Hába Quartett gastierte in der Landesmusikakademie
SCHLITZ - Zum Geburtstag von Paul Hindemith kam das Hába Quartett mit einem passenden Programm in die Landesmusikakademie Hessen in Schlitz. Das dritte Streichquartett dieses Komponisten und das 15. Streichquartett von Hindemiths Freund Alois Hába bildeten den ersten Programmteil. Gemeinsam mit dem Cellisten László Fenyö spielten die vier Musiker im zweiten Teil Franz Schuberts C-Dur-Streichquintett D 956. Die Interpretationen waren atemberaubend.
Seit zwölf Jahren spielt das Hába Quartett in folgender Besetzung zusammen: Sha Katsouris (erste Violine), Hovhannes Mokatsian (zweite Violine), Peter Zelienka (Viola) und Arnold Ilg (Violoncello). Paul Hindemith stand auch deshalb auf dem Programm, weil am nächsten Tag der Raum 1.3 der Akademie in "Paul-Hindemith-Saal" umbenannt werden sollte. Am 28. Dezember dieses Jahres ist Hindemiths 50. Todestag.
Viele Musikfreunde legen sich Hindemiths Musik vermutlich eher selten zu Hause auf. Wenn jedoch Musiker wie die des Hába Quartetts sie ihm Konzert spielen und mit ihr eine Geschichte erzählen, erscheint sie auf einmal wesentlich zugänglicher. In Pausengesprächen äußerten einzelne Besucher, das Hindemith-Streichquartett habe sie an Filmmusik erinnert. Tatsächlich verwendeten Komponisten in Hollywood in der Mitte des 20. Jahrhunderts immer wieder Melodik und Harmonik, wie sie bei Komponisten aus Hindemiths Epoche auftauchen.
In Verbindung mit den Bildern etwa eines düsteren Thrillers erscheinen einem diese Klangwelten allerdings oft nicht so fremd wie in einem Konzert oder auf einem Tonträger. Denn: Durch die Bilder erscheinen die 'schrägen' Klänge leichter als musikalischer Ausdruck bestimmter Emotionen. Im Konzertsaal dagegen überwiegt bei vielen Hörern der Vergleich mit klassischerer Melodik und Harmonik. Ob man Musik wie von Hindemith nun im eigentlichen Sinne mag oder nicht: Zumindest erzählt sie etwas – und das hat das Hába Quartett eindrucksvoll transportiert.
Analog dazu, dass sich die Musik in Hindemiths Epoche nicht mehr so eindeutig auf einen Grundton bezieht (Tonalität) wie die Musik einige Jahrzehnte davor, sind auch die von solchen Kompositionen ausgedrückten Emotionen oft nicht eindeutig benennbar. Aber auch diese Unklarheit ist ein Gefühl – und im Angesicht der unbeschreiblichen Grausamkeit des 20. Jahrhunderts wandten sich Musiker dem zu. Davor zu flüchten, wie es Romantiker im Angesicht der Industrialisierung taten – das gab es für jemanden wie Paul Hindemith nicht mehr.
Hindemiths drittes Streichquartett lebt ebenfalls von solchen emotionalen Ambivalenzen. Es beginnt sehr elektrisierend und energetisch und wirkt zugleich irgendwie entrückt. Auch in Momenten, in denen dieser bestimmte musikalische Humor Hindemiths durchkommt, bleibt eine extreme emotionale Anspannung bestehen. In dieser Interpretation war es so, dass auch in entspannteren Momenten keine vollständige Lockerheit herrschte, sondern es unter der Oberfläche weiterhin brodelte. Insgesamt lässt dieser erste Satz keine Zeit zum Durchatmen. Das so umzusetzen, dass es nicht irgendwann nervt, ist eine Herausforderung. Dem Hába Quartett gelang das ganz und gar.
