Wiedersehen mit dem Traumschiff "MS Berlin"

München - MS Berlin? War da nicht mal was? Dieses Schiff schippert heute noch über Weltmeere. Das möchte ich doch mal sehen.
MS Berlin? War da nicht mal was? Der Name schickt mich schlagartig auf Zeitreise, zurück in meine Jugend, und das ist eine lange Reise. Kam schon mal vor, dass die Ufertingers in den 80er Jahren gemeinsam vor dem Fernseher saßen und im kleinen Ainring, Oberbayern, von fernen Ländern träumten. Sascha Hehn war damals Chefsteward Victor auf dem Traumschiff. Und dieses Schiff schippert heute noch, 30 Jahre später, über Weltmeere? Das möchte ich doch mal sehen.
1. Lektion: Es kommt nicht auf die Größe an
Gleich im Hafen oute ich mich, dass das meine erste Kreuzfahrt ist. Da liegt die Berlin im Hafen von Nizza, weißglänzend im klaren Licht von Südfrankreich, die Wellen spielen leicht um den Bug. „Ganz schön groß“, entfährt es mir spontan. Für mich als Wanderer sind Berghütten die Referenzgröße, und in dieses Schiff würden gleich mehrere reinpassen. Von den Kennern unter den Passagieren ernte ich für den Kommentar ein mildes Lächeln. Von wegen groß... Die Aidas, die Costas: DAS sind große Schiffe, Ozeanriesen, schwimmende Hotels mit 3000 Betten und mehr. Die MS Berlin, 140 meter lang mit Kapazität für maximal 412 Passagiere, ist dagegen mittlerweile fast ein Zwerg, dafür sehr familiär. Schaunmermal. Rundgang durch das Schiff, der Kreuzfahrt-Novize begutachtet sein schwimmendes Ferien-Zuhause. Dining-Room, ein Restaurant mit Veranda (aus irgendeinem Grund Verandah geschrieben), die Scirocco-Lounge, der Yacht-Club mit Live-Musik, die Bibliothek mit DVD-Verleih, ein wenn auch kleines Sonnendeck und ganz oben die Berlin Lounge mit Liegestühlen und Großleinwand. Erster Eindruck: Alles sehr gediegen. Ich richte mich in meiner Kabine ein, zehn Quadratmeter, auch sie sehr gepflegt. Vor dem Fenster spielt die Sonne auf den Wellen. Die Vorfreude kribbelt im Bauch.
2. Lektion: Ein Schiff kann ganz schön Heimat sein
Zwei

Stunden und einen Weißwein später: Ankunft im Hafen von Monaco. Hier bleibt die Berlin über Nacht vor Anker. Der Fürstenstaat vom Meer aus: Ein verschachteltes Durcheinander uralter Paläste und modernster Hochhäuser. In ein paar Wochen brettern hier Vettel & Co. beim großen Preis von Monaco durch die Stadt, die Straße ist schon mit Planken versehen, und am Hafen liegen reihenweise Yachten, von denen die Superreichen einen Superblick auf das Superspektakel haben. Wer will, kann in einem kleinen Boot übersetzen (tendern, ich lerne ein neues Wort) und die Heimat der steuerbefreiten Reichen und Schönen erkunden. Das tue ich noch am selben Abend. Wie viel eine Portion Lammfilet kosten kann (100 Euro), wie viele gepanzerte Bentleys in eine Altstadt passen (sehr viele), und wie blond Russinnen sein können (extrem): Montecarlo liefert mir Antworten auf Fragen, die ich vorher gar nicht hatte. Irgendwie faszinierend, aber auch irgendwie irritierend. Da lobe ich mir die eher betuliche Atmosphäre auf meinem Traumschiff.
Lektion 3: Manchmal ist wahres Leben schöner als der Film
Ganztägige Überfahrt nach Korsika. Zeit für ein Gespräch im Yachtclub mit den neuen Machern auf dem alten Traumschiff. Traumschiff? Nein, nein, Ralph Schiller, Group Managing Director beim Veranstalter FTI, wehrt ab. Die Berlin, sagt er, ist inzwischen 35 Jahre alt. „Es wäre unangemessen, dieses Wort in den Mund zu nehmen, das weckt falsche Erwartungen.“ Der Plan für das erste und bislang einzige Schiff von FTI Cruises: Die relativ kleine Berlin nutzen, um die weniger bekannten Routen zu befahren; den Charakter eines klassischen Kreuzfahrtschiffes zu erhalten; durch Freundlichkeit und guten Service punkten. Dennoch, ganz hat sich die Berlin von ihrer Vergangenheit als TV-Traumschiff nicht emanzipieren können. Wen man auch fragt unter den Passagieren, sie wissen darum, manchmal hört man Anspielungen. Also, wo ist denn jetzt der Sascha Hehn? Natürlich nirgends, wir sind ja nicht im Film. Mein Kabinensteward ist Wladimir (34) aus Belgrad. Er ist ein Bär von einem Mann, man fühlt sich prächtig bei ihm aufgehoben. Immer hat er ein freundliches Wort für die Passagiere. „Wenn ich Urlaub mache, will ich auch, dass man nett zu mir ist“, sagt er. Zum Vergnügen seiner Gäste formt er aus Badetüchern Herzen oder Tiere, etwa Hasen, das kommt gut an. Sascha Hehn kann mir gestohlen bleiben. Also: 1:0 für das aktuelle Traumschiff. Meine Kreuzfahrtdirektorin heißt Romana (49), eine gebürtige Linzerin. Sie ist gelernte Opernsängerin und das, was man eine Rampensau nennt. Beim Dämmerschoppen in der Sirocco-Lounge singt sie alte Schlager, Udo Jürgens, Peter Alexander, Sierra Madre, im Saal schunkelt man begeistert mit. Die liebe und brave Beatrice aus der Serie fehlt mir keinen Augenblick. 2:0 für die Realität... Und der Kapitän? Illias Venetantis ist ein Schlaks von Grieche mit väterlicher Ausstrahlung. Man sieht ihn selten, nur beim Kapitäns Cocktail Empfang am ersten Abend stellt er kurz sein Team auf englisch vor. Sehr cool, sehr sympathisch. 3:0.
Lektion 4: Kreuzfahrer ticken an Land ganz anders
Tag

