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Große Sorge um Vogel des Jahres 2023: Braunkehlchen im Vogelsberg immer seltener zu sehen

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Braunkehlchen sitzt auf einem Zweig.
Das Braunkehlchen trifft man nur noch recht selten in unserer Region an. © Maik Sommerhage/Nabu

„Wiesenclown“, diese lustige Bezeichnung ist ein guter Einstieg zu dem Thema rund um einen kleinen quirlig anmutenden Vogel: Das Braunkehlchen ist Vogel des Jahres 2023.

Vogelsbergkreis - Das Braunkehlchen scheint ähnlich einem Rotkehlchen mit häufigem „Knicksen“ und Wippen mit dem Schwanz sogar im Sitzen ständig in Bewegung zu sein, was wiederum eine gewisse Fröhlichkeit und Unbeschwertheit auf einen Betrachter übertragen kann. „Gefiederter Clown“ konnte man vor wenigen Tagen beim NABU lesen, als die Nachricht bekannt gegeben wurde: „Von mehreren 10.000 Tier- und Naturfreunden im Bundesgebiet wurde das Braunkehlchen zum ‚Vogel des Jahres 2023‘ gewählt.“

Vogel des Jahres 2023 bereitet Sorgen: Braunkehlchen immer seltener zu sehen

Zwölf bis 14 Zentimeter groß, mit weißem Band über den Augen, das einer Maske ähnelt, lässt sich in der Tat der Überschlag zu einem Harlekin nachvollziehen. Die Crux: Von so manchen Clowns, die ganze Generationen bis heute beflügeln, weiß man, dass sie eine traurige Lebensgeschichte haben, von der wohl die wenigsten etwas wissen wollen. (Lesen Sie hier: 52 Wildvögel in Käfigen und Fallen gehalten: Tierschützer zeigen Mann aus Hosenfeld an)

Arno Eifert, Hobby-Ornithologe und Umweltbeauftragter der Stadt Grebenau sagt dazu: „In der Tat scheint es dem putzig wirkenden Braunkehlchen ähnlich zu ergehen. Falls überhaupt ein Interesse besteht, mag für so manchen ein Stempel in Richtung ‚fröhliche Ulknudel‘ ausreichen. Fest steht allerdings, dass Braunkehlchen im Vogelsberg bis vor circa 30 Jahren zahlreich durch die Gemarkungen flatterten und ihre Brut groß zogen. Davon ist so gut wie nichts mehr übrig geblieben ist. Stellt sich die Frage: Wen interessiert’s? Und wenn, was kann man dagegen tun außer Achselzucken? Einzelne Natur- und Vogelschützer ziehen Projekte durch, reden und schreiben sich mit Hilfsvorschlägen nicht nur beim Braunkehlchen die Finger wund.“

Tilman Oeppert aus Romrod-Zell erinnert sich lebhaft daran, wie er als Kind bei Wanderungen mit seinem Vater, immer stolz war, wenn er ein Braunkehlchen auf einem Weidepfahl entdeckt hatte. Damals wusste er nicht, dass er viele Jahre später 2008 als begeisterter Hobby-Ornithologe im Bereich um Romrod zum letzten Mal ein Braunkehlchen als Brutvogel im „Leuseler Wäldchen“ in seinen akribischen Aufzeichnungen würde kartieren können. „Bei ihren Durchzügen im April oder im September sehe ich auch heute noch so einige von ihnen“, fügt er hinzu, „aber eben nicht mehr als Brutvogel, sondern als Zugvogel.“

Beide Vogelschützer wie auch Axel Rockel als ehrenamtlicher Vogelschutzbeauftragter des Vogelsbergkreises weisen auf den permanenten starken Rückgang des Braunkehlchens in unserer Region hin. Generell stark fallend sei die Tendenz. In Deutschland zähle man derzeit 19.500 bis 20.000 Brutpaare. Schwerpunktmäßig im Offenlandbereich des Hohen Vogelsbergs mit ausgedehnten Heckenzügen sei das Braunkehlchen in den vergangenen Jahren noch vereinzelt mit bis zu 20 Revieren festgestellt worden.

In diesem Zusammenhang verweist Axel Rockel auf das seit zehn Jahren bestehende „Wiesenbrüter-Projekt“ vom NABU Vogelsberg, das relativ großflächig angelegt wurde in den Lüderauen von Grebenhain-Crainfeld und Bermuthshain. Hier konnte dem massiven Bestandseinbruch, der vor etwa drei Jahrzehnten begann, bisher ein wenig Einhalt geboten werden. „Bodenbrüter wie das Braunkehlchen finden in diesem Bereich von knapp 100 Hektar noch ein ideales Terrain, man kann noch Restvorkommen von Brutpaaren beobachten.“

Video: Piep, piep: Braunkehlchen ist Vogel des Jahres 2023

Doch: Was macht es in einer von Natur geprägten Landschaft wie dem Vogelsberg eigentlich so schwer, beispielsweise einmal Wiesenstreifen stehen zu lassen? „Braunkehlchen benötigen Sitzwarten und Streifen, die über Jahre nicht gemäht wurden“, sind sich die Vogelschutzexperten einig.

Was macht es so schwer, alte Zaunpfähle einmal nicht wegzureißen oder neue an Stellen einzusetzen, wo sie landwirtschaftliche Maschinen nicht stören? Was macht es so schwer, wenn solche und ähnliche Maßnahmen auf Anfrage hin beispielsweise vom NABU finanziert werden? Was macht es schwer, einmal mit dem Landwirt von nebenan darüber zu reden – sicherlich hat er ein offenes Ohr. Und weiß vielleicht gar nicht, dass einjährig ausgesäte Blühstreifen für Bienen sehr sinnvoll sein können, jedoch Bodenbrütern kaum weiterhelfen, eher dafür Weg- und Feldränder, sowie Hecken und Büsche.

Nicht persönliche Eitelkeit ist es, die Natur- und Vogelschützer antreibt. Unter anderem spielt für sie beispielsweise aktuell eine besondere Rolle, dass Klimaveränderungen zunehmend spürbar werden. Alles steht eng in Zusammenhang mit einem gravierend rasanten Artensterben. Vielleicht kann man ja doch im kommenden April auf einem kostenlos vom NABU zur Verfügung gestellten Zaunpfahl wieder einmal ein Braunkehlchen bei seiner Rast beobachten – zurückgekehrt von seinem harten über 5000-Kilometer-Langstreckenflug aus der südlichen Sahara. (von Margaret Perkuhn)

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