Die Interpretation war vor allem enorm packend. Diese bestimmte Aggressivität und Spannung setzten die Musiker in Szene, indem sie bis an die Grenzen ihrer Instrumente gingen. So war solche Musik einmal gedacht, und erst mit Rücksicht auf überforderte Mikrophone in den vierziger und fünfziger Jahren gingen viele Interpreten zu den glattpolierten Klängen über, die vielen Menschen den Zugang zu so genannter klassischer Musik versperrt haben. Cellist Arnold Ilg ging so weit, dass in den lautesten Momenten die Saiten schnarrten – ein wunderbarer perkussiver Effekt, den solche Musik an bestimmten Stellen braucht, der aber leider von manch einem Musiker vermieden wird.
Der zweite Satz hat ein ganz langsames Tempo, ist aber unter der Oberfläche genauso unruhig wie der erste. Auch leise, leicht tänzelnde Momente waren in dieser Interpretation keineswegs entspannend. Der dritte Satz ließ alle diese Anspannungen wieder nach außen treten. Das 15. Streichquartett von Alois Hába, nach dem das Hába Quartett benannt ist, trägt auch emotionale Ambivalenzen der beschriebenen Art in sich. Allerdings ist das Formprinzip ein ganz anderes: Während die Hindemith-Komposition drei recht lange Sätze beinhaltet, besteht die Komposition Hábas aus fünf sehr kurzen, skizzenhaften Sätzen. Die haben es allerdings in sich, dementsprechend spielten die Interpreten sie beinahe noch gewaltiger als das vorherige Werk.
Die Musik Franz Schuberts ist sehr melodisch und bewegt sich wesentlich vertrauteren harmonischen Gefilden als das Werk Hindemiths. Das bedeutet aber nicht, dass die Herangehensweise des Hába Quartetts – nun ergänzt durch den Cellisten László Fenyö – auch nur ein bisschen 'braver' gewesen wäre. Wo es passte, spielten die Musiker mit der gleichen Rauheit, und das war gut so.
Explosives spielten die Musiker explosiv, Zartes spielten sie zart – sie nutzten die gesamte Bandbreite möglicher Ausdrucksweisen. Obwohl Schuberts Melodik sehr eingängig ist, verlangen Werke wie das C-Dur-Streichquintett einen enormen Sinn für Gesamtdramaturgie, damit sie bei der Darbietung einen roten Faden behalten und dadurch interessant bleiben. Denn: Während beispielsweise Ludwig van Beethoven sich auf bestimmte Stimmungen, ausgedrückt durch bestimmte Themen, konzentriert, durchwandert Schubert gerne alles Mögliche an Emotionen. Die Bandbreite innerhalb eines Satzes ist dann riesig, und ein Interpret muss dann aufpassen, dass ihm die Musik nicht zerfleddert. Für die fünf Musiker des Abends war dies kein Problem.
Ebenfalls besonders wichtig bei Schubert ist, dass diese besonders große klangfarbliche Bandbreite zum Zuge kommt. Auch hier ließen die Musiker keine Gegensätze aus. Wenn beispielsweise die Cellisten ihre Stimmen hervorhoben, geschah das mal mit besagten rauen Klängen, mal mit ganz warmen, die trotz großer Weichheit klar konturiert waren.
Nach dem elektrisierenden ersten Satz begann der zweite sehr ruhig – und mit der gleichen Intensität des Ausdrucks wie die spektakuläreren Momente. Niemals ließ die Interpretation diesbezüglich nach, Schlichtes war von enormer Schönheit und emotionaler Tiefe. Das Scherzo hat den Charakter eines Bauerntanzes, und das transportierten die Musiker mit einer ausgelassenen, rauen und beinahe archaisch wirkenden Spielweise. Auch der vierte Satz war über weite Teile ein solcher Tanz. In den ruhigeren Teilen des Finales gelang dieses Pendeln zwischen Beruhigung, Schwärmerei und Schmerz. Zu Recht spendeten die Besucher lang anhaltenden Beifall.