Eintracht Frankfurt: Der Last-Minute-Wahnsinn geht weiter

Eintracht Frankfurt schwingt sich gegen Union zur besten Saisonleistung auf, vergibt dickste Chancen und erlöst sich wieder mal erst Sekunden vor Schluss.
Frankfurt - Der Schweizer Gemütsmensch Urs Fischer hat auch in einer emotionalen Ausnahmesituation am späten Sonntagnachmittag die Contenance bewahrt und sich als äußerst fairer Verlierer entpuppt – und das, obwohl seine Mannschaft spät, eintracht-typisch spät, auf die Bretter geschickt wurde, in allerletzter Sekunde nämlich. Fast schien der Trainer Union Berlins dieser monströsen Willensleistung des Frankfurter Ensembles etwas ehrfürchtig und hochachtungsvoll gegenüberzustehen.
Eintracht Frankfurt, dozierte Fischer nach diesem 2:1 (1:0)-Erfolg der Hessen, habe sich diesen Treffer in der 95. Minute absolut verdient, so unglücklich er auch für sein Team gewesen sein mag. Die Frankfurter, so Fischer, stellten das bessere Team, läuferisch, kämpferisch, spielerisch, „sie waren uns in allen Belangen überlegen“, und Eintracht-Verteidiger Evan Ndicka, der Siegtorschütze, habe dieses Tor „unbedingt gewollt, er wollte es wirklich“.
Eintracht Frankfurt: Wahnsinn bricht sich Bahn
Und so kam es, dass sich der Franzose mit aller Konsequenz in die Flanke des Flankenwunders Filip Kostic warf, mit allem, was er hatte, 1,92 Meter Körpergröße und 85 Kilo Muskelmasse, und quasi in der Luft stehend den Ball ins lange Eck köpfte. Zappzarapp, 2:1 Sekunden vor Schluss, und dann brach sich der Wahnsinn Bahn. Trainer Oliver Glasner, Torwart Kevin Trapp, die Bankangestellten, der Vorstand, der Aufsichtsrat, die Fans, eigentlich alle, die es mit der Eintracht hielten, flippten mehr oder weniger aus. „Wir genießen den Moment. Wenn’s läuft, dann läuft’s, dann sollte man es laufen lassen“, sagte Coach Glasner, nachdem er wieder heruntergekühlt war. Das war so ziemlich das Kontrastprogramm zu den völlig entfesselten Jubelarien zuvor.
Mit späten Treffern kennen sich die Frankfurter aus, „wir sind die Last-Minute-Eintracht“, wie Urgestein Timothy Chandler zusammenfasste. Die Bude in der 95. Minute sicherte nun bereits den zwölften zusätzlichen Punkt in der Schlussphase in den letzten elf Pflichtspielen. Mehr noch: In fünf der letzten sechs Partien traf die Eintracht entscheidend in der Nachspielzeit, viermal davon in der 94. Minute oder noch später. Das reichte zu drei Siegen und zwei Unentschieden, also insgesamt acht Punkten, die die Frankfurter nicht auf dem Bundesliga- oder Europa-League-Konto hätten, wenn nach exakt 90 Minuten Schluss gewesen wäre.
Eintracht Frankfurt: Ein Sieg der Moral
Im Eintracht-Zirkel glaubt kaum jemand daran, dass dieses Phänomen einfach nur auf einem Bündnis mit Fortuna beruht. „Das zeugt von Moral und Mentalität“, sagt Sportvorstand Markus Krösche. „Das ist ein Qualitätsmerkmal, kein Glück oder Zufall.“
Jeder dieser Treffer kurz vor dem Abpfiff mache etwas mit den Spielern und auch mit denen des Gegners. „Jeder Treffer hat seine Wirkung“, sagt Krösche. „Die Jungs ziehen daraus Vertrauen und Glauben.“
Fabio Blanco soll bleiben
Der Wirbel um das spanische Talent Fabio Blanco ebbt nicht ab, doch Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche ist darum bemüht, kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. „Fabio ist ein super Junge, er hat sich in eine gute Richtung entwickelt“, sagt der Sportchef über den 17-jährigen Offensivspieler, der sich in der vergangene Woche geweigert hatte, bei der U19 zu trainieren und sich auf einen Passus in seinem Vertrag bezog. Hinter vorgehaltener Hand sieht die Eintracht die Berateragentur als Unruhestifter, nicht den Spieler selbst. Gut möglich, dass die Agenten schon im Winter auf einen Wechsel drängen.
