Weckruf im Geisterhaus

Eintracht Frankfurt verliert unnötigerweise bei der TSG Hoffenheim, ist nicht widerborstig genug und geht hart mit sich ins Gericht. Um die Sinne vor dem Istanbul-Spiel zu schärfen?
Irgendwann während seiner knappen Spielanalyse hielt Oliver Glasner inne und bremste sich selbst abrupt aus. Der Eintracht-Trainer ertappte sich, bass erstaunt, der Schwarzmalerei. „Ich muss aufpassen, dass ich aus meiner persönlichen Enttäuschung heraus das Ganze nicht zu negativ sehe“, befand der 47-Jährige nach der 2:3 (1:2)-Niederlage bei der TSG Hoffenheim und lobte prompt die Offensivleistung seiner Mannschaft. „Da haben wir ein sehr ordentliches Spiel gemacht, da sind wir auf dem richtigen Weg.“ Und überhaupt: „Wir wollen jetzt noch viele Punkte in der Bundesliga holen und am Donnerstag den ersten Platz in der Europa League fixieren.“ Und dann? „Dann freue ich mich auf Weihnachten.“ Sehr schön.
So besinnlich klang der Österreicher ein paar Minuten zuvor nicht, die erste Pleite nach sechs ungeschlagenen Pflichtspielen in Folge lag ihm schwer im Magen, weil sie unnötig war und vielleicht auch ein kleiner Rückschritt, vor allem aber, weil Glasner das Gefühl hatte, dass sein Ensemble nicht alles investiert hatte und ein wenig zu lax aufgetreten war, um die kurze Heimreise mit etwas Zählbarem anzutreten. „Wenn du nicht von der ersten Sekunden an in jeder Phase des Spiels alles für den Sieg gibst, dann hast du ihn auch nicht verdient“, mäkelte er. „Ich hoffe, wir sehen, dass es nicht immer so einfach geht und wir nicht denken: ,In der 95. Minuten sind wir eh da.’“ Dieses Mal nicht.
Die Partien in der Bundesliga seien nun mal verdammt eng, oft genug auf des Messers Schneide, und „dann kippen die Spiele meistens zu denen, die es sich mehr verdient haben.“ Glasner wollte diese zweifelsfrei vermeidbare Pleite gar als Wachrüttler verstanden wissen. „Wenn wir daraus lernen, kann es auch eine heilvolle Niederlage sein. Ich hoffe, dass dieses Spiel die Sinne wieder schärft.“ Bemerkenswert klare Worte des Österreichers.
Was ihn unheimlich gestört, ja „gefuchst“ hat, war die Defensivleistung seiner Mannschaft, wobei er damit explizit nicht nur die Abwehr meinte, sondern das arglose Verhalten des Kollektiv. Das war ihm zu fahrig, zu lasch, nicht entschlossen genug. „Die letzte Galligkeit und Konsequenz hat uns gefehlt, um die Räume zu schließen.“
Offensichtlich war, dass die offensiven Mittelfeldspieler Jesper Lindström und besonders Daichi Kamada nicht ihren besten Tag hatten, genauso wie die Abräumer Kristijan Jakic und Djibril Sow. Sie konnten die Hoffenheimer Spielfreude nur selten unterbinden, ließen zu viel Raum. Und natürlich gingen Glasners Worte auch wieder an die Adresse von Filip Kostic, der die Defensive in der zweiten Hälfte vernachlässigte, weshalb es im menschenleeren und also hellhörigen Stadion manch Wortgefecht mit seinen Mitspielern kam, insbesondere Hintermann Evan Ndicka beschwerte sich in der Schlussphase vernehmlich.
Kostic, immer wieder Kostic
Andererseits: Kostic war auch dieses Mal der offensivstärkste Spieler, der im zweiten Abschnitt über die linke Seite mächtig Dampf machte und natürlich auch wieder einen Treffer vorbereitete, den von Goncalo Paciencia zum 2:3-Anschlusstreffer (72.) – seine siebte Vorlage. Merke: Wer Kostic einbremsen will, beraubt ihm auch seiner größten Stärke. Denn hinten alles wegverteidigen und vorne die Tore vorbereiten, das ist kaum möglich. Der 29-Jährige wird dessen ungeachtet weiter an seiner Balance und taktischen Disziplin arbeiten müssen.
Dennoch hätte die Eintracht dieses flotte Spiel nicht verlieren müssen, allein Stürmer Rafael Borré hatte vier gute bis sehr Gelegenheiten, die er teilweise fahrlässig versiebte (siehe weiteren Bericht auf Seite S3), die Fehlerhaftigkeit konnte auch sein Kopfballtreffer zum 1:0 (15.) nicht übertünchen. Die Torschussstatistik lautete 16:8 für die Gäste aus Hessen, die Hoffenheimer bestachen aber durch Effizienz, machten aus wenig immerhin drei Tore durch Dennis Geiger (24.), Georginio Rutter (30.) sowie Diadie Samassekou (59.).
Die Eintracht war an diesem verregneten Samstag im trostlosen Geisterhaus zu Sinsheim irgendwie nicht zwingend, kratzbürstig und widerborstig genug. „Die letzten Schärfe hat gefehlt“, kritisierte Sportvorstand Markus Krösche. „Wir müssen die Dinge gegen den Ball besser machen.“
Auffällig war, dass sich ins Passspiel wieder vermehrt Ungenauigkeiten einschlichen, was zwangsläufig zu Ballverlusten und einem stärker aufkommenden Gegner führt, zumal dann, wenn dieser manierlich mit der Kugel umzugehen weiß. Es fehlte auch der Mut, zielstrebiger nach vorne zu spielen, oft wurde der Sicherheitspass gewählt. Das missfiel auch dem Trainer: „Wir haben zu oft hinten quer und im eigenen Strafraum gespielt. Wir haben es verabsäumt, nach vorne zu spielen.“ Eine treffende Einschätzung.
Erstaunlich war dennoch, wie selbstkritisch Spieler und Coach mit sich ins Gericht gingen, vielleicht auch ein Ausdruck der gestiegenen Ansprüche. Timothy Chandler fand den Auftritt gar bedenkenswert, gerade im ersten Abschnitt. „Da haben wir einfach keinen Zugriff gefunden. Wir sind überall rumgelaufen, aber nur dem Ball hinterher. Gefühlt hatten wir fünf Prozent Ballbesitz und fünf Prozent angekommene Pässe. Das war vielleicht die schlechteste Halbzeit, die wir gespielt haben“, moserte er. Und weiter: „Das war kein gutes Spiel von uns. Das war fußballerisch nichts heute.“
Zur Wahrheit gehört auch, dass der Rechtsverteidiger selbst oft genug den Rückwärtsgang einlegte und mit seinen Pässen Nebenmann Tuta und Torwart Kevin Trapp in Bedrängnis brachte. Hatte nicht seinen besten Tag, der alte Haudegen. Aber damit stand er nicht alleine.