Das Reise-Überlebensbuch

Der Autor hat vorgebaut: „Also, wir sagen es lieber gleich, es steht nichts darüber drin, wie man einen Koffer oder einen Rucksack packt oder in Brasilien Gold sucht oder in der Antarktis überlebt...
...oder den Mount Everest besteigt oder beim Karneval tanzt oder irgendwas über Mombasa, Mumbai oder Montevideo oder über das Tätowieren oder über diese Klappen an den Tragflächen eines Flugzeugs und wofür sie gut sind“, schreibt Nigel Holmes im Vorwort seines Buchs. Einfach so. Ohne Punkt und Komma.
Stattdessen hat der gebürtige Brite und studierte Grafikdesigner, der ein Dutzend Magazine und nochmal soviele andere Firmen auf seiner Kundenliste hat und an den Universitäten von Yale und Stanford Vorlesungen hält, ein Buch über das Reisen geschrieben, das die Welt einmal aus einer anderen Sicht zeigen soll.
Das ist auf der Doppelseite 10 und 11 zunächst einmal sehr wörtlich zu nehmen. Da hat Holmes die Weltkarte nämlich verkehrt herum dargestellt und oben links steht ein Känguru mitten auf dem australischen Kontinent, der ja auch down under heißt, und sagt: „Ich find’s super, auch mal oben zu sein.“ Die Perspektive helfe, Länder in einem neuen Licht zu sehen, meint der Autor. Was er sonst noch alles erklärt:
- ... wie man in 25 Sprachen bis zehn zählt (eins heißt auf Arabisch wahid, auf Japanisch ichi und auf Kisuaheli moja).
- ... wo laut der Bemessungsgrundlage des Bruttonationalglücks die zufriedensten Menschen leben (Dänemark).
- ... wie man einem Krokodil entkommt („wenn Ihr Arm oder Bein sich in der Schnauze befindet, können Sie vielleicht die Gaumenklappe auf die Zunge runterdrücken. So strömt Wasser ein und das Tier wird Sie loslassen“).
- ... wie man sich in welchen Ländern richtig küsst (in Frankreich links und rechts auf die Wange, in Russland mitten auf den Mund, in den USA links und rechts vom Gesicht in die Luft).
- ... welche Insekten man im Dschungel essen kann (Käferlarven, Grillen und Heuschrecken gelten geröstet als Delikatesse).
- ... wie man einen Außerirdischen begrüßt („wenn möglich, ziehen Sie sich schnell etwas Grünes an“).
Ein Flirtbaukasten in den gängigsten Touristensprachen (neuerdings auch Russisch) rundet das Angebot der witzigen, unterhaltsamen, aber nicht unbedingt immer lebensnotwendigen Tipps für Reisende ab.
Daneben bietet Nigel Holmes’ Reisebuch aber auch durchaus sinnvolle und immer grafisch anschaulich gestaltete Gebrauchsanweisungen für unterwegs. Beispielsweise
- ... wie man ägyptische Hieroglyphen liest (man findet sie beispielsweise in den Tempeln oder Grabanlagen im Tal der Könige).
- ... was die Wolken über das Wetter verraten (lang und dünn heißt Regen in den nächsten 12 bis 24 Stunden, groß und wattig heißt schönes Wetter bleibt).
- ... welche Steckdosen in welchen Ländern gebräuchlich sind (und welche Adapter man sinnigerweise dabeihaben sollte).
- ... wie man sich Mücken vom Leib hält (helle, langärmelige Kleidung, Hosenbeine in die Socken stecken).
- ... wie man Tiere an ihren Fußabtritten erkennt (vier Zehen je nach Größe Löwe oder Hauskatze, fünf Zehen je nach Größe Schwarzbär oder Stinktier).
- ... wie man sich anhand von Sternenbildern in der Wüste orientieren kann (Richtung Norden geht’s vom Großen Wagen zum Nordstern, funktioniert aber nur auf der Nordhalbkugel).
- ... wie man ein Hotelzimmer einbruchssicher macht (z.B. mit Gläsern hinter der Tür ein eigenes Alarmsystem basteln).
- ... wie man sich in einer Moschee verhält (Schuhe ausziehen, keine Jeans oder kurzen Hosen bei Männern, lange Röcke und Kopftuch bei Frauen).
- ... wie man beim Besuch im Buckingham Palace einen Knicks vor der Queen macht (rechtes Bein vor, linkes dahinter verschränken und in die Hocke gehen, dabei als Frau die Rockzipfel seitlich halten, sofern Sie einen Rock tragen).
- ... wie man in Asien mit Stäbchen isst (anschauliche Handhabung des Geräts mittels einer Grafik sowie abschließend der Abdruck einer Gabel „für den Notfall“).
- ... ob man unter dem Schottenrock eine Unterhose zu tragen hat (es sei ratsam, da die Tracht oft zu Anlässen wilden und zwanglosen Tanzens getragen wird).
- ... wie viel Prozent Trinkgeld man in welchen Urlaubsländern geben sollte (in den USA und Mexiko sind bis zu 20 Prozent üblich, in Deutschland und Österreich reichen fünf bis zehn Prozent).
Und am Ende bedankt sich der Autor bei seinem Verlag, der ihm für die Erarbeitung des Buchs immerhin die Lebensdauer einer Ameise eingeräumt hat, jedenfalls einer männlichen. „Die Weibchen können bis zu einem Jahr alt werden, soviel Zeit hatte ich nicht annähernd.“
Sollte er jemals unter Druck geraten sein, dieser Autor, man merkt es seinem Buch auf keiner einzigen der 200 Seiten an. Es ist einfach rund. Rund wie die Erde, die Nigel Holmes bisweilen auf dem Kopf stehend betrachtet.
Christine Hinkofer
DAS BUCH

Das mit wunderbaren Grafiken bebilderte Buch von Nigel Holmes trägt den schlichten Titel „Eine Reise – ein Buch“, ist bei National Geographic erschienen und kostet 19,99 Euro. ISBN 978-3-86690-375-3.