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Zum Tod von Gudrun Pausewang: „Schlitz ist in meine Bücher hineingewachsen“

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Von: Redaktion Fuldaer Zeitung

Foto: Volker Puthz
Foto: Volker Puthz

Schlitz - Gudrun Pausewang ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Schlitz verliert mit ihr eine Ehrenbürgerin, die durch ihr engagiertes, mahnendes Werk weltweit Aufmerksamkeit erlangt hat. Zu ihrer Heimatstadt hat sie sich immer wieder bekannt.

Von Volker Puthz

Anlässlich ihres 80. Geburtstags hat Gudrun Pausewang dieses gesagt: „Schlitz ist mir zur Heimat geworden. Das Städtchen hat eine interessante Geschichte, und besonders beeindruckt hat mich zum Einen die Solidarität beim Widerstand gegen die Militarisierung des Eisenberges, zum andern eine kleine Tafel am Rathaus [siehe das Foto]. Das rechne ich der Schlitzer Bevölkerung hoch an.“

Wir wollen uns hier an sie vor allem unter dem Schlitzer Aspekt erinnern, allgemeine Würdigungen ihres umfangreichen Werkes sind an anderen Stellen erfolgt.

Zuerst die Fakten: Geboren 1928 in Böhmen, dort auch zur Schule gegangen, floh sie 1945 nach Hessen, wo sie 1948 ihr Abitur ablegte. Nach ihrem Studium ergriff sie den Beruf des Lehrers und ging 1956 nach Chile, 1961 nach Venezuela. Dort lernte sie die einheimische Kultur und die Not der einfachen Bevölkerung kennen. Von 1963 bis 1968 war sie dann Lehrerin in Mainz, bis sie wieder nach Südamerika, diesmal nach Kolumbien aufbrach, wo sie bis Anfang der Siebziger Jahre tätig war.

1972 kam sie zurück nach Deutschland, und zwar nach Schlitz, wo sie unter ihrem eigentlichen Namen, Gudrun Wilcke, lebte und 16 Jahre lang bis 1998 als Lehrerin an der Dieffenbachschule wirkte. Zuerst wohnte sie in Hartershausen, später am Schlitzer Heidberg, von wo ihr Auge die gesamte Burgenstadt, nun ihre Heimat, im Blick hatte.

Anlässlich ihrer Verabschiedung in den Ruhestand erinnerte sich Gudrun Wilcke in der ihr eigenen ungeschminkten Art zurück: Als sie Ende 1972 nach Hartershausen verschlagen worden sei, habe es ihr vor einem längeren Aufenthalt hier gegraust. Dieses Gefühl habe sich ihr beim Anblick des ramponierten alten Kastens, der nach Lehrerstrenge vergangener Zeiten gerochen habe (damit ist der Altbau der Dieffenbachschule in der Bahnhofstraße gemeint), noch verstärkt. Bald habe es ihr im Kollegium Spaß gemacht mitzuarbeiten. Inzwischen habe sie gemerkt dass es sich auch in Hessisch-Sibirien leben lässt. Man müsse nur etwas damit anzufangen wissen – also habe sie geschrieben. Im Laufe der Jahre sei sie heimisch geworden und habe sich ein Haus gebaut.

Ihre schriftstellerische Tätigkeit begann sie 1959 und konzentrierte sich auf drei Schwerpunkte: ihren eigenen beispielhaften Lebenslauf (von begeisterter Hitleranhängerin hin zur engagierten Kämpferin gegen Neonazismus), auf die soziale Situation von Kindern und Jugendlichen in den Ländern Südamerikas und auf aktuelle, auch Umwelt- Themen mit politischem Akzent („Warnbücher“, „Wachrüttelgeschichten“, wie die Kritik sie charakterisiert). Es soll keiner sagen, er hätte es nicht gewusst: so eines ihrer Leitmotive. Dabei nahm sie kein Blatt vor den Mund und eckte damit anfangs auch wiederholt an (von „massivem politischem Druck“ gegen Auszeichnung der Schriftstellerin aus der rechten Ecke, sprach die Münchner „Abendzeitung“ 1988; Brutale Aufklärung oder Panikmache?, fragte Susanne Gaschke 2003 in der „ZEIT“). Aber unbeirrt fuhr sie mit ihrem „Mut zur Zumutung“ (so „Die ZEIT“, 2018) fort.

