Fehlende Briefwahlunterlagen: Vermasselt Berlin auch die Klimaabstimmung?

Am Sonntag wählt Berlin – mal wieder. Diesmal geht es bei einem Volksentscheid um die Frage: Wird die Hauptstadt ihre Klimaziele verschärfen? Die wichtigsten Fragen im Überblick.
Berlin – Mit dem Volksentscheid am 26. März steht eine Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes zur Abstimmung. Ziel ist eine Verpflichtung, das 1,5-Grad-Ziel des im Jahr 2015 beschlossenen Pariser Klimaschutzabkommens in den kommenden Jahren zu erreichen. Ist der Volksentscheid erfolgreich, ändert sich das Gesetz und muss umgesetzt werden. Allerdings hat das Abgeordnetenhaus das Recht, auch per Volksentscheid zustande gekommene Gesetze anzupassen. Mithilfe der Abstimmung soll ein klimaneutrales Berlin schon 2030 möglich gemacht werden – und nicht erst 2045.
Inwiefern ist der Gesetzentwurf rechtlich bindend?
„Unmittelbar“, erklärte Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie an der BSP Business & Law School in Berlin. Die Hauptstadt hätte nach einem positiven Ergebnis somit ein neues Energiewende- und Klimaschutzgesetz. „Wir haben es mit einem Volksentscheid zu tun. Es geht um einen bereits fertigen Gesetzentwurf, keine Anregung für schärfere Klimaziele. Es tritt an die Stelle des bisher geltenden Gesetzes.“ Mit Bezugnahme auf das neue Klimaschutzziel würden sich „sehr harte, einschneidende Maßnahmen“ rechtfertigen, sagte Thiele.
Wann wird der Gesetzentwurf durch den Volksentscheid angenommen?
613.000 „Ja-“Stimmen braucht es laut Senatsverwaltung. Dabei sind zwei Aspekte wichtig. Zum einen muss eine Mehrheit der Teilnehmenden zustimmen. Und zum anderen muss mindestens ein Viertel der rund 2,4 Millionen Stimmberechtigten der Initiative zustimmen. Daraus folgt: „Wenn ich nicht teilnehme, wirkt das faktisch wie eine Nein-Stimme, weil ich es ja unwahrscheinlicher mache, dass die 25 Prozent erreicht werden“, sagte Jurist Thiele.

Wer steckt hinter der Initiative?
Der Volksentscheid wurde von der gemeinnützigen Organisation Klimaneustart Berlin auf die Beine gestellt. Die Akteurinnen und Akteure beschreiben sich als „eine gemeinnützige Initiative für lokales Handeln, die globale Klimagerechtigkeit verfolgt“. In den vergangenen Jahren war Klimaneustart Berlin bereits 2019 sowie 2021 mit Volksinitiativen zur Erklärung der Klimanotlage sowie zur Einberufung des Berliner Klimabürgerrates erfolgreich.
Welche Parteien sprechen sich für das Vorhaben aus?
Aus dem Berliner Abgeordnetenhaus hieß es bislang, dass Klimaneutralität bis 2030 nicht machbar sei. Sollte der Volksentscheid erfolgreich sein, müsste sich der nächste Senat – wahrscheinlich von CDU und SPD regiert – mit der Umsetzung des neuen Gesetzes beschäftigen. Die CDU, die künftig eine Große Koalition im Roten Rathaus anführen dürfte, spricht sich für den Klimaschutz, aber gegen „einen Volksentscheid der falschen Versprechen“ aus. Die Initiative beinhalte „keine seriöse Klimapolitik“, sondern sei rechtlich fragwürdig und eine „Wundertüte“, wie CDU-Landesgeneralsekretär Stefan Evers sagte. Der voraussichtliche Koalitionspartner SPD wollte auf Nachfrage von IPPEN.MEDIA hingegen keine Stellung zum Volksentscheid beziehen. Man werde weder Parteimitgliedern noch den Wählerinnen und Wählern eine Abstimmungsempfehlung geben. Umwelt-Senatorin Bettina Jarasch von den Grünen sprach sich nach anfänglicher Skepsis hingegen für die Initiative aus, inzwischen ist auch ihre Partei nachgezogen.