drei, Aufwachen in Korsika. Zeit für einen Landgang. Die einen erkunden die Insel auf eigene Faust, die anderen – so wie ich – lassen sich mit dem Bus durch den wilden Süden der Insel kutschieren. Steineichen, Edelkastanien, Baumerdbeeren, Schopflavendel, Ginster: Das ist die berühmte Macchia, dieses immergrüne Gebüsch der Insel. Napoleon soll gesagt haben, dass er seine Heimat auf dem Meer riechen kann. Tatsächlich, es duftet intensiv, als wir am 1200 Meter hohen Bavella-Pass aussteigen. Gipfel wie in Südtirol, nur aus Granit. Ein paar braungebrannte Wanderer mit Rucksäcken stapfen in schweren Schuhen vorbei, sie sind offenbar auf dem G 20 unterwegs, dem berühmten Fernwanderweg, der genau hier vorbeiführt. Ach, jetzt mitgehen! Aber nix da, das Programm will es anders, es gibt Wildschweingulasch und Kastanienkuchen in der hiesigen Auberge. Nun ja, warum auch nicht. Komfortzone. Hat auch was für sich.
Lektion 5: Gutes Essen heilt auch Wetterschmerzen
Tag vier,

Elba, wir liegen im Hafen von Portoferraio. Es passiert etwas höchst Seltenes: Regen, und zwar den ganzen Tag. Sicher, die alte Winterresidenz von Napoleon ist auch bei Regen malerisch, Gleiches gilt für den alten Genueser Hafen. Aber als mir meine Klamotten auf der Haut kleben, kehre ich doch um. Ist da nicht eine Sauna an Bord? Doch hier lerne ich das einzige Manko der Berlin kennen. Die Sauna verdient kaum ihren Namen... oh weh! Mir bleibt aber wenig Zeit, um zu hadern. Im Restaurant wird aufgetischt: Rollmops nach Hausfrauenart, Rinderkraftbrühe mit Safrancrèpestreifen, Blattsalat mit Sellerie, gebratenes Rotzungenfilet an milder Senfsauce sowie Dillkartoffeln und einen Teller Früchte. Das tröstet auch über den fehlgeschlagenen Saunagang hinweg.
Lektion 6: So wird man reif für den Traumschiff-Dreh
Tag

fünf, Nizza. Nach 439 Seemeilen (813 Kilometern) sind wir wieder am Ausgangspunkt angelangt. Die nächste Partie kommt schon bald, angeblich sind es Mountainbiker, die sich von einem Hotspot zum nächsten bringen lassen. Schwupps, und schon sind wir von Bord. Was tun mit dem angebrochenen Tag? Wir unternehmen eine Exkursion durch die Altstadt. Da ist es wieder, dieses Licht, das den Bürgerhäusern, Villen und Kirchen so scharfe Konturen gibt. Und das Meer – von einem Blau, als wolle sie Photoshop mal zeigen, was eine richtige Farbe ist. Ich wackle barfuß über die großen Kiesel unterhalb des Boulevards und werfe mich in die frühlingskalten Wellen. Ich weiß ja nicht, ob diese Szene je im Traumschiff vorgekommen ist: Bayerischer Kreuzfahrt-Novize wirft sich vor Nizza in die Fluten. Wäre aber vielleicht eine Überlegung wert.
Volker Ufertinger