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Arbeitsreich und intensiv - So war das Jahr der Notfallseelsorger im Vogelsbergkreis

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Sie stehen im Notfall zur Seite: Joachim Tobisch und Thomas Schill von der Notfallseelsorge des Vogelsbergkreises.
Sie stehen im Notfall zur Seite: Joachim Tobisch und Thomas Schill von der Notfallseelsorge des Vogelsbergkreises. © Notfallseelsorge Vogelsbergkreis

35 Männer und Frauen arbeiten bei der Notfallseelsorge im Vogelsbergkreis. Eine Arbeit, die auch über die Dienstzeit hinaus emotional fordert.

Vogelsberg - Das Team der Notfallseelsorge des Vogelsbergkreises blickt in diesem zweiten Pandemie-Jahr auf knapp 100 Einsätze zurück: „Die Zahl ist gestiegen, das sieht man deutlich. Die Pandemie macht den Menschen zu schaffen“, sagt Thomas Schill. Der evangelische Pfarrer ist der Koordinator der Notfallseelsorge – und die ruhte auch in den Zeiten der Lockdowns kaum.

„Wir hatten in diesem Jahr andere Einsätze als sonst“, ergänzt Notfallseelsorger Joachim Tobisch. Das Team wurde zu mehr häuslichen Einsätzen gerufen als sonst. Es gab mehr plötzliche Todesfälle und Suizide, und auch die Familien, die ihre mit Corona verstorbenen Angehörigen nicht mehr sehen konnten und sich nicht mehr verabschieden konnten, wie es für sie gut gewesen wäre, nahmen die Dienste der Notfallseelsorge in Anspruch.

Vogelsbergkreis: Notfallseelsorger berichten von intensiven Einsätzen

„Gerade für solche Fälle haben wir Vollschutzkleidung. Wir hatten sehr früh Menschen im Team, die eine spezielle Hygieneausbildung absolviert hatten und die dann die Corona-Einsätze übernehmen konnten“, berichtet Schill. Hinzu kam in diesem Jahr der Einsatz im Überflutungsgebiet an der Ahr.

Doch 2021 war für die Vogelsberger Notfallseelsorger nicht nur arbeitsintensiv – es gab auch Grund zu feiern: Im Oktober wurde die Notfallseelsorge mit anderen Vereinen und ehrenamtlichen Initiativen mit dem Bürgerpreis Oberhessen ausgezeichnet. Die Sparkasse Oberhessen ehrt damit Menschen und Organisationen im Ehrenamt, die mit ihrem Engagement den Gemeinschaftssinn stärken und das Miteinander fördern.

Die Notfallseelsorger erhielten den Hauptpreis in der Kategorie „Alltagshelden“. Die Begründung der Jury: „Als Teil der psychosozialen Notfallversorgung haben die Ehrenamtlichen unter 24-stündiger Bereitschaft bei jeder Witterung jeden Weg in Kauf genommen und sehr vielen Menschen durch schwere Zeiten geholfen.“ (Lesen Sie hier: Corona fordert die Kinder-Psyche - Kaum Termine beim Therapeuten verfügbar)

Ausbildung zum Notfallseelsorger auch wieder im April

Dies trifft es ziemlich genau: Der Vogelsberg ist groß, die Uhrzeit eines Unfalls, eines Todesfalls oder einer anderen Katastrophe nicht berechenbar und die Menschen, um die es geht, sind oft in großer Not. Doch was tut man da?

„Es ist wichtig, zu schauen, was die Menschen brauchen. Manchmal wollen sie nur reden, manchmal nur schweigen. Nicht alle haben einen Draht zu Gott, aber sie fühlen sich gut behütet, wenn wir bei ihnen sind“, erzählt Tobisch, der erst in seinen letzten Berufsjahren zur Notfallseelsorge gekommen ist und nun als Rentner weitermacht. Durch eine eigene traumatische Erfahrung in der Kindheit war ihm stets bewusst, wie wichtig psychosoziale Betreuung in einem persönlichen Notfall ist.

