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„Saftschubse“: Eine Stewardess packt aus

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Autorin in Uniform: Annette Lies hängte ihren Job in einer Werbeagentur an den Nagel und wurde Flugbegleiterin. Jetzt schreibt sie darüber.

Die Frau hat keinen Respekt. „Saftschubse“ nennt sie despektierlich die fürsorglichen Helferinnen in schicken, vorwiegend blauen Kostümen, mit denen Reisende auf Wolke sieben schweben.

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Annette Lies © Heyne-Taschenbuchverlag

Bei denen sie sich gerne einen Tomatensaft bestellen, über Kopfweh und Ohrensausen klagen und manchmal auch die Sau rauslassen, weil man sich ja im direkten Anflug auf die schönste Ausnahmezeit des Jahres befindet. Annette Lies darf das. Sie darf zu Flugbegleiterinnen „Saftschubse“ sagen. Weil sie selbst eine ist. Stewardess im Nebenberuf. Bis heute. Desweiteren ist sie gelernte Werbetexterin, studierte Dramaturgin an der Hochschule für Film und Fernsehen – und Autorin. Im Heyne-Verlag ist gerade ihr zweiter Roman über das gar nicht immer so himmlische Leben von Flugbegleiterinnen erschienen. Ein Interview dazu:

Frau Lies, Sie arbeiten selbst als Flugbegleiterin. wie viel Autobiografisches steckt in den „Saftschubsen“-Romanen?

Es heißt ja: „Die besten Geschichten schreibt das Leben“, und ich kann sagen: Ja, das stimmt! Allerdings muss man als Autorin hier und da künstlerisch eingreifen – also verfremden, übertreiben und dazu erfinden. Ich würde sagen: Bei Saftschubse 1 sind 70 Prozent autobiografisch und 30 Prozent erfunden. Ich verrate aber nicht, was ... Grundsätzlich gilt: Je absurder es ist, desto realistischer ist es auch.

War Stewardess Ihr Traumberuf oder notwendiges Übel, um nebenher ein bisschen Geld zu verdienen?

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„Saftschubse – neue Turbulenzen“ von Annette Lies © Heyne-Taschenbuchverlag

Anders herum: Es war zunächst eine schnelle Lösung, um aus einem Traumjob raus- zukommen! Ich fristete meine Tage und Nächte in einer Werbeagentur. Alle bewunderten mich für meinen coolen Beruf als Texterin, in dem ich aber nicht mehr sah als Kollegen mit Burnout und den Farbkopierer. Ich wollte nicht weiter Karriere machen, sondern lieber etwas erleben – bei Tageslicht. Und als ich las, dass die Ausbildung zur Stewardess nur drei Monate dauert und auch noch bezahlt ist, bewarb ich mich. Am Ende tauschte ich Prestige gegen Lebensqualität und habe es nie bereut.

Was würden Sie jemandem raten, der Angst vorm Fliegen hat?

Angst ist etwas, das nicht rational ist. Deshalb nützt es niemandem, wenn man sagt: „Ein Flugzeug ist statistisch gesehen das sicherste Verkehrsmittel der Welt“. Aber es hilft dennoch, sich ein wenig über die Technik zu informieren und zu fragen, ob man vor Abflug mal mit den Piloten sprechen darf. So fühlt man sich weniger ausgeliefert, als wenn man ganz anonym in einer Maschine sitzt. Auch wir Stewardessen beruhigen gerne und lenken ab oder erklären Geräusche. Ich denke, am Ende helfen vor allem viele positive Flugerfahrungen, bei denen alles gut geht.

Erinnern Sie sich an Ihr schlimmstes Erlebnis über den Wolken?

