekt: Aus dem Umweltbundesamt war eine andere Stoßrichtung zu vernehmen.

Grüne in der Klima-Klemme? Özdemir fährt Parteifreundin in die Parade - und zweifelt sogar an Gesetzesplan

Özdemir kritisierte jedenfalls nicht nur die Autobahnblockaden der Klimaaktivisten - er bremste etwas unerwartet auch bei deren Forderung nach einem Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung*. „Ich glaube, dass Straßenblockaden unserem gemeinsamen Ziel schaden“, erklärte er der Deutschen Presse-Agentur. „Gesellschaftliche Mehrheiten gewinnt man ganz sicher nicht, wenn man Krankenwägen, Polizei oder Erzieherinnen auf dem Weg zur Arbeit blockiert.“ Für Ziele brauche man gesellschaftliche Mehrheiten.

Aktivisten blockieren die Berliner Autobahn A100.
Aktivisten blockieren die Berliner Autobahn A100. © Paul Zinken/dpa

Özdemir betonte: „Mir persönlich ist der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung sehr wichtig und ich bin froh, dass wir uns als Koalition vereinbart haben, dass Lebensmittelspenden erleichtert und die Verschwendung von Lebensmitteln verringert werden.“ Dazu sei er mit anderen Bundesministern im Gespräch. Ob dafür ein Gesetz notwendig sei, werde abzuwägen sein, hieß es aus Özdemirs Ministerium. Zu prüfen seien auch haftungs- und steuerrechtliche Erleichterungen, um Lebensmittelspenden zu erleichtern.

Straßenblockaden: Grünen-Ministerin Lemke zeigt Verständnis - Buschmann widerspricht öffentlich

Die Aktivisten der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ blockieren seit gut zwei Wochen immer wieder Autobahnen, um ein „Essen-Retten-Gesetz“ durchzusetzen und so Treibhausgase einzusparen. Auch am Donnerstag gab es an der Berliner Stadtautobahn A100 wieder lange Staus.

Lemke hatte Verständnis für die Proteste gezeigt. „Es ist absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“, sagte sie am Mittwoch in einer Gesprächsrunde von Zeit, Handelsblatt und Wirtschaftswoche.

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Justizminister Buschmann widersprach - und zwar nicht am Kabinettstisch von Kanzler Olaf Scholz (SPD)*, sondern öffentlich. „Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund“, twitterte er: „Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig. Protest ist ok, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“ Kurz darauf erteilte der Minister auch den Impfpflicht-Plänen von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Kurznachrichtendienst eine Abfuhr. Andere Parteikollegen zogen im Gespräch mit Merkur.de* nach.

Grüne in der Kritik: Unions-Fraktionsvize findet Haltung „verstörend“ - Umweltbundesamt-Chef sieht es anders

Auch eine empörte Rückmeldung aus der Union auf Lemke ließ nicht lange auf sich warten. Fraktionsvize Steffen Bilger (CDU*) attestierte eine „verstörende“ Äußerung Lemkes. „Was sie als ‚Formen zivilen Ungehorsams‘ schönredet, ist nichts anderes als Gesetzesbruch. Dies erweckt den Eindruck, dass der Zweck alle Mittel heiligt“, betonte er. Teils ähnelte seine Einschätzung der Özdemirs: „Eine solche Haltung untergräbt nicht nur das Vertrauen in den Rechtsstaat, sondern schadet auch der Akzeptanz von Umwelt- und Klimaschutz.“

Der Präsident des Umweltbundesamts, Dirk Messner, hat unterdessen Verständnis für Straßenblockaden von Klimaaktivisten geäußert - ohne gleichwohl alle Protestformen zu legitimieren. Die Aktionen seien in Ordnung, wenn sie „auf Basis der geltenden Gesetze stattfinden“, sagte Messner den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Donnerstag. „Wir brauchen demokratische Teilhabe und wir brauchen Protest - aber der muss friedlich sein, damit wir unsere Ziele erreichen können.“ Er selbst sei als Mitglied der Anti-Atom- und Friedensbewegung „radikaler“ gewesen, als er sich heute ausdrücken würde, sagte Messner.

Auch Ricarda Lang, frisch gekürte Grünen-Chefin, hatte zuletzt die Aktivisten verteidigt. Niemand dürfe gefährdet werden, sagte sie dem Tagesspiegel. Vermutlich kam Lang damit auch einer selbstproklamierten Aufgabe der neuen Grünen-Spitze nach: Lang und Co-Chef Omid Nouripour wollen „Scharnier“ zwischen den Wünschen der Basis und dem Regierungshandeln sein. (fn/dpa) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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