London auf den Spuren von Sherlock Holmes

Dieser Detektiv ist nicht totzukriegen. Die ARD erzielte Traumquoten mit der gerade gestarteten neuen Serie um Sherlock Holmes. Es ist schwierig zu sagen, wieviel Fiktion und wieviel Wahrheit...
...in der 1886 von Schriftsteller Arthur Conan Doyle geschaffenen Figur steckt. Wer durch London streift beginnt jedenfalls ernsthaft an die Existenz von Sherlock Holmes zu glauben.
Schlange stehen in der Baker Street
Er hat eine feste Adresse, eine voll eingerichtete Wohnung, an der Garderobe hängt die Karo-Mütze, im Wohnzimmer stehen die Pfeifen. Das Sherlock-Holmes-Museum in London ist eine echte Touristenattraktion, was sich auch an der langen Warteschlange vor der Tür des Hauses in der Baker Street zeigt.
Eine Umfrage ergab: 60 Prozent der Briten sind davon überzeugt, dass Sherlock Holmes wirklich gelebt hat. Viele meinen sogar, dass er heute noch lebt: Jede Woche erhält das Museum etwa 70 an den Detektiv gerichtete Briefe. Dementiert wird nichts. Auf der Webseite heißt es diplomatisch: „Besucher fragen, ob Sherlock Holmes und Doktor Watson wirklich in diesem Haus gewohnt haben, aber leider fehlen amtliche Dokumente über die Mieter, die hier in viktorianischer Zeit gewohnt haben.“
Die Einrichtung jedenfalls ist dazu angetan, letzte Zweifel zu zerstreuen. Die Wohnung im ersten Stock sieht aus, als sei Holmes nur

mal kurz raus, frisches Opium besorgen – schließlich war er bekennender Drogenkonsument. Im Kamin knistert ein Feuer. Auf Kommoden liegen Nachschlagewerke und Waffen. Und natürlich Pfeifen. Pfeifen sind für den Detektiv so essenziell, dass er die Zeit danach bemisst: „Dieser Fall verlangt drei volle Pfeifen.“ Als weitere Markenzeichen des Superhirns finden sich: Karo-Mütze, Lupe, Geige, falsche Bärte und Brillen. Und das Chemielabor. Das überraschendste Ausstellungsstück ist ohne Zweifel der mächtige ausgestopfte Kopf des Hundes von Baskerville, der Holmes’ berühmtestem Fall seinen Namen gab. Was kann danach noch kommen? Holmes’ Wasserklosett – direkt unterm Dach! Demnach hätte Holmes tatsächlich menschliche Bedürfnisse gehabt.
Stilisiert und überhöht erlebt man ihn vor der U-Bahn-Station Baker Street: Seit 1999 steht dort eine Bronzestatue des genialen Kriminalers mit Pfeife, Cape und Kappe. Wegen des dichten Autoverkehrs ist die Baker Street für Filmaufnahmen ungeeignet. Die Produzenten der Fernsehserie „Sherlock“ verlegten die berühmte Adresse darum kurzerhand in die 187 North Gower Street in der Nähe des Bahnhofs Euston.
Die jüngste Fernsehserie mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle katapultiert den Meisterdetektiv ins 21. Jahrhundert, wo er mit Smartphone und iPad eine verblüffend gute Figur macht. Watson – verkörpert von „Hobbit“-Darsteller Martin Freeman – bloggt seine Abenteuer im Internet.
Der vorgetäuschte Todessprung, mit dem sich Sherlock auf dramatische Weise aus der zweiten Staffel verabschiedet, wurde auf dem Dach des St Bartholomew’s Hospital gefilmt. Das Barts, wie es genannt wird, ist das älteste Krankenhaus der Stadt, datierend aus dem 12. Jahrhundert.
Es gibt in London viele solcher Plätze, die irgendwie mit Holmes in Verbindung stehen. Zig Touristenführer haben sich darauf spezialisiert. Für die Sherlock-Holmes-Touren sind gute Englischkenntnisse erforderlich.

Der stimmungsvollste Ort, an dem die Holmes-Tour vorbeiführt ist Godwin’s Court, ein Innenhof, der oft als Drehort für Kostümfilme dient. Hier stimmt einfach alles: dunkle Backsteinfassade, polierte schwarze Türen, Gaslampen. Wobei das schon bei Erscheinen der Holmes-Geschichten Nostalgie war. Denn bereits um 1890 hatte London eine elektrische Straßenbeleuchtung. Holmes und Watson fahren aber auch nicht mit der schon damals existierenden U-Bahn, sondern reisen bis in die 20er Jahre mit Kutsche und Dampfeisenbahn.
Der Spaziergang endet in der Nähe des Parlaments im Sherlock-Holmes-Pub. Ganz in der Nähe befindet sich die alte Zentrale von Scotland Yard, in der sich heute Abgeordnetenbüros befinden. Von 1890 bis 1967 saßen die Chief Inspectors in dem neugotischen Schlösschen in ihren Turmzimmern mit Blick auf Big Ben.
Danach sollte man entlang der Themse zur Tower Bridge schlendern. Die Brücke wird heute von glitzernden Bürotürmen eingerahmt. Ist das wirklich die Krimi-Kulisse, die man aus so vielen Filmen kennt? Am Ende eines Sherlock-Holmes-Tags beginnt man selbst an der Wirklichkeit zu zweifeln.
Christoph Driessen

Benedict Cumberbatch (li.) und Martin Freeman spielen die Hauptrollen in der ARD-Serie „Sherlock Holmes“, die vergangene Woche startete. Zwei weitere Folgen werden am Pfingstsonntag und Pfingstmontag, jeweils um 21.45 Uhr gezeigt. Ab 1. Januar 2017 läuft die 4. Staffel in der BBC.