Vor allem richten sich ihre Bücher an Jugendliche, denen sie die Augen öffnen will, die sie am eigenen Beispiel vor den Gefahren der politischen Verführung warnen will. Deshalb griff sie auch immer wieder aktuelle Themen auf (atomare Bedrohung, Verführung zum Rechtsradikalismus...). „Wer nicht mehr neugierig [wir ergänzen: kritisch] ist, erstarrt. Das wünsche ich Niemandem!“ sagte sie anlässlich eines Festaktes zu ihrem 85. Geburtstag in Schlitz.

Und in Schlitz fand sie auch passende Stoffe. Erinnern wir uns an das Jahr 1983 und die drohende Gefahr einer Militarisierung des Eisenberges. Selbstverständlich schloss sie sich der Bürgerbewegung gegen dieses Projekt an. Und in ihrem Buch (1984) „Etwas lässt sich doch bewirken“ fand das dann seinen konkreten (Schlitzer) Niederschlag.

Ein Jahr nach der Katastrophe von Tschernobyl hat sie das Thema „Gefahren der Atomkraftwerke in ihrem wohl verbreitetsten Werk „Die Wolke“ (1987) aufgegriffen. Zur Schullektüre geworden schildert dieses Buch schonungslos den Super-GAU eines Atomkraftwerks (Grafenrheinfeld im Blick) und seine Folgen. Schauplatz ist hier vor allem Schlitz. Was dann ja auch in der Verfilmung des Buches (2005) zu sehen ist (siehe das Foto). Der Film wird immer wieder einmal im Fernsehen gezeigt.

Das wird nicht nur in mehreren Büchern der Schriftstellerin deutlich (z. B. in der „Rosinkawiese“), in der wir lesen, was die Überschrift unseres Gedenkartikels sagt, es wird auch in ihrem Mitwirken an verschiedensten Veranstaltungen deutlich – regelmäßig besuchte sie die Maifeier des Deutschen Gewerkschaftsbundes und las dort aus ihren Werken -, es zeigt sich auch in verschiedenen Ausstellungen, z. B. im April 2008 in der Landesmusikakademie, in den Schlitzer Schulen (Dez. 2012 zur „Wolke“; 2013 in der Dieffenbachschule), in der Stadtbücherei und auch in einem Theaterstück, das sie 2012 für die Grundschule geschrieben hat („Schlitz, der Nabel der Welt“).

Bis ins hohe Alter war sie unermüdlich, erwarb zum Beispiel 1998 mit einer Dissertation über „Vergessene Jugendschriftsteller der Erich-Kästner-Generation“ an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main ihren Doktorgrad.

Wer sie noch nicht kannte, konnte sie übrigens im März 2012 bei Günther Jauch im Fernsehen erleben und im zugehörigen Kurzporträt mit ihr einen Blick vom Hinterturm machen.

Ehrenbürgerin von Schlitz wurde sie übrigens 2003, das Bundesverdienstkreuz hatte sie schon 1999 bekommen; weitere Auszeichnungen wurden ihr darüber hinaus zuteil (z. B. der Deutsche Jugendliteraturpreis 1988). 2009 hat sie übrigens ihre Literatursammlung in die Landesmusikakademie gegeben, die dort von ihrer Freundin M. Altstadt katalogisiert wurde. Heute wird sie im Stadtarchiv aufbewahrt.

„Im Laufe der zehn Jahre, die ich in Hartershausen lebte und der anschließenden zwanzig Jahre, in denen ich in Schlitz auf dem Heidberg (...) wohne, wuchsen mir unsere liebenswerte kleine Stadt und die Landschaft, in die sie eingebettet ist, ans Herz. Jetzt fühle ich mich hier zu Hause. Immer, wenn ich von einer meiner Lesereisen zurückkomme, freue ich mich, wenn ich über die Pfordter Höhe komme und den Schlitzer Kirchturm sehe“, so äußerte sie sich 2003.

Nachdem sie dann vor einigen Jahren in die Nähe ihres Sohnes bei Bamberg gezogen war, blieb ihr Interesse für Schlitz stets wach. So sagte sie beispielsweise zu Bürgermeister Schäfer anlässlich eines Besuchs bei ihr im Jahre 2016: „Grüßen Sie mir Schlitz“.

Wir werden unserer Ehrenbürgerin ein würdiges Gedächtnis bewahren.

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