Diesem Wechselwunsch wird Krösche, Stand jetzt, nicht entsprechen. Einen Abgang des Rechtsaußen schloss er kategorisch aus. Ab Mittwoch soll er wieder mit den Profis trainieren. Die Empfehlung, sich der A-Jugend anzuschließen, habe sich nur auf die Europa-League-Woche bezogen. (dur)
Am Sonntagnachmittag vor nur 24 000 Zuschauenden in Frankfurt stellte sich die Frage nach dem verdienten Sieger nicht. Hätte die Eintracht dieses Spiel gegen zudem permanent auf Zeit spielende Berliner nicht doch noch nach Hause gefahren, es wäre der blanke Hohn gewesen.
Die Eintracht hat ihre beste Saisonleistung geboten, sie war dominant, spielfreudig, zweikampfstark und voller Hingabe, Laufdistanz: 122 Kilometer – und das im dritten Spiel binnen acht Tagen, dem zweiten binnen nicht mal 72 Stunden und stets mit derselben Aufstellung. „Das ist außergewöhnlich“, findet Trainer Glasner.
Eintracht Frankfurt: Djibril Sow trifft sehenswert
Im ersten Abschnitt brannten die Hessen beinahe schon ein Feuerwerk ab, Angriff auf Angriff rollte dem Kasten der völlig überforderten Köpenicker entgegen, doch nur Djibril Sow schoss den Ball nicht nur aufs, sondern auch ins Tor (22.). Nach einem abgewehrten Eckball zimmerte der Schweizer Internationale die Kugel überlegt in den Winkel. Sein erstes Saisontor, natürlich, der 24-Jährige ist bisher nicht durch übertriebene Torgefährlichkeit auffällig geworden. „Es ist schon fast peinlich, dass ich zwei Jahre kein Tor geschossen habe“, befand Sow lächelnd. „Die Jungs sagen mir schon immer: ,Schieß doch einfach wie im Training.’“ So einfach ist es manchmal.
Ansonsten tat sich die Eintracht aber dadurch hervor, beste Gelegenheiten fahrlässig auszulassen: Daichi Kamada (25.), Kristijan Jakic (28.), Jesper Lindström (34.), Filip Kostic (36.) und Rafael Borré (41.) verballerten allesamt aussichtsreich. Es waren nicht irgendwelche Halbchancen, sondern glasklare, oft 100-prozentige Möglichkeiten. Herausgespielt zumeist von Filip Kostic, der eine grandiose Leistung zeigte und mit den Berliner Abwehrspielern Katz und Maus spielte. Unverständlich, dass da Union-Coach Fischer tatenlos zusah, wie seine Verteidiger regelmäßig überlaufen und fast schon vorgeführt wurden. Da kann man als Coach auch mal eingreifen, selbst wenn gegen den Serben ohnehin kaum ein Kraut gewachsen ist.
Eintracht Frankfurt: Oliver Glasner sieht großartige erste Halbzeit
„Wir haben eine großartige erste Halbzeit gespielt“, analysierte Glasner. „Da muss es eigentlich schon 2:0 oder 3:0 für uns stehen.“ Sein Gegenüber Urs Fischer baute seine Mannschaft in der Kabine genau damit auf: „Das Beste zur Halbzeit war, dass es nur 1:0 für Frankfurt stand.“ Und natürlich ist es dann häufig so, dass sich das Auslassen diverser Großchancen rächt, diese Binsenweisheit ist so alt wie der Fußball selbst.
Als Evan Ndicka dann einmal nicht aufpasste und Gegenspieler Taiwo Awoniyi am Knöchel traf, zeigte der unruhig pfeifende Schiedsrichter Sascha Stegemann auf den Punkt. Eine korrekte Entscheidung. Max Kruse verwandelte sicher (62.). Zum Punkt reichte es nicht, weil die Eintracht wieder ultraspät zurückschlug. „Wir sind das jetzt schon gewohnt“, sagte Djibril Sow. „Insofern kam das gar nicht so überraschend.“ Dann lachte er, der Torschütze, sollte nur ein Späßchen sein. (Ingo Durstewitz und Daniel Schmitt)