Seit der Ausbildung, die Pfarrer Thomas Schill regelmäßig – übrigens auch im kommenden April – wieder anbietet, übernahm er viele Einsätze. Es profitieren nicht nur die Klientinnen und Klienten davon, sondern auch er selbst, betont Tobisch und fügt an: „Die Notfallseelsorge ist das i-Tüpfelchen auf allem. Jede Körperzelle wird im Einsatz gefordert. Man muss zuhören und schweigen können, man muss aber auch die richtigen Worte finden.“

„Manchmal kann man die Verzweiflung so richtig nachempfinden“

Oft hören die Notfallseelsorger Worte wie „Es tut gut, dass sie da sind“; vielleicht gerade dann, wenn die betroffenen Familien vorher skeptisch waren. „Wir bringen auch ein wenig Struktur und Belebung in einen Alltag, der von einem zum anderen Mal sinnlos geworden scheint. Die Menschen spüren, dass wir zuhören und verstehen und ihnen nichts – weder Religion noch schnelle Lösungen – überstülpen möchten“, ergänzt Schill. (Lesen Sie hier: Pfarrei hat mit Mops Hugo außergewöhnlichen Seelsorger)

Die Notfallseelsorge, die klassisch ehrenamtlich neben der normalen Arbeit fast ausschließlich von Theologen wahrgenommen wurde, wurde inzwischen durch speziell ausgebildete Menschen aus allen möglichen Bevölkerungsschichten erweitert. Alle werden gut auf ihren ehrenamtlichen Dienst vorbereitet. Nach der Grundausbildung gibt es verschiedene Treffen und Supervisionsangebote, und dabei lernen sie doch nie aus.

Auch über ihre eigene Person können die Ehrenamtlichen viel lernen – die Erfahrungen sind vielschichtig: „Manchmal kann man die Verzweiflung so richtig nachempfinden“, weiß Pfarrer Schill, der aber auch betont: „Wir sind auch für die Täter da.“

Tag des Ehrenamts - Auszeichnung für Vogelsberger Seelsorger

Das Teamerlebnis wird als sehr wichtiges Element der Gruppenidentität erlebt. Die Notfallseelsorger und -seelsorgerinnen verstehen sich gut, sie haben ein Anliegen, eine Botschaft und: „Wir haben keine Egoisten im Team. Und auch die Pfarrinnen und Pfarrer arbeiten bei der Notfallseelsorge ehrenamtlich. Alle sind auf Augenhöhe.“ Stets sind sie zu zweit unterwegs, kümmern sich um Einsatz- und Pflegekräfte. „Jeder Fall ist anders, das kann man nicht trainieren. Aber wir haben ein gutes Fundament“, zeigen sie sich sicher.

Der Auszeichnung mit dem Bürgerpreis folgte im November eine Einladung der Hessischen Landesregierung. Das Innenministerium bedankte sich am „Tag des Ehrenamts“ bei vielen Einsatzkräften, Helferinnen und Helfern bei Katastrophen und traumatischen Anlässen vielerlei Art. „Wir machen unseren Job zwar nicht für die Auszeichnung, aber es ist schön, wenn es gesehen wird, was man tut.“

Stellvertretend und als einzige Abordnung der Notfallseelsorge Vogelsberg hatten Schill und Tobisch die Auszeichnung im Oktober entgegengenommen. „Gemeinsam feiern konnten wir diesen Anlass zwar bisher noch nicht, aber er wird nicht vergessen“, betont der Koordinator, zumal die damit verbunden Preissumme von 1000 Euro bereits verplant ist. Und für noch etwas ist der Preis gut: „Wir werden in der Öffentlichkeit sichtbar, und das ist wichtig, denn wir brauchen auch Nachwuchs.“ (Traudi Schlitt)

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