Steffen Baumgart: Ein Geißbock auf dem Gaspedal

Der unkonventionelle Trainer mit der Schiebermütze hat dem Beinahe-Absteiger 1. FC Köln einen Vollgasfußball verordnet, der perfekt zum Standort passt.
Köln - Laut geht es unter der Leitung von Steffen Baumgart auf dem Trainingsplatz vor dem Geißbockheim immer zu, vor ihrer Dienstreise nach Frankfurt mussten sich die Kölner Fußballer zwischendurch aber schon mal dezent die Ohren zuhalten. Die Konzentration seiner Spieler beim Torschuss missfiel dem 49-jährigen Übungsleiter gewaltig. Entsprechende Hinweise waren nicht zu überhören, und später erklärte Baumgart sein Anliegen dann auch offiziell: „Wir können uns noch in vielen Bereichen weiterentwickeln, zum Beispiel in der Effizienz. Wir haben in den ersten Spielen viele hochkarätige Chancen auch liegen lassen.“
Trotz dieser unerwünschten Großzügigkeit fabrizierten die Beinahe-Absteiger vom Frühjahr mit acht Punkten aus fünf Spielen einen formidablen Einstieg in die Runde. Ein entscheidender Grund für die positive Startbilanz ist, dass dem temperamentvollen Chef am Spielfeldrand gut eben längst nicht gut genug ist. Bei einem Sieg über Eintracht Frankfurt käme Baumgart („Wir haben sehr gute Möglichkeiten, ein gutes Spiel zu machen“) auf die beste Auftaktquote eines Kölner Trainers seit einem Vierteljahrhundert. In dem Fall wäre er allein übertroffen von Peter Neururer, der seine erfolgreiche Rettungsmission beim Effzeh im Frühjahr 1996 mit 13 Punkten aus den ersten sechs Partien begann.
Der Fußball des 1. FC Köln elektrisiert inzwischen das Publikum
Dass im Kölner Grüngürtel nahezu dasselbe Personal nach der Pfeife des neuen Coaches tanzt wie in der nervenaufreibenden Vorsaison, macht den Aufschwung bei den Domstädtern noch bemerkenswerter. Dieselbe Mannschaft, die bei Überschreiten der Mittelllinie vor wenigen Monaten noch regelmäßig von Furcht und Ratlosigkeit befallen wurde, hat plötzlich den Charme von Pressing, Flügelspiel und Kopfbällen auf das gegnerische Tor entdeckt. Bei keinem anderen Bundesligisten schossen die Stürmer bislang so oft aufs Tor wie bei dem der Kölner (39), keine anderes Team hat so viele Flanken (84) geschlagen und diese Flanken erfolgreich verwertet (sieben) wie das Ensemble des impulsiven Trainers mit der grauen Schiebermütze.
Der Kölner Fußball, lange Zeit ein Synonym für gähnende Langeweile und Mutlosigkeit, elektrisiert inzwischen das Publikum. Beim jüngsten Offensivspektakel gegen RB Leipzig (1:1) hatte man angesichts des Lärms, den die Zuschauer während der gesamten Partie veranstalteten, das Gefühl, in einem komplett gefüllten und nicht nur halbvollen Stadion zu sitzen. Auch Bundestrainer Hansi Flick war als Augen- und Ohrenzeuge schwer beeindruckt vom radikalen Stimmungswandel beim FC, auch und gerade im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit.
„Es ist ein tolles Gefühl, dass unsere Arbeit nicht nur in Köln honoriert wird“, sagt Thomas Kessler, seit diesem Sommer Leiter der Lizenzspielerabteilung des Klubs. Und der frühere Torwart, vor zehn Jahren eine Saison lang aus seiner Heimatstadt Köln an den damaligen Absteiger und jetzigen Gegner Frankfurt entliehen, fügt hinzu: „Es macht auf jeden Fall stolz, dass man wieder Respekt vor dem FC hat.“
Das Selbstbewusstsein, mit dem die Rheinländer ihren Gegnern neuerdings gegenüber treten, hat ihnen Baumgart mit all der in ihm brodelnden Energie injiziert.
1. FC Köln: Modeste ist wieder treffsicher
Parallel dazu kultiviert der gebürtige Rostocker den herzhaften Angriffsfußball, für den er schon während seiner vier Jahre in Paderborn bekannt war – und drückt nicht nur inhaltlich, sondern auch verbal aufs Gaspedal. Etwa mit seinem Hinweis am Tag nach dem Leipzig-Spiel, in Deutschland gebe es seines Wissens nur drei größere Vereine als den 1. FC Köln. Oder wenn er vor dem Duell mit der Eintracht sagt: „Es wird am Samstag darum gehen, wer seine PS auf den Rasen bringt.“
Parallel zur taktischen Neujustierung setzt Baumgart auf die Eigenverantwortung der FC-Profis – und auf einen konstruktiven Konkurrenzkampf. „Es gibt nicht nur die erste Elf. Es gibt alle Spieler“, lautet das Mantra des Mannes, der vor dem Gastspiel in der Bankenmetropole den Blick auf seinen großen und tatenhungrigen Kader genießt. „Für einen Trainer“, sagt er, „gibt es größere Probleme, als aus dem Vollen schöpfen zu können. Wir alle sollten uns darüber freuen, dass wir in der Lage sind, mit 20 oder 22 Leuten in die Spiele zu gehen. Wir haben viele Alternativen und Möglichkeiten, und die wollen wir auch dieses Mal wieder ausschöpfen.“
Im Trainingsalltag verfolgt der frühere Stürmer eine gesunde Linie zwischen professioneller Strenge, Hilfestellungen für die Spieler und kleinen Albereien zwischendurch. Und Baumgart, der – gewohnt offensiv – als Saisonziel Platz zwölf ausgerufen hat, macht Kölns Kicker mit seiner Art besser. Akteure wie Rafael Czichos, Jan Thielmann, Benno Schmitz – oder wie Anthony Modeste. Der 33-jährige Angreifer ist nach einer intensiven Saisonvorbereitung auf dem Weg zurück zu früheren Glanzzeiten, traf in dieser Runde bereits vier Mal – und sagt in schönstem Französisch über Baumgart: „Iesch lieb‘ den. Wir ‘aben einen geilen Trainer.“ (Andreas Morbach)