1. Fuldaer Zeitung
  2. Sport
  3. Eintracht

Berliner Luft und Florida Boy

Erstellt:

Von: Daniel Schmitt

Sollen die Hertha irgendwie vor dem Abstieg retten: Trainer Sandro Schwarz und der neue Sportdirektor Benjamin Weber.
Sollen die Hertha irgendwie vor dem Abstieg retten: Trainer Sandro Schwarz und der neue Sportdirektor Benjamin Weber. © IMAGO/Metodi Popow

Die Hertha investiert nach dem Bobic-Aus nicht etwa in Getränke, sondern in zwei konträre Wege, die sich verbinden und die Zukunft sichern sollen - lässt sich der Totalabsturz vermeiden?.

Im Besprechungsraum hängen die Arbeitsnachweise an der Wand, bald 80 Bilder von jungen Männern, ehemaligen Nachwuchskickern, die den Sprung von hier, der Akademie von Hertha BSC im Olympiapark, in den Profifußballs gepackt haben. Angefangen mit Benjamin Köhler, dem ersten Absolventen, bestens bekannt in Frankfurt, über die Boateng-Brüder Jerome und Kevin-Prince, Sejad Salihovic, Malik Fatih, Nico Schulz, Fabian Holland bis zu Leuten wie Arne Maier, Maxi Mittelstädt, Jordan Torunarigha. Der Talenteschuppen der Berliner Hertha hat einen exzellenten Ruf.

Entscheidend daran beteiligt: Benjamin Weber, seit 2003 im Klub, von 2014 an Chef der Akademie, ehe ihm Ex-Manager Fredi Bobic den Ex-Profi Pablo Thiam vor die Nase setzte, Weber die Hertha verließ und elf Monate später nach dem Aus für Bobic zurückkehrte. Als starker Mann, als Sportdirektor der Profis.

Die Berliner erleben wieder turbulente Tage: der sportlich anhaltende Niedergang, Platz 17 vor dem Spiel an diesem Samstag (15.30 Uhr/Sky) bei Eintracht Frankfurt als kaum verdauliche Basis, die Trennung von Bobic als ungenießbares Topping, die Neubesetzung der sportlichen Führung mit Weber und Andreas „Zecke“ Neuendorf als Leiter der Lizenzspielerabteilung, dazu die wirtschaftlich angespannte Lage, die Trennung von Investor Lars Windhorst samt anstehendem Verkauf an die Private-Equity-Gesellschaft 777 Partners aus den USA.

Die „Zecke“ mit der DNA

Die Hertha steht unter Druck. Und ihr Präsident Kay Bernstein geht ins Risiko. Der ausgerufene Weg, der Berliner Weg mit Weber und Neuendorf, soll kurzfristig den Ligaverbleib bringen sowie mittelfristig in einer engen Vernetzung von Profis und Nachwuchs münden. „Zwei Identifikationsfiguren“, seien die Neuen, so Bernstein, gerade Neuendorf, der Ex-Profi, sei ein „Herzblut-Herthaner“.

Doch: Gleich der Start verlief mies. Transfers, die von Bobic eingetütet schienen wie jener des Wolfsburgers Maxi Philipp scheiterten am finalen Wechseltag. Andere potenzielle Zugänge, drei, vier an der Zahl, kamen ebenfalls nicht. Stattdessen wurde die Truppe nur um Tolga Cigerci, 30, defensives Mittelfeld, von 2013 bis 2016 bereits bei der Hertha, geholt aus Ankaragücü, ergänzt. Eine sportliche Verbesserung ist das eher nicht - wie soll da bloß der Turnaround gelingen?

Der Klub legt mehr denn je seine Hoffnungen in die Hände von zwei Nobodys auf ihren Posten. Weber und Neuendorf sollen mit Trainer Sandro Schwarz eine Einheit bilden, Gemeinschaftsgefühl vorleben, die „Hertha-DNA“, so Bernstein, stärken (oder überhaupt erst entwickeln), ein Wir-Gefühl aufbauen, das unter dem kalt agierenden Bobic nahe am Nullpunkt lag. Die innere Wärme der Bosse soll die Mannschaft erreichen, sie mitreißen. Kann der Knall vielleicht heilende Wirkung haben, können Weber und Neuendorf den Umschwung managen?

Investor bleibt am Ball

Zweifel sind angebracht, zumal die Ausgangslage schlecht ist, wenngleich die Vita von Weber spannend daherkommt. Der studierte Sportwissenschaftler genießt im deutschen Nachwuchsfußball einen guten Ruf. Nach seinem Berlin-Aus im Frühjahr 2022 stürzte er sich rein in die große Fußballwelt, hospitierte bei Manchester United, FC Liverpool, Dinamo Zagreb, besuchte die Fußballschule von Ex-Jogginghosentorwart Gabor Kiraly in Ungarn, schloss den Management-Lehrgang von DFL und DFB gemeinsam mit etlichen Ex-Profis wie Marcel Schäfer, Stefan Kießling und Christian Gentner oder auch dem Frankfurter Leiter der Lizenzspielerabteilung, Timmo Hardung, ab.

Benjamin Weber, den alle nur Benny rufen, lernte einst an seinem ersten Arbeitstag bei der Hertha Pal Dardai und Neuendorf kennen, „ein prägender Tag“, wie er mal sagte. Ihr Weg war zu Teilen danach auch seiner. Gerade Neuendorf zählt Weber seit Jahren zu seinen Vertrauten, und umgekehrt. Der ehemalige Mittelfeldbeißer trainierte nach der aktiven Karriere Hertha-Jugendteams, assistierte Dardai bei den Profis, war stets da, wenn er gebraucht wurde. „Zecke brennt für die Jungs aus Berlin. Er wird ein wichtiger Partner sein“, so Weber.

Erst soll nun der Klassenerhalt gelingen, dann die eigene Jugend verstärkt involviert werden bei den Profis. Zumindest auf dem einen Weg. Der andere steht diesem konträr gegenüber, nicht lokal, sondern global, er ist ein Weg, der in die USA führt, Florida, Miami, 777 Partners. Selbst die neuerlichen Querelen um Ex-Boss Bobic sollen den CEO Josh Wander nicht abgeschreckt haben, in die Hertha zu investieren. Ebenso wenig wie Don Dransfield, Chef der 777 Football Group und damit zuständig für die Hertha. Zuvor arbeitete er für die City Football Group. Das US-Unternehmen, das 2015 gegründet wurde und Windhorst die Anteile abkaufen will, ist im Fußballmetier kein Neuling. An sechs Klubs ist 777 Partners bereits beteiligt: der FC Sevilla in Spanien, Genua CFC in Italien, Vasco da Gama in Brasilien, Standard Lüttich in Belgien, Red Star FC in Frankreich, Melbourne Victory in Australien.

Anders als etwa im RB-Kosmos erfolgt kaum ein Austausch von Profis, angepasste Logos sind ausgeschlossen, auch will der Investor nach dem Anteilskauf vorerst keine horrenden Summen in die Hertha pumpen. Vielmehr gehe es um Synergien, stetiges Wachstum, so Josh Wander, was freilich nur richtig funktionieren wird, sollte die Hertha den Totalabsturz vermeiden können.

Auch interessant