Was würde ein Erfolg des Volksentscheids in der Folge kosten?
Die Kosten für das Land Berlin ließen sich nicht „seriös beziffern“, schreibt der Senat in einem Papier zur Kosteneinschätzung des Volksentscheids. „Nach konservativer Schätzung“ müsse für die Erreichung der Klimaneutralität in der Hauptstadt bis 2030 mit Investitionskosten „in hoher zweistelliger Milliardenhöhe“ gerechnet werden. Welcher Anteil davon vom Landeshaushalt gestemmt werden müsste, könne noch nicht abgeschätzt werden. Gleichzeitig sei aber gesagt, dass langfristig vermiedene Klimaschäden, Energieeinsparungen und potenzielle neue Arbeitskräfte sich kostenmindernd auswirken würden.
Was passiert, wenn das Klimaneutralitätsgesetz bis 2030 nicht eingehalten würde?
„Niemand sitzt im Fall der Fälle auf der Anklagebank“, sagte Staatsrechtler Thiele. „Das ist wie beim Pariser Klimaschutzabkommen. Wir sprechen hier über eine Selbstverpflichtung. Wer die nicht einhält, macht sich nicht strafbar.“ Gleichwohl können die verantwortlichen Parteien natürlich abgewählt werden. „Man sollte die rechtliche Wirkung auf die Behörden nicht unterschätzen. An das Jahr 2030 haben sich dann alle zu halten und vielleicht führen mehr Bemühungen dazu, dass man es zumindest 2035 schafft. Auch Aktivisten können sich darauf berufen. Ein Berliner Bürgermeister dürfte nicht mehr von 2045 reden“, so Thiele.
Wie Bündnissprecher Stefan Zimmer im Gespräch mit IPPEN.MEDIA erklärte, sei der Verzicht auf mögliche Sanktionen auch eine „Zeitfrage“ gewesen. Sollten gewisse Sektorziele von der Politik nicht erreicht werden – etwa im Verkehr- oder Energiebereich – müssten Sofortprogramme in die Wege geleitet werden. Da die Auswirkungen des Klimawandels immer gravierender werden, habe man die Kampagne schnellstmöglich starten wollen. Die juristische Klärung und Einarbeitung von Sanktionen hätte Zimmer zufolge „drei bis sechs Monate“ gedauert.
Warum fand der Volksentscheid nicht schon mit der Senatswahl am 12. Februar statt?
Laut Klimaneustart Berlin wollte die Stadt Berlin den Volksentscheid aus Sorge vor „logistischen Problemen“ nicht am selben Tag wie die Senatswahl veranstalten. Unter anderem sei auch „Papiermangel“ ein Grund gewesen, sagte Bündnissprecherin Jessamine Davis gegenüber IPPEN.MEDIA. Man selbst hätte den Volksentscheid gerne gemeinsam mit der Senatswahl abgehalten, da die Wahl dann günstiger und umweltfreundlicher abgelaufen wäre.
Wird wie zuletzt erneut mit Wahlpannen zu rechnen sein?
Kurz vor der Abstimmung häufen sich die Beschwerden der Berlinerinnen und Berliner über fehlende Briefwahlunterlagen. „Es gehen besorgniserregend viele Hilferufe bei uns ein. Menschen haben die Briefwahl teilweise vor mehr als 10 Tagen beantragt und immer noch keine Abstimmungsunterlagen bekommen“, erklärte Michaela Zimmermann von Klimaneustart Berlin. Auch dem Landeswahlleiter scheinen Fälle von nicht zugestellten Briefwahlunterlagen bekannt zu sein. Er rät Betroffenen dazu, „sich umgehend mit ihrem Bezirkswahlamt in Verbindung zu setzen.“
Es könnte ansonsten durchaus sein, dass Menschen, die beim Volksentscheid gerne abstimmen würden, dazu nicht die Möglichkeit bekommen. Daher appellieren auch die Initiatorinnen und Initiatoren von Klimaneustart Berlin, sich beim im Falle einer ausfallenden Briefwahl mit dem Bezirkswahlamt zu melden – ein einfacher Besuch samt Vorzeigen des Personalausweises im Wahlbüro wird am 26. März nämlich nicht weiterhelfen.