Da kann ich Ihnen speziell gottlob keines nennen. Aber immer wenn eine Toilette nach Rauch riecht und man fürchten muss, dass gerade irgendwo ein glühender Zigarettenrest das Schlimmste anrichten könnte, ärgert man sich sehr über die Leute, die sich nicht an Regeln halten und alle in Gefahr bringen. Sehr unschön sind auch Männer, die einen angraben und keinerlei Respekt vor mir als Privatperson haben. Einer hat mich mal ausfindig gemacht und nachts im Hotelzimmer angerufen, das war furchtbar.

… und das schönste?

Auch da gibt es jede Menge! Es sind aber eher die kleinen Momente, über die ich mich freuen kann: Mir morgens in Los Angeles einen Kaffee zu holen und vom Strand aus Delfine zu sehen, oder der Ausblick von einer Rooftop-Bar in Singapur. Gute Gespräche mit Kollegen und wenn ich mich wieder wohlbehalten zu Hause ins Bett kuscheln kann.

Was ist Ihr liebstes Flugziel, welches das schrecklichste?

Jeder Ort hat seinen Reiz – es kommt darauf an, was man daraus macht. Man kann darüber schimpfen, dass man sich in Jeddah verschleiern muss, oder man kann es als Privileg empfinden, überhaupt dort sein zu dürfen und es genießen – was ich immer versuche, denn ich finde es überall spannend. Mit Durchfall in Delhi zu liegen ist sicher exotisch, aber kerngesund in Frankfurt im Hotelzimmer fernsehen zu gucken, dann doch schöner.

Gibt es die notorischen Beschwerer, die in der „Saftschubse“ vorkommen, wirklich?

Lassen Sie es mich so sagen: In Wahrheit ist alles viel schlimmer. Man macht sich keine Vorstellungen davon, was in dem einen oder anderen Gast vorgeht. Es gibt Menschen, die sehr abstruse Vorstellungen davon haben, wozu eine Stewardess da ist. Leider realistisch und im Buch noch untertrieben sind die Reaktionen auf die Sicherheitsbestimmungen. Man wird zum Teil lauthals ausgelacht, wenn man Geschäftsmänner bittet, ihre elektronischen Geräte zu Start und Landung auszuschalten.

Wie lange waren Sie Flugbegleiterin?

Gottlob musste ich den Job nicht an den Nagel hängen und konnte meinem Studium an der Filmhochschule sowie dem Romane schreiben parallel nachgehen. Es gibt tolle Teilzeitmodelle und manchmal auch unbezahlten Urlaub, je nach Wirtschaftslage der Airline. Zeiten, in denen man sich auch mal in anderen Bereichen entfalten und neue Energie tanken kann, denn die braucht man – vermutlich in allen Serviceberufen – besonders.

Welche Vorteile hat der Beruf, was sind die wesentlichen Nachteile?

Die wesentlichen Nachteile sehe ich persönlich in der körperlichen Belastung. Die Höhenstrahlung und die Zeitverschiebung sind sicher alles andere als gesund. Grundsätzlich glaube ich daran, dass der menschliche Biorythmus nicht besonders gut geeignet ist für Interkontinentalreisen oder dafür, um zwei Uhr nachts aufzustehen. Daher ist es wichtig, sich in den Ruhezeiten auch wirklich auszuruhen.

Wieviel gibt das wahre Leben über den Wolken noch an Romanstoff her? Wann kommt die nächste Saftschubsen-Folge?

Stoff ist jede Menge vorhanden und auf jedem Flug gibt es neuen. Mir berichtete gerade eine Kollegin von einem Gast, der dachte, die Leselampen in der Businessklasse seien ein Mikrofon und der alles Mögliche bestellte, indem er hineinsprach. Das ist so lustig, das kann man sich nicht ausdenken. Vielleicht heißt Teil 3 ja: „Saftschubse – Baby an Bord.“

Interview: Christine Hinkofer

DAS BUCH

Der neue Roman von Annette Lies: „Saftschubse – neue Turbulenzen“ ist im Heyne-Taschenbuchverlag erschienen und kostet 8,99 Euro. ISBN 978-3-453-59